Pläne der EU-Kommission zur drastischen Senkung der Treibhausgasemissionen Thema im EU-Ausschuss
Brüssel/Wien (pk) - Der Klimawandel stellt die Politik vor große Herausforderungen. Im EU-Ausschuss
des Bundesrats verdeutlichten am 18. Juni alle Fraktionen, Maßnahmen gegen die globale Erwärmung
und ihre destabilisierenden Folgen setzen zu wollen. Unterschiede gibt es allerdings im angestrebten Ausmaß
der Klimaschutzmaßnahmen auf europäischer und nationaler Ebene. Während die SPÖ auf die unverzügliche
Umsetzung der EU-Klimaschutzziele pocht, raten ÖVP und FPÖ Europa, gemeinsam mit den größten
CO2-Emittenten USA und China auf eine klimaneutrale Wirtschaft hinzuarbeiten. In ihrem Strategiepapier zur Klima-
und Energiepolitik skizziert die Europäische Kommission in acht Szenarien ihre Vision einer Wirtschaft, die
ohne die nachweislich klimaschädigenden Treibhausgasemissionen auskommt. Aufgegriffen wird unter anderem die
Neugestaltung der Energieversorgung, die unionsrechtlich derzeit nationale Kompetenz ist.
Gemäß EU-Vorgaben muss Österreich bis zum 1. Jänner 2020 eine nationale Langfriststrategie
zur drastischen Senkung von Treibhausgasemissionen bis 2050 an die Europäische Kommission übermitteln.
Laut Nachhaltigkeitsministerium haben die Arbeiten dazu bereits begonnen, eine öffentliche Konsultation sei
geplant. Zur Erreichung der Treibhausgasneutralität in Europa bis zur Mitte des Jahrhunderts bedürfe
es nicht nur einer Transformation des gesamten Energie-, Mobilitäts- und Wirtschaftssystems, sondern auch
eines gesellschaftlichen Wandels, ist das Ministerium mit dem Bundeskanzleramt einer Meinung. Wirtschaftskammer
(WKÖ) und Landwirtschaftskammer (LWK) bekannten sich in der Ausschussdebatte zwar ebenfalls zum Klimaschutz,
gaben aber zu bedenken, die EU dürfe sich mit ihrer Klimastrategie nicht selbst schaden. So warnte der WKÖ-Vertreter,
Firmen könnten aufgrund zu restriktiver Auflagen in Europa abwandern. Gegen überschießende Produktionseinschränkungen
sprach sich der LWK-Experte angesichts des wachsenden Lebensmittelbedarfs weltweit aus.
EU-Kommission strebt sozial gerechte Dekarbonisierung an
"Ein sauberer Planet für alle", so betitelt die Europäische Kommission ihr Strategiepapier
zur Klima- und Energiepolitik der Union. In der Mitteilung dazu heißt es, bis zum Jahr 2050 sei kostenwirksam
ein sozial gerechter Übergang zu null Netto-Treibhausgasemissionen zu erreichen. Beispielsweise seien regionale
Verlierer der Energiewende durch Ausgleichsmechanismen zu unterstützen, erklärte der Experte des Nachhaltigkeitsministeriums
auf Nachfrage von Monika Mühlwerth (FPÖ/W). Gemäß dem 2015 in Paris verabschiedeten UN-Klimaschutzabkommen
ist der weltweite Temperaturanstieg deutlich unter 2°C zu halten und möglichst auf 1, 5 °C zu begrenzen.
Die EU müsse bis Mitte des Jahrhunderts Klimaneutralität erreichen, wenn sie für die Welt wegweisend
sein will, hält die Kommission fest.
Das Senken der Emissionen soll mit wachsendem Wohlstand und höherer Lebensqualität einhergehen, was die
Wirtschaftskammer durchaus begrüßt. Die Wirtschaf werde in die Klimastrategie miteinbezogen. Für
den Weg zu einer treibhausgasneutralen Wirtschaft skizziert die Kommission die Bereiche, in denen unionsweite Maßnahmen
erforderlich sind: Energieeffizienz, Nutzung erneuerbarer Energien, saubere, sichere und vernetzte Mobilität,
wettbewerbsfähige Industrie und Kreislaufwirtschaft, Infrastruktur und Netzverbindungen, Biowirtschaft und
natürliche CO2-Senken sowie CO2-Abscheidung und -Speicherung für die verbleibenden Emissionen. Entsprechende
Rahmenbedingungen sollten aus Sicht der WKÖ aber nicht nur in Europa gelten. Immerhin sei die EU lediglich
für 10% der weltweiten CO2-Emissionen verantwortlich, bestätigten Sonja Zwazl (ÖVP/N) und Mühlwerth,
wobei Letztere auch Zweifel an der alleinig menschengemachten Klimaveränderung anführte. Europa dürfe
jedenfalls im globalen Wettbewerb nicht aufgrund eigener Klimaauflagen zurückbleiben, sind beide Bundesrätinnen
einig.
