Architektin im staatlichen Planungswesen in Bulgarien (1923-2004) von 27. Juni bis 27. September
2019 im Ausstellungszentrum im Ringturm
Wien (wst) - Die Ausstellung im Ringturm würdigt Bulgariens berühmteste Architektin der zweiten
Hälfte des 20. Jahrhunderts: Stefka Georgieva. Sie gilt als die wichtigste Vertreterin ihres Faches im Bulgarien
der 1960er bis 1980er Jahre.
Die vielfach ausgezeichnete Architektin - unter anderem erhielt sie 1981 den Gottfried-von-Herder- Preis der Universität
Wien - hat die Form wichtiger Bauten ebenso wie die Entwicklung der Baukunst in Bulgarien nachhaltig geprägt.
In Anerkennung ihres Talentes wurde sie 1973 zur Gruppenleiterin bei Glavprojekt und 1981 zur Abteilungsleiterin
bei Sofprojekt ernannt, den zwei wichtigsten staatlichen Planungsbüros im kommunistisch geprägten Balkanstaat.
Ihr außergewöhnliches Material- und Detailgespür nahm sie aus ihrer zweijährigen Studienzeit
bei Döllgast in München mit. Gepaart mit staatlich repräsentativem Formenvokabular, in dem sie
national-vernakulare Traditionen gekonnt zu verarbeiten wusste - ohne internationale Tendenzen wie den Brutalismus
zu verleugnen - realisierte sie zahlreiche Bauten. Neben imposanten Hochbauten gestaltete sie auch viele Messen
für den internationalen Auftritt Bulgariens.
Mit dem Beginn wirtschaftlicher Schwierigkeiten in Bulgarien Ende der 1970er Jahre orientierte sich Georgieva beruflich
nach Afrika. Die von ihr für Nigeria erarbeiteten großen Stadtplanungen sowie Entwürfe für
Sportzentren, Einkaufs- und Hotelanlagen blieben allerdings mit wenigen Ausnahmen aufgrund der äußerst
instabilen politischen Verhältnisse des Landes nur Projekte.
Die aktuelle Schau im Ringturm porträtiert anhand realisierter Bauten das architektonische Lebenswerk dieser
außergewöhnlichen Protagonistin hinter dem Eisernen Vorhang.
Die Zeit und ihr Stil: bulgarischer Brutalismus
Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs gelangte Bulgarien in die sowjetische Einflusssphäre und wurde 1948
offiziell zu einer sozialistischen Volksrepublik erklärt. Das Land wurde einer rapiden Modernisierung, einschließlich
Industrialisierung, unterzogen. Dazu zählten unter anderem Verstädterung, die Entwicklung öffentlicher
Einrichtungen sowie Wiederaufbau und Neugestaltung nach dem Krieg. Die Kontinuität der modernistischen Entwicklung
wurde in Bulgarien von der Einführung der ästhetischen Doktrin des Sozialistischen Realismus 1948 unterbrochen,
doch nach dem politischen Tauwetter im Frühjahr 1956 - und besonders in den 1960er und 1970er Jahren - herrschte
in diesem Land die Sprache des Nachkriegsmodernismus vor, die ihre führende Rolle auch in den nachfolgenden
Jahrzehnten unter Beweis stellte.
Der innerbulgarische Diskurs behandelt sozialistische Architektur (1944-1989) im Allgemeinen als relativ geschlossenes
System, das, abgesehen von Moskau als politischem Zentrum, von äußeren Einflüssen abgeschottet
bleibt. Und das ist auch weitgehend der Fall. Dennoch gab es äußere Einflüsse nicht nur aus dem
offiziellen ideologischen Zentrum, sondern auch aus vielen "kapitalistischen" Quellen aus Westeuropa,
Amerika und Asien. Sie erreichten Bulgarien oft spät und wurden fast nie in ihrer reinen Form angewandt, trotzdem
waren sie zweifellos präsent.
In Bulgarien wurde der Brutalismus von einer totalitären Regierung gefördert. Formell war es eine linke,
sich als progressiv sozialistisch verstehende Regierung. Doch während der Brutalismus auf der ganzen Welt
unter anderem als architektonisches Symbol eines Nachkriegswohlfahrtsstaates entstand, die egalitären Bauvorhaben
sozialer Institutionen symbolisierte und eine unüberschaubare Anzahl von Sozialbauten und öffentlichen
Großbauten hervorbrachte, gestaltete sich die Situation in der Volksrepublik Bulgarien ein wenig anders.
