Wie man Wellen an die richtige Stelle biegt

 

erstellt am
24. 06. 19
13:00 MEZ

Wien (tu) - Wellen breiten sich nicht immer regelmäßig aus - manchmal kommt es zum Phänomen der „Wellen-Verästelung“. An der TU Wien fand man eine Methode, diesen Effekt zu kontrollieren.

Im freien Raum breitet sich die Lichtwelle eines Laserstrahls auf einer exakt geraden Linie aus. Unter bestimmten Umständen tritt jedoch ein deutlich komplizierteres Verhalten auf. Wenn die Bewegung der Welle durch eine ungeordnete, unregelmäßige Umgebung beeinflusst wird, kann es zu einem merkwürdigen Phänomen kommen: Die Welle teilt sich in mehrere Pfade auf, sie verästelt sich auf komplizierte Weise, manche Orte erreicht sie mit hoher Intensität, andere fast gar nicht.

Eine solche „Wellen-Verästelung“ wurde 2001 erstmals beobachtet; jetzt hat man an der TU Wien eine Methode entwickelt, diesen Effekt gezielt zu nutzen. Kernidee dieser neuen Methode ist es, ein Wellensignal ausschließlich entlang eines einzelnen ausgewählten Astes zu senden, wodurch die Welle überall sonst kaum bemerkbar ist. Im Fachjournal PNAS wurden die Ergebnisse nun veröffentlicht.

Vom Quantenteilchen bis zum Tsunami
„Ursprünglich hat man diesen Effekt entdeckt, indem man Elektronen untersuchte, die sich als Quanten-Wellen durch winzige Mikrostrukturen bewegen“, erklärt Prof. Stefan Rotter vom Institut für Theoretische Physik der TU Wien. „Solche Strukturen, durch die man die Elektronen schickt, sind niemals perfekt, es gibt immer gewisse Unregelmäßigkeiten; und die führen erstaunlicherweise dazu, dass sich die Elektronenwelle aufspaltet und verästelt, weshalb sich der Begriff ‚Branched Flow‘ für dieses Phänomen etabliert hat.“

Bald erkannte man, dass dieses Wellenphänomen nicht nur in der Quantenphysik vorkommt, sondern prinzipiell bei allen Arten von Wellen auf ganz unterschiedlichen Größenskalen möglich ist. Wenn man etwa Laserstrahlen in die Oberfläche einer Seifenblase einlaufen lässt, teilen sie sich ebenso in mehrere Teilstrahlen auf wie auch Tsunami-Wellen im Meer: Auch letztere breiten sich nicht regelmäßig quer über den Ozean aus, sondern in einem komplizierten, verästelten Muster, das von der zufälligen Form des Ozeanbodens abhängt. Somit kann es passieren, dass eine weit entfernte Insel sehr heftig von einem Tsunami getroffen wird, während die Nachbarinsel nur von viel schwächeren Wellenfronten erreicht wird.

„Wir wollten nun wissen, ob man diese Wellen so beeinflussen kann, dass sie sich nicht mehr entlang eines verzweigten Geflechts an Pfaden in ganz unterschiedliche Richtungen ausbreiten, sondern auf einer einzelnen vorher ausgewählten Bahn bleiben“, erklärt Andre Brandstötter (TU Wien), Erstautor der Publikation. „Und wie sich zeigt, ist es tatsächlich möglich, einzelne Äste gezielt anzusteuern.“

Erst messen, dann anpassen
Man benötigt dafür zwei Schritte: Zunächst lässt man die Welle sich wie gewohnt auf allen Bahnen verästeln. An einem der Orte, die mit hoher Intensität erreicht werden, wird die Welle nun genau vermessen. Mit der Methode, die an der TU Wien nun entwickelt wurde, kann man daraus dann berechnen, wie die Welle beim Einschuss geformt werden muss, damit sie sich danach im zweiten Schritt nur noch entlang der ausgewählten Bahn bewegt und alle anderen Bahnen meidet.

„Wir haben mithilfe von numerischen Simulationen gezeigt, wie man eine Welle finden kann, die sich genau auf die gewünschte Weise verhält. Kennt man dieses Ergebnis, kann man es mit unterschiedlichen Methoden umsetzen“, sagt Stefan Rotter. „Man kann es mit Lichtwellen machen, die mit speziellen Spiegelsystemen angepasst werden, oder mit Schallwellen, die man mit einem System gekoppelter Lautsprecher erzeugt. Auch Sonar-Wellen im Meer wären ein mögliches Anwendungsgebiet. Die nötigen Technologien dafür gibt es jedenfalls bereits.“

All diese Wellen könnte man mit der neuen Methode entlang einer ausgewählten Bahn auf die Reise schicken. Vom verästelten Netzwerk der Pfade, auf denen sich die Welle vorher bewegte, bleibt nur noch ein einzelner Weg übrig. „Dieser Pfad muss nicht einmal gerade sein“, erklärt Andre Brandstötter. „Viele der möglichen Wege sind gekrümmt – die Unregelmäßigkeiten der Umgebung wirken wie mehrere Linsen, von denen die Welle immer wieder fokussiert und abgelenkt wird.“

Sogar gepulste Signale lassen sich auf diesen speziellen Pfaden übertragen, sodass man darüber gezielt Information übermitteln kann. Damit kommt ein Wellensignal garantiert dort an, wo es empfangen werden soll, an anderen Orten kann es kaum detektiert und somit auch nicht abgehört werden.

Originalpublikation:
A. Brandstötter et al., Shaping the branched flow of light through disordered media, PNAS (2019) https://doi.org/10.1073/pnas.1905217116

 

 

 

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