Teilweise Kritik an EU-Klimaplan von Ländern und Bund
Die Bundesländer stehen dem Kommissionsvorhaben grundsätzlich positiv gegenüber, Kritik gibt es
aber an Details zur Umsetzung der Strategie. Christian Buchmann (ÖVP/St) wies dabei auf gemeinsame Länderstellungnahmen
hin, in denen der Subsidiaritätsgrundsatz bei EU-Klimavorgaben hochgehalten wird. So sei der Plan, durch Energieeffizienzmaßnahmen
bis zum Jahr 2050 den Energieverbrauch um bis zu 50% gegenüber dem Jahr 2005 zu reduzieren, nicht als verbindliche
nationale Einsparquote zu verstehen, da jedes EU-Land diese selbst festlegen könne, heißt es in einer
Stellungnahme. Im Zusammenhang mit der Energieversorgung weisen die Länder auf das Recht jedes Mitgliedstaats
hin, zwischen verschiedenen Energiequellen selbständig zu wählen. Ein verbindlicher Umstieg auf erneuerbare
Energieträger sei daher ebenso abzulehnen wie eine Vorschrift, die auf eine erhebliche Ausweitung der Stromerzeugungskapazitäten
bis auf das 2,5-fache der heutigen Werte abzielt. Problematisch seien auch unionsweite Regelungen zur Energiebesteuerung,
da über das Steuerrecht den Mitgliedstaaten ein bestimmter Energiemix aufgezwungen werden könne.
Dem Nachhaltigkeitsministerium missfällt an der EU-Strategie, dass die Europäische Kommission die Möglichkeiten
von Nuklearenergie sowie CO2-Abscheidung und -Speicherung ("Carbon Capture and Storage") in allen vorgeschlagenen
Szenarien zur Emissionsreduktion aufgreift. Ein Szenario, das auf 100% erneuerbaren Energieträgern beruht,
fehle dagegen. Atomkraft dürfe im Rahmen der Dekarbonisierung keinen Aufschwung erhalten, unterstrich Zwazl,
die sich stattdessen für mehr Investitionen in Technologien für erneuerbare Energien stark machte. Besonders
Speicherungsmöglichkeiten, etwa von Windkraft, seien zu entwickeln, meinte dazu Stefan Schennach (SPÖ/W).
Österreich müsse hier mehr in entsprechende Forschungen investieren. Ungeachtet dessen dürfe Europa
nicht auf andere Wirtschaftsräume warten, um entschlossen gegen den Klimawandel vorzugehen, sondern habe seinen
Teil jetzt beizutragen, so der Sozialdemokrat.
Klimawandel gefährdet Sicherheit und Wohlstand
Wird die seit der Industrialisierung rapide voranschreitende Erderwärmung nicht gebremst, scheitert aus Sicht
der Kommission die auf Sicherheit und Wohlstand ausgerichtete Entwicklung Europas. Wirtschaft, Nahrungsmittel-,
Wasser- und Energieversorgung würden durch vermehrte Hitzeperioden und Wetterkapriolen massiv beeinträchtigt,
was weitere Konflikte auslöse und den Migrationsdruck verstärke. Im ersten Quartal 2020 will die EU den
Vereinten Nationen eine ehrgeizige Strategie zur Erreichung der Klimaschutzziele von Paris übermitteln. Ausgearbeitet
werden soll der Maßnahmenplan im Zusammenwirken aller EU-Organe, der nationalen Parlamente, Unternehmen,
Nichtregierungsorganisationen, Städte und Gemeinden sowie Bürger und Bürgerinnen, wobei die Kommission
besonders die Jugend zur Mitarbeit auffordert. Konkrete Auswirkungen von EU-Klimaschutzvorgaben auf die Bevölkerung
brachte Peter Samt (FPÖ/St) in Verbindung mit der Bauordnung zur Sprache. Null-Emissionen beim Hausbau wären
wohl mit modernen Bautechniken möglich, würden aber die Kosten für ein Gebäude bis auf das
Doppelte steigern. Die EU müsse deswegen leistbare Technologien entwickeln, sodass die CO2-Reduktion tatsächlich
realisiert werden kann. Seitens der Landwirtschaftskammer wurde bemerkt, die Agrarwirtschaft sei der vom Klimawandel
am meisten betroffene Sektor. Von der Tierhaltung bis zum Einsatz von Düngemitteln liefen Prozesse zur Emissionsminderung,
wiewohl die LandwirtInnen nur begrenzt zum CO2-Ausstieg beitragen könnten.
Politischen Meinungen, die den menschlichen Einfluss auf den Klimawandel anzweifeln, hält Brüssel neben
wissenschaftlichen Daten auch die verbreitete Sicht der Bevölkerung entgegen. Laut dem letzten Eurobarometer-Sonderbericht
(November 2018) sind 93% der europäischen Bürgerinnen und Bürger davon überzeugt, dass der
Klimawandel menschengemacht ist. 85% stimmen zu, dass Klimaschutz und effizientere Energienutzung in Europa Wirtschaftswachstum
und Arbeitsplätze schaffen können.
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