Hochkarätige Wissenschaftler, Politiker und Vertreter der Wirtschaft diskutierten an der
BOKU Maßnahmen für eine geordnete Raumentwicklung zum „Stopp des Bodenverbrauchs“
Wien (hagel) - Beim internationalen Symposium „Bodenschutz durch Raumplanung“ präsentierten am 24. Juni
hochkarätige Wissenschaftler aus Deutschland, Österreich und der Schweiz die aktuellen Entwicklungen
zum Thema Bodenschutz durch eine geordnete Raumentwicklung. In der Diskussion um den Bodenverbrauch spielen Gemeinden
als Bau- und Flächenwidmungsbehörden eine wichtige Rolle. Dabei befinden sich die Gemeindeverantwortlichen
in einem Spannungsfeld: Jedes neue Bauvorhaben verbraucht einerseits Grund und Boden und bringt andererseits Einnahmen
aus der Kommunalsteuer. Dies führte in den letzten Jahrzehnten zu einer massiven Zersiedelung und damit Verschandelung
des Tourismuslandes Österreich. „Das größte Umweltproblem in Österreich ist der enorme Bodenverbrauch.
Die Folgen sind beispielsweise zunehmende Schäden durch Überschwemmung, die Gefährdung der Ernährungssouveränität
und der Schönheit Österreichs. Österreich ist Europameister im negativen Sinn, was den Bodenverbrauch
betrifft! So liegt der Bodenverbrauch im Durchschnitt der letzten 10 Jahre bei 20 Hektar oder umgerechnet 30 Fußballfeldern.
Wenn wir weiter 0,5 % der Acker- und Grünlandflächen in Österreich jährlich verbauen, gehen
uns in 200 Jahren die Böden für die landwirtschaftliche Produktion aus. Daher müssen wir konsequent
an der geordneten Gestaltung unserer Räume zum Wohle der zukünftigen Generationen arbeiten!“, so Dr.
Kurt Weinberger, Vorstandsvorsitzender der Österreichischen Hagelversicherung und Vorsitzender des Universitätsrats
der BOKU Wien, in seinen einleitenden Worten an die 150 Teilnehmer aus Wissenschaft, Wirtschaft, Politik und Medien.
Deutschland und Schweiz: Vorbilder für Österreich
Deutschlands Landschaft ist naturbelassener als jene in Österreich. Dörfer und Städte sind kompakter,
Wiesen und Äcker besser geschützt. In Deutschland gibt es im Vergleich zu Österreich eine wirkungsvollere
übergeordnete Raumplanungsbehörde: die Kreisämter. “Die Raumplanungsstrategie dabei ist, Innenentwicklung
vor Außenentwicklung zu forcieren“, so Univ.Prof. Dr. Stefan Siedentop von der Technischen Universität
Dortmund. Dies führt dazu, dass der relative jährliche Flächenverbrauch in Deutschland mit 0,25
% der Ackerfläche nur die Hälfte des Flächenverbrauchs in Österreich ausmacht.
„In der Schweiz hat der Gesetzgeber den sogenannten Fruchtfolgeflächen, das sind landwirtschaftliche Nutzflächen
mit den produktivsten Böden, ein absolutes Bauverbot auferlegt, um die Ernährungssicherung der Bevölkerung
sicherzustellen“, präsentiert Dr. Silvia Tobias von der Eidgenössischen Forschungsanstalt WSL die wichtigste
Bodenschutzmaßnahme der Schweiz.
Bodenschutz durch Raumplanung
Univ.Prof. Dr. Gernot Stöglehner, Leiter des Instituts für Raumplanung an der Universität für
Bodenkultur in Wien, sieht den Schwerpunkt in der Innenentwicklung: „Das Bauen auf der ‚Grünen Wiese’ ist
hintanzuhalten, die regionale Planungsebene zu stärken und funktionsgemischte Strukturen – wo man auf kurzem
Weg Versorgungseinrichtungen, Schulen etc. erreichen kann – sind zu fördern."
DI Franz Grossauer vom Institut für Raumplanung sieht durch den enormen Flächenverbrauch die Ernährungssicherheit
in Österreich gefährdet. „Alleine die geplante 3. Piste des Flughafens Wien mit rund 500 Hektar Bodenverbrauch
bedeutet, dass jährlich in Österreich 5.000 Tonnen weniger Getreide produziert werden kann“, so der Wissenschaftler.