Das Land war ein sozialistischer Staat und Brutalismus wurde für wichtige, hauptsächlich öffentliche
Gebäude "verwendet". Er wurde als ein repräsentatives Werkzeug gebraucht. In Bulgarien wurde
nicht die Ethik, sondern hauptsächlich die berüchtigte Ästhetik des Brutalismus kopiert. Der Stil
wurde in der Regel entweder für hochrepräsentative Staatsgebäude oder für noble Wohnsiedlungen
der kommunistischen Nomenklatura und ausgewählter Eliten eingesetzt.
In den 1960er Jahren wies eine Reihe von Gebäuden in Bulgarien einige der üblichen Merkmale des Brutalismus
auf, einschließlich Sichtbeton und "ehrlicher" Materialien. Gleichzeitig, und wenig überraschend,
blieb Brutalismus in seiner reinen Form weitgehend unerreichbar. Er wurde stark regionalisiert, kontextualisiert
und in das "allgegenwärtige Einheimische" hineingeschmuggelt. Alle Ausnahmen wurden heftig kritisiert.
Wieso war "das Einheimische" so wichtig? Seit ihrer Selbstdefinition im 19. Jahrhundert lebt die bulgarische
"nationale" Kultur in konstantem Konflikt zwischen ihren sogenannten "Wurzeln" und der universellen
Kultur, mit der sie sich ständig vergleicht. Fortwährend versuchte sie eine lokale Version der globalen
Einflüsse zu erfinden. Wenn in kulturellen Belangen Probleme oder Zweifel auftraten - auch innerhalb der bulgarischen
sozialistischen Kultur und im Speziellen der Architektur - galt es stets, "das Einheimische zu finden",
wie formelhaft wiederholt wurde.
Stefka Georgieva und der Staat
Stefka Georgieva ist eine der unbekanntesten Figuren, die dem kommunistischen Regime dienten - sie war eine
offizielle Staatsarchitektin. Sie wirkte nicht nur als Leiterin einer Planungsgruppe am größten in Sofia
ansässigen staatlichen Architektur und Stadtplanungsinstitut "Glavprojekt", sondern entwarf
auch so herausragende repräsentative Gebäude wie die Staatsresidenz Bojana (Haus 2), die Villa "Magnolia"
in Evksinograd, einige private Einfamilienhäuser für die bulgarische Elite der Kommunistischen Partei
und die Apartmenthochhäuser für das Diplomatische Corps. Und doch - oder vielleicht gerade deshalb -
schaffte sie es, in einem spezifischen "prowestlichen" Stil mit absichtlich formalisierter und
bisweilen unbekümmert zitierter einheimischer bulgarischer Architektur zu bauen. Obwohl ihre Bauten immer
entweder als künstlerische Interpretation genau dieser
"einheimischen Tradition" diskutiert - damals die einzig mögliche Diskussion - oder als sinnloser,
importierter Formalismus kritisiert wurden, zählen sie noch heute zu den stärksten Beispielen des architektonischen
Brutalismus, wie er im sozialistischen Bulgarien praktiziert wurde.
Georgieva studierte zwischen 1942 und 1944 bei Hans Döllgast Architektur an der Technischen Hochschule München,
bevor der Zweite Weltkrieg sie zur Rückkehr nach Bulgarien zwang. Sie schloss 1947 am neu gegründeten
Staatspolytechnikum in Sofia als Architektin ab und begann im Jahr 1948 bei "Glavprojekt" zu arbeiten,
wo sie relativ rasch in die gewaltigen Bauprojekte des sozialistischen Bulgarien und in die rapide Modernisierung
des Landes involviert wurde. In den späten 1940er Jahren entwarf sie Kindergärten und Vorschulen und
in den 1950er und 1960er Jahren Hotels für Bulgariens neue und international gefeierte Meeresbadeorte "Druzhba",
"Gold-strand" und
"Sonnenstrand". Von Anfang an war sie Teil des Planungsteams der Urlaubsanlage "Sonnenstrand"
unter der Leitung des Architekten Nikola Nikolov. Gemeinsam mit ihm erhielt sie 1960 den damals äußerst
renommierten DimitrovskaoPreis. Von 1973 bis 1981 war Georgieva Leiterin eines Planungsteams bei Glavprojekt, ehe
sie zu Sofprojekt wechselte, das zweite bedeutende staatliche Architekturo und Designinstitut in Sofia.
