Bundespräsident traf in Lissabon ehemalige österreichische »Caritas-Kinder«.
Über 5.000 österreichische Kinder wurden nach dem Zweiten Weltkrieg von portugiesischen Gastfamilien
aufgenommen.
Lissabon/Wien (hofburg) - Es waren emotional bewegende Momente in einem höchst festlichen Rahmen. Bundespräsident
Alexander Van der Bellen traf am 18. Juni während seines Staatsbesuchs in Portugal mit ehemaligen österreichischen
"Caritas-Kindern" der Nachkriegsjahre und deren damaligen portugiesischen Gastfamilien zusammen.
"Wir erinnern uns an eines der schönsten Kapitel in der Geschichte der Beziehungen zwischen Portugal
und Österreich", meinte der Bundespräsident.
Nach einer Filmvorführung über Einzelschicksale und Erinnerungen mancher "Crianças austriacas
da Caritas" und dem Besuch einer kleinen Ausstellung zu den "Caritas-Kindern" kam es im Prunksaal
des Lissaboner Außenministeriums zu einem Wiedersehen der ehedem kleinen - und heute schon etwas betagten
- Schützlinge aus Österreich und ihren Wohltätern (oder deren Nachkommen) aus Portugal.
Das kleine Land im Westen der Iberischen Halbinsel war im Zweiten Weltkrieg neutral und damit von den Wirren der
Verwüstungen verschont geblieben. Portugal ging es damals - zumindest von der Versorgungslage her - vergleichsweise
gut. Die österreichische Caritas und ihre damals eben erst gegründete Schwesternorganisation in Portugal
schickten zwischen 1947 und 1956 insgesamt 5.402 Mädchen und Buben zu portugiesischen Pflegefamilien.
Die Aktion wurde auch durch den portugiesischen Diktator António de Oliveira Salazar gefördert. Er
hatte ab 1932 (und letztlich bis 1968) einen vom Katholizismus gekennzeichneten hierarchischen Ständestaat
etabliert, der nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs 1945 im Zuge der Neuordnung Europas international salonfähig
werden wollte. Die Kinder wurden auf Grundlage von Kriterien wie Unterernährung, Krankheit oder Wohnverhältnisse
ausgewählt. Die meisten stammten aus den urbanen Zentren Österreichs, wo die Versorgung mit Nahrungsmitteln
oft prekär war.
Sie wurden mit Großtransporten mit der Eisenbahn über die Pyrenäen sowie über den Seeweg -
mit dem Zug bis zum italienischen Hafen Genua und dann mit dem Schiff bis Lissabon - nach Portugal gebracht und
waren somit meist rund eine Woche unterwegs. In Lissabon erfolgte die Verteilung auf verschiedene portugiesische
Diözesen.
Die Unterbringung der "Caritas-Kinder" erfolgte zwar in allen sozialen Schichten, großteils gehörten
die Familien jedoch der gehobeneren Mittelschicht an. Die gute Ernährungslage sowie das milde Klima förderten
die rasche Erholung der kleinen Gäste aus Österreich, die sich durchschnittlich sechs Monate bis ein
Jahr lang in Portugal aufhielten. Probleme gab es laut Zeitzeugen allenfalls bei der Ausbildung, weil ein Schulbesuch
in Portugal für die Gastkinder nicht verpflichtend war.
"Es war eine glückliche Zeit", erinnerte sich auch Zeitzeuge Alois Sablatnig mit einem Schmunzeln,
"ich musste nicht zur Schule gehen. Aber ich habe in Portugal damals viel gelernt. Zum Beispiel, wie man Sardinen
isst." Aber auch seine Gastfamilie habe ihn damals viel fürs Leben gelehrt", erinnerte sich Sablatnig.
Daher sei er über die Jahre auch immer wieder zurückgekommen. Er verehre Portugal, fügte der mittlerweile
in Kanada lebende Sablatnig auf Portugiesisch dazu. Doch würden ihm in allen Sprachen die Worte fehlen, um
dem Land und seinen Leuten die Dankbarkeit auszudrücken.
Seitens der ehemaligen Gastfamilien erinnerte der Unternehmer Antóno Amorim an ein ehemaliges "Caritas-Kind":
Gerhard Schießer. Dieser wuchs später geschäftsmäßig in das Kork-Imperium der Familie
Amorim hinein und ermöglichte es dieser, über ein Joint Venture von Österreich aus den osteuropäischen
Markt zu erobern.
In manchen Fällen stand in den 1950ern sogar eine mögliche Adoption im Raum, der aber von den österreichischen
Eltern im Normalfall nicht zugestimmt wurde. Dokumente über die Aktion gibt es laut Kathpress unter anderem
in den Akten der Caritas im Archiv der Katholischen Privat-Universität Linz.
Viele Pflegekinder hielten auch später persönliche Kontakte nach Portugal. Seit Mitte der 2000er-Jahre
wurden auch über die in Österreich bestehenden Vereine ehemaliger "Portugal-Kinder" verlorene
Kontakte wieder hergestellt. Die österreichische Botschaft in Lissabon erinnerte in den vergangenen Jahren
u.a. mit einer Wanderausstellung an die "Caritas-Kinder" und unterstützte auch wissenschaftliche
Forschungsarbeiten zur damaligen Hilfsaktion.
Zwei Buchprojekte ("Das Land der Orangen" von Rosario Alçada Araújo sowie "Rezepte
des Lebens" von Rosário Worisch Alvim), ein Filmprojekt der Regisseurin Susana de Sousa Dias sowie
eine Dissertation der portugiesischen Historikerin Ana Pinho sind bisherige Ergebnisse dieses Engagements.
Daher konnte der Bundespräsident anlässlich des Wiedersehens mancher "Caritas-Kinder" mit ihren
portugiesischen Schwestern und Brüdern den Dank Österreichs für diese "bemerkenswerte und großzügige
Geste" ausdrücken, die "für immer in unseren Erinnerungen und Herzen bleiben wird". Weil:
"Hier in Portugal lernten diese traumatisierten Kinder wieder Kinder zu sein." Die Geschichte der Caritas-Kinder
sei sowohl in Österreich als auch Portugal noch zu wenig bekannt, bedauerte indes Familienministerin Ines
Stilling in ihrer Rede.
Der Bundespräsident war am 18. Juni in Lissabon mit Präsident Marcelo Rebelo de Sousa zusammengetroffen,
am 19. Juni stand die Teilnahme an einem österreichisch- portugiesischen Wirtschaftsforum am Programm.
Weiters wird Van der Bellen vom Parlamentspräsidenten Eduardo Ferro Rodrigues und Bürgermeister Fernando
Medina empfangen.
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