Universitätsprofessorin Dr. Marianne Penker vom Institut für nachhaltige Wirtschaftsentwicklung auf der
BOKU unterstreicht den stillen Landschaftswandel in Österreich durch den Bodenverbrauch und den damit verbundenen
Verlust an wichtigen Bodenfunktionen wie z.B. die Wasserspeicherfähigkeit. Sie weist auch auf den dramatischen
Anstieg der verbauten Flächen und der Verkehrsflächen hin: „Von 1960 bis 2016 stiegen die verbauten Flächen
und Verkehrsflächen um 1.370 Prozent, während im gleichen Zeitraum das Ackerland auf 82 Prozent und das
Dauergrünland auf 66 Prozent zurückgingen.“
Lösungsansätze für Österreich
In Österreich gibt es das Phänomen, dass laut Zahlen des Umweltbundesamtes mehr als 40.000 Hektar Industrie-,
Gewerbe- und Wohnimmobilien leer stehen. Das entspricht in etwa der Fläche von Wien. Ein österreichweites
Best Practice Beispiel ist die Oberwarter Siedlungsgenossenschaft (OSG). Sie kauft gezielt leerstehende Immobilien
wie z.B. Gasthäuser oder Gewerbeimmobilien auf und revitalisiert sie für modernes Wohnen. „Wir können
alle etwas dazu beitragen, Boden zu erhalten", bringt es OSG-Chef Dr. Alfred Kollar auf den Punkt.
Das Land Salzburg hat als gesetzliche Grundlage in der Raumordnung das Räumliche Entwicklungskonzept. „Wir
wollen Herausforderungen wie der Zersiedelung, dem rasch fortschreitenden Bodenverbrauch und dem Aussterben der
Ortskerne entgegentreten. Das aktuelle Raumordnungsgesetz gibt uns die entsprechenden und geeigneten Werkzeuge
in die Hand“, so der zuständige Landesrat DI Dr. Josef Schwaiger.
Eine geplante Gesetzesnovelle in Tirol wird wohl Änderungen für neue Handelsbetriebe bringen, vor allem
für Supermärkte. Bei Neuerrichtung will das Land verpflichtend Tiefgaragen oder Parkdecks vorschreiben.
Damit wolle man den Bodenverbrauch eindämmen. „Oft stehen einstöckige Supermärkte am Ortsrand auf
der ‚grünen Wiese‘, meist mit doppelt so viel Parkfläche drumherum. Diese ‚Zubetoniererei‘ soll der Vergangenheit
angehören“, sagte der für Raumordnung zuständige Landesrat Mag. Johannes Tratter.
Mag. Alfred Riedl, Präsident des Österreichischen Gemeindebunds, hält einen interkommunalen Finanzausgleich
für zielführend. Insgesamt sieht Riedl heute ein anderes Bewusstsein für Nachhaltigkeit als früher:
„Die heutigen Bürgermeister haben aus Fehlern der Vergangenheit gelernt. Sie hätten großes Interesse
daran, dass Reserven bebaut und Ortskerne belebt werden. Es geht darum, eine positive Entwicklung der Gemeinden
und der Wirtschaft zu ermöglichen und gleichzeitig wertvolle Grünräume zu schützen“, betont
Riedl.
Landwirtschaftskammer-Präsident Josef Moosbrugger fordert rasche Maßnahmen, um dem Bodenverbrauch und
seinen Folgen Einhalt zu gebieten. „Wenn es um die Lebensmittelproduktion geht, dann ist eben der Boden die Grundlage.
Und in der Geschwindigkeit, in der wir in Österreich unterwegs sind, kann es nicht weitergehen. Wofür
ich kämpfe und wofür ich eintrete, ist, dass der Bodenverbrauch ganz massiv reduziert wird.“ Es handle
sich dabei um eine Grundsatzfrage. „Wir verbauen die Zukunft der künftigen Generationen – und das müssen
wir hinterfragen“, so Moosbrugger.
Lösungsansätze gibt es viele
Um das Ziel der Nachhaltigkeitsstrategie der Österreichischen Bundesregierung aus dem Jahr 2002 (!) zu erreichen,
nämlich den Bodenverbrauch auf max. 2,5 Hektar pro Tag zu reduzieren, gibt es verschiedene Lösungsansätze:
- Österreichweite Leerstands-Datenbank und eine Flächenmanagement-Datenbank,
die Gemeinden dabei unterstützt, Baulücken und Leerstände in Ortskernen transparent zu erfassen
und bestmöglich zu nutzen
- Monetäre Anreizsysteme für eine Revitalisierungsoffensive
- Innenentwicklung vor Außenentwicklung
- Interkommunaler Finanzausgleich
- Schutz besonders wertvoller Flächen (landwirtschaftlicher
Vorrangflächen), wie am Beispiel der Schweiz, wo die produktivsten Landwirtschaftsböden für die
Ernährungssicherung der Bevölkerung gesetzlich vor Verbauung geschützt sind
- Vermehrtes Bauen in die Höhe und in die Tiefe
Dazu Weinberger abschließend: „Gerade die Sanierung des Leerstands unter dem Motto ‚Lieber sanieren statt
Wiesen und Äcker neu zubetonieren‘, schont die Umwelt und schafft tausende Arbeitsplätze. Ein perfektes
Beispiel, bei dem sich Ökologie und Ökonomie ergänzen und das kluge Volkswirtschaften und Unternehmen
bereits erkannt haben. Das sind wir unseren Kindern und Kindeskindern schuldig!“
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