Trotz ihrer langen und produktiven Karriere als Architektin schuf Georgieva ihre fünf markantesten Bauten
in nur 15 Jahren, von 1960 bis Mitte der 1970er Jahre:
- Villa 3, Staatsresidenz Evksinograd - durch spätere
umfangreiche Umbauten zur Villa"Magnolia" geworden (1960)
- Tennishalle "Sofia" (1968)
- Komplex von drei Wohnhochhäusern mit Appartements für
den Bedarf des ausländischen Diplomatischen Korps (Sofia, 1973)
- Hotelgruppe "Tscherno more/Fregata" (Badeort Sonnenstrand,
1972)
- Staatsresidenz Bojana, Haus 2 (Sofia, 1974)
All diese Realisierungen können als strukturelle, räumliche und stilistische Experimente bezeichnet
werden. Sie veranschaulichen - an der Grenze zum architektonischen Brutalismus - Georgievas unbedingte Ablehnung
architektonischer Kompromisse. Dies gilt es, vor dem Hintergrund folgender Fakten zu berücksichtigen:
- Stefka Georgieva absolvierte die Grundlagen ihres Architekturstudiums
in München. Sie entwickelte eine ausgeprägte Haltung zu präzisen Details, logischer Formfindung
und ästhetischer Konstruktion.
- Sie erhielt relativ früh - mit erst 37 Jahren - den
damals sehr wichtigen DimitrovskaoPreis. Durch ihre Arbeit war es ihr außerdem möglich, unkompliziert
und häufig innerhalb, aber auch außerhalb, des Ostblocks zu reisen.
- Georgieva war mit einem der besten bulgarischen Bauingenieure
ihrer Zeit verheiratet - Levtscho Manuilov. Er war ihr engster Berater und angeblich der Spiritus Rector ihrer
kühnsten Konstruktionsexperimente.
Georgieva entwickelte einige Leitprinzipien, die sie in ihren markantesten Bauten beherzigte:
- modulares Design, basierend auf Rastern und wiederkehrenden
Elementen
- logische, ästhetische Konstruktion als Basis für
logische Formfindung und zurückhaltende Dekoration
- tektonische Interpretationen des bulgarischen Vernakularen
- im Allgemeinen viel Sichtbeton und "ehrliche"
Materialien
Insbesondere zwei Bauten markieren die Grenzen von Georgievas "goldener Periode":
Tennishalle "Sofia"
Die Tennishalle "Sofia" ist in Grundriss und Fassade modular angelegt. Sie wird durch acht identische
freiliegende armierte Betonrahmen definiert, die eine Spannweite von 37 Metern und eine Höhe von 13 Metern
erreichen. Ihre dreieckige Form ist multifunktional - sie interpretiert die Schrägdächer der traditionellen
Architektur des Balkans, integriert das Gebäude so in den umliegenden Park und vermeidet dadurch unnötige
Höhendominanz. Außerdem löst sie auf elegante Weise alle wichtigen bautechnischen Aufgaben dieser
Art von Sporthallen.
Das Gebäude wirkt selbstverständlich sowohl in der funktionellen Organisation als auch in der architektonischen
Sprache - ein typisches Ergebnis von Georgievas Fähigkeit, eine kluge Konstruktion als Formfindungswerkzeug
einzusetzen.
Beide Paare der symmetrischen Fassaden werden durch die acht dreieckigen Rahmen aus freiliegendem Beton vordefiniert.
Diese Frontfassaden reichen bis zum Boden und sind mit der expressiven Modularität sich wiederholender quadratischer
Holzfensterrahmen dekoriert, die die Dreiecksform komplett ausfüllen. Beide Seitenfassaden werden durch eine
gleichförmige vertikale Anordnung von Betonrahmen und einer zusätzlichen Metallkonstruktion dazwischen
gebildet und von 22 Meter langen, nahtlosen selbsttragenden - aus Belgien importierten - Metallplatten überdacht.
