Scheichelbauer-Schuster: Slowenischer Entsendebonus Gefahr für den EU-Binnenmarkt –
Aufforderung an Sozialministerin, Beschwerde bei der EU-Kommission einzulegen
Wien (pwk) - „Aus den vorliegenden Konjunkturzahlen wird deutlich: Die Handwerks- und Gewerbebetriebe konnten
auf sehr hohem Niveau weiter wachsen und damit das Allzeithoch aus dem Vorjahresquartal stabilisieren. Zudem starten
die EPU in die zweite Jahreshälfte mit einer guten Erwartungshaltung und einem deutlichen Plus an Auftragsbeständen“,
analysiert Renate Scheichelbauer-Schuster, Obfrau der Bundessparte Gewerbe und Handwerk in der Wirtschaftskammer
Österreich (WKÖ). Als Hauptgrund für diese Entwicklung sieht die Bundessparten-Obfrau den grassierenden
Fachkräftemangel. „Unsere Betriebe melden einen Personalbedarf von 3,3 Prozent, das sind mehr als 26.000 Personen
– bei derzeit rund 790.000 MitarbeiterInnen in der Sparte. Drei von vier Betriebe spüren den akuten Fachkräftemangel“,
so Scheichelbauer-Schuster.
Als eine „sehr unerfreuliche Maßnahme, die ganze Branchen vom Bau, Baunebengewerbe und die Ausbaubranchen
betrifft“, bewertet Scheichelbauer-Schuster den nach wie vor gültigen slowenischen Entsendebonus: „Hier erwarten
wir, dass das Sozialministerium im Interesse des heimischen Standortes initiativ wird und Beschwerde bei der EU-Kommission
gegen diese – aus unserer Sicht – rechtswidrige Beihilfe einlegt. Der europäische Binnenmarkt kann nicht zum
Bazar von nationalen Einzelinteressen werden, auf dem österreichische Betriebe zum Handkuss kommen.“
Slowenische Arbeitgeber, die ihre Arbeitnehmer ins Ausland entsenden, müssen nicht vom vollen Lohn, der in
Österreich gilt, Sozialversicherungsbeiträge zahlen (Durchschnittslohn am Bau 2.834 Euro brutto im Monat),
sondern nur von einem viel niedrigeren fiktiven slowenischen Lohn (Durchschnittslohn am Bau 1.339 Euro brutto im
Monat). Weiters gilt eine Rechtsvorschrift, die es erlaubt, die Berechnungsgrundlage weiter zu reduzieren.
„Das benachteiligt unsere redlichen Betriebe, führt zu einer massiven Ungleichbehandlung und widerspricht
damit dem EU-Wettbewerbsrecht“, so die Bundessparten-Obfrau, die darauf verweist, dass pro Arbeiter durchschnittlich
ein Unterschied von etwa 250 Euro durch den slowenischen Entsendebonus entsteht. Die Gewerkschaft Bau Holz hat
zudem berechtigter Weise auf den Umstand hingewiesen, dass Slowenien doppelt so viele Bauarbeiter in Österreich
und in die EU (99.307, davon 45.107 nach Österreich) entsendet, als tatsächlich in Slowenien arbeiten
(54.200) und damit ein Missbrauchsverdacht der Entsenderichtlinie vorliegt.
Fachkräftemangel führt zu mehr Aufträgen bei EPU
In Hinblick auf die Entwicklung der EPU betont Christina Enichlmair von der KMU Forschung Austria, dass vielfach
die Klein- und Mittelbetriebe keine kurzfristigen Aufträge mehr annehmen können und deshalb nun verstärkt
EPU angefragt bzw beauftragt werden. „Weil EPU hier flexibler agieren können, profitieren sie derzeit vom
Fachkräftemangel und wollen wachsen. 25,4 Prozent melden einen steigenden Auftragsbestand im 2. Quartal, 12,7
Prozent ein Plus in der Personalplanung. Auch wenn EPU am Gesamtumsatz von Handwerk und Gewerbe mit 2,5 Mrd Euro
nur einen Anteil von 2,6 Prozent haben, ist dies eine der Auswirkungen des Fachkräftemangels“, so Enichlmair.
Konjunktur im Gewerbe und Handwerk flacht sich ab
„Ausgehend von einem sehr hohen Vorjahresniveau fallen die Zuwachsraten nur mehr gering aus: Die Auftragseingänge
bzw. Umsätze sind im 1. Quartal 2019 gegenüber dem 1. Quartal 2018 wertmäßig um 0,2 Prozent
gestiegen. Dennoch wurden im 1. Quartal 2019 € 40 Mio mehr Umsatz als im Vorjahr erzielt“, so Enichlmair.
Im 2. Quartal beurteilten die österreichischen Gewerbe und Handwerksbetriebe die Geschäftslage gleich
gut wie im Vorjahr. Per Saldo überwiegen die Unternehmen mit einem guten Geschäftsverlauf weiterhin deutlich
(+16 Prozent-Punkte). Auch im Vergleich zum 1. Quartal 2019 ist das Stimmungsbarometer saisonbedingt gestiegen.
Die Auftragsbücher in den investitionsgüternahen Branchen sind nach wie vor voll: Der durchschnittliche
Auftragsbestand ist im Vergleich zum Vorjahr um +4,2 Prozent gestiegen. Steigerungen konnten insbesondere Elektro-,
Gebäude-, Alarm- und Kommunikationstechniker (+20,7 Prozent), Hafner, Platten- und Fliesenleger, Keramiker
(+16,7 Prozent) sowie Maler und Tapezierer (+12,2 Prozent) verzeichnen. Im Vergleich nach Betriebsgrößen
konnten vor allem Einpersonenunternehmen (EPU) (+25,4 Prozent) und Kleinstunternehmen (+16,1 Prozent) hohe Steigerungen
des durchschnittlichen Auftragsbestands verzeichnen.
Die Umsatzentwicklung in den konsumnahen Branchen ist positiv, flacht sich jedoch ebenfalls ab: Ausgehend von einem
positiven Saldo von +4 Prozent-Punkten im Vorjahr ist der Anteil der Betriebe mit Umsatzsteigerungen abzüglich
Umsatzrückgängen im 2. Quartal 2019 ausgeglichen. Eine besonders gute Umsatzentwicklung konnte bei den
Fotografen (Saldo: +9 Prozent-Punkte), den Mechatronikern (+5 Prozent-Punkte) sowie bei den Gesundheitsberufen
(+4 Prozent-Punkte) beobachtet werden.
„Die Erwartungen für das 3. Quartal 2019 sind weiterhin optimistisch, erreichen jedoch nicht mehr das hohe
Vorjahresniveau. Per Saldo überwiegen die optimistischen Einschätzungen um 7 Prozent-Punkte. Insgesamt
ist der Anteil der Betriebe, die keine Veränderungen erwarten, von 68 Prozent auf 73 Prozent gestiegen“, erläutert
Enichlmair.
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