Parlamentsfraktionen stecken im EU-Hauptausschuss Positionen für EU-Spitzenposten ab
Wien (pk) – Bundeskanzlerin Bierlein will beim am 20. und 21. Juni stattfindenden EU-Gipfel in Brüssel
Österreichs bisherigen Europakurs weiterführen. Auch mit der Übergangsregierung bleibe Österreich
in Europa selbstverständlich handlungsfähig, wie die Kanzlerin am 19. Juni im EU-Hauptausschuss des Nationalrats
im Vorfeld des Gipfels betonte. Die europäischen Staats- und Regierungschefs werden sich in den kommenden
zwei Tagen u.a. mit der Strategischen Agenda der Union bis 2024, dem mehrjährigen Finanzrahmen, dem Brexit
und dem Klimawandel auseinandersetzen. Dominieren wird den Gipfel nach der Europawahl im Mai allerdings die Frage
um mögliche Neubesetzungen für das EU-Spitzenpersonal, nämlich die Kommission, die EZB und den Rat.
Hierfür sei Fingerspitzengefühl gefragt, das EU-Personalpaket müsse ausgewogen sein, sagte Bierlein.
Sie werde auf eine geografische Ausgewogenheit, den Frauenanteil, Transparenz und die demokratische Legitimität
achten. Was die Neubesetzung des EU-Kommissionspräsidenten anbelangt, will die Kanzlerin "ergebnisoffen"
in den Gipfel gehen. Gerade in dieser Frage sei Dialog- und Kompromissbereitschaft unter allen Mitgliedsstaaten
gefragt. Sie habe keine bestimmte Person im Auge und werde das Gespräch mit den anderen Staats- und Regierungschefs
suchen. Angesprochen auf das Spitzenkandidatenmodell meinte sie, dass man sich an die entsprechenden europäischen
Verträge halten werde. Demnach würden auch die Ergebnisse der Europawahl in die Neubesetzung miteinfließen.
Eher zurückhaltend fiel ihre Einschätzung aus, ob es beim Treffen der Regierungschefs diese Woche zu
einer Entscheidung kommt.
Den Auswahlprozess des österreichischen Kommissars will die Kanzlerin in Abstimmung mit dem Parlament vornehmen.
Diese Frage werde aber erst in einer späteren Phase aktuell, sagte Bierlein. Nicht nur in dieser Angelegenheit
setze die Regierung auf den direkten Dialog mit allen Parlamentsfraktionen, wie sie als auch Außenminister
Alexander Schallenberg betonten.
SPÖ-Klubobfrau Pamela Rendi-Wagner sprach sich für einen Kommissionspräsidenten mit fachlicher Expertise
und politischem Willen ein, die zentralen Herausforderungen Europas anzupacken. Diese sieht sie vor allem in einer
wachsenden sozialen Ungleichheit, die Europa zunehmend geschwächt habe. Außerdem müsse Steuergerechtigkeit
hergestellt sowie die Klimakrise gemeinsam mit allen Mitgliedsstaaten bekämpft werden. "Es braucht jemanden,
der Europa fit macht für die Zukunft, nicht nur für die nächsten fünf, sondern für die
nächsten dreißig Jahre", so Rendi-Wagner. Ein intensiver Dialog sei jetzt wichtig, um einen möglichst
breiten Konsens zu erzielen. Das gelte auch für die Entscheidung für das österreichische Kommissionsmitglied.
Die SPÖ unterstütze Bierleins Zugang, dass die Auswahl vom politischen Können der KandidatInnen
geleitet wird. Hier brauche es einen Konsens auf nationaler Ebene, das würde Österreichs Gewicht auf
EU-Ebene stärken.
Für den vom ehemaligen Bundeskanzler Sebastian Kurz für das Amt des neuen Kommissionschefs präferierten
EVP-Kandidaten Manfred Weber sprach sich ÖVP-Abgeordneter Reinhold Lopatka aus. Die EVP habe bei der Europawahl
mit Abstand das meiste Vertrauen der WählerInnen bekommen und stelle im Europarlament 179 Abgeordnete, argumentierte
er. "Ich weiß nicht, warum man Wahlen in einer Demokratie so beiseiteschieben will", sagte Lopatka,
außerdem habe sich auch das Europäische Parlament sowie die Mehrheit der Regierungschefs für das
Spitzenkandidatenmodell ausgesprochen. Aufgrund des Wahlergebnisses sei es folgerichtig, als ersten Kandidaten
für den Kommissionspräsidenten Manfred Weber zu nominieren.
Ähnlich wie die SPÖ stand auch die FPÖ für einen "Abtausch von Interessen" in den
nächsten Wochen ein. "Wir sollten nicht vorschnell in eine Richtung tendieren, sondern den Diskussionsprozess
auf Ebene der EU abwarten", sagte Reinhard Eugen Bösch.
NEOS-Abgeordnete Stephanie Krisper (NEOS) warb für die dänische Liberale Margrethe Vestager. Im Team
von Jean-Claude Juncker habe Vestager als Kommissarin für Wettbewerbsfähigkeit den Kampf mit Großkonzernen
aufgenommen und bewiesen, dass es ihr nicht um die eigene Parteifarbe, sondern um europäische Interessen und
die Menschen in Europa geht. Zudem habe sich Vestager für Klimaschutz oder ein höheres Forschungsbudget
im mehrjährigen Finanzrahmen eingesetzt.
Er sei gegen "Namedropping" und ganz entschieden gegen vorschnelle Entscheidungen bzw. eine vorschnelle
Unterstützung für Manfred Weber, sagte wiederum JETZT-Klubobmann Bruno Rossmann. Es wäre ein Nachteil,
sich auf einen Kommissionspräsidenten festzulegen, noch bevor KandidatInnen sich und ihre Programme vorgestellt
haben. Angesichts der großen Herausforderungen des 21. Jahrhunderts, nämlich jene der sozialen Frage,
der Klimakrise oder der Migration wären Österreich und die EU mit einer vorschnellen Entscheidung schlecht
beraten.
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