Zwei klar kontrastierende Materialien, die den brutalistischen Charakter dieses Gebäudes ausmachen, sind
der Sichtbeton der freiliegenden Konstruktion und die warme Farbe des Holzes, das sowohl für Fensterrahmen
als auch für Innenverkleidungen, Täfelungen und Dekoration zum Einsatz kommt. Einen letzten regionalen
Touch verleiht das Natursteintrockenmauerwerk als Fundament.
Die Tennishalle "Sofia" ist definitiv ein egalitäres Gebäude - offen, zugänglich, respektvoll
seiner Umwelt gegenüber und mit einer klaren sozialen Aufgabe. Dies ist bei Georgievas Opus Magnum - Haus
2 der Staatsresidenz Bojana - nicht der Fall.
Die Residenz Bojana ist ein Staatskomplex mit speziellem Status und umfasst zwei Gebäude. In Bau 1, der ehemaligen
Residenz des Staatsrates der Volksrepublik Bulgarien, befindet sich heute das nationale Historische Museum. Das
zweite von Georgieva entworfene Gebäude wird - als Wohnkomplex mit Hotelfunktion sowie einigen zusätzlichen
Wohn- und Nutzgebäuden - seit seiner Errichtung bis heute von der bulgarischen Regierung genutzt.
Die Residenz liegt in einem eindrucksvollen Park mit eingeschränktem Zugang. Ihr Konzept steht in einer Reihe
von hochrepräsentativen Bauten des sozialistischen Regimes in Bulgarien, die die höchsten Lebensstandards
und besten baulichen Errungenschaften demonstrieren sollten. Der Komplex ist nach den ungeschriebenen Regeln des
totalitären Luxus gebaut, alle Gebäude befinden sich in exzellenter Lage. Das konstruktive Gebäudekonzept
ist kompromisslos und alle verwendeten Materialien, Ausführungen und Details sind von höchstmöglicher
Qualität. Die Residenz Bojana war als repräsentativer Bau und Symbol der Macht des Staates auch mit unverwechselbar
"bulgarischem Charakter" ausgestattet, was jedoch subtil mit den Mitteln spätmodernistischer und
brutalistischer Sprache erzielt wurde.
Georgieva entwarf ihren Bau auf einem quadratischen Raster als uoförmigen Komplex mit ausgeprägter Symmetrie
und einem intimen Innenhof, was diskret an den Archetyp des Klostergartens und des Dorfmarktes sowie an andere
nachhaltige Beispiele bulgarischer Stadtplanung des 19. Jahrhunderts erinnert. Dieser Ansatz wird mit einem Schrägdach
mit ausgeprägten Auskragungen, heraustretenden Geschossen und "traditionellen" Materialien - weißem
Putz, Holz und Steinverkleidungen - kombiniert. Die tragenden Teile sind teilweise sichtbar, doch ihr freiliegender
Beton wird gemildert durch Schichten luxuriöser Materialien wie Kalkstein, Marmor, grünem Kupfer und
braunem Aluminium.
Die Residenz Bojana ist sicherlich kein egalitäres Gebäude. Sie symbolisiert Machtunterschiede, ist exklusiv,
selektiv, mit eingeschränktem Zugang und definitiv luxuriös - dennoch spiegelt sie brutalistische Ästhetik.
Summa summarum hat es Stefka Georgieva geschafft, eine neue Ästhetik einzuführen und sie mit zurückhaltender
professioneller Ethik zu kombinieren. Dabei vermied sie seelenlose Kopien und einfachen Ersatz. Sie spielte das
Spiel des bulgarischen Brutalismus, schuf sowohl elitäre als auch egalitäre Bauten und diente dem Staat
mit Respekt. Sie machte sich fremde Einflüsse zu Eigen und zähmte diese mit Regionalismus. Georgieva
entwarf stalinistische Kindergärten und Vorschulen, modernistische Hotels und mächtige, brutalistische
Bauten, in ihrer Arbeit war sie versatil, zweideutig, funktional, monumental und großartig.
Stefka Georgieva zählt zu den unleugbaren visuellen Helden des bulgarischen Nachkriegsmodernismus.
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