Salzburg (universität) - Ein Forscherteam des Fachbereichs Geschichte der Universität Salzburg wühlt
sich derzeit durch hunderte von dicken Rechnungsbüchern, die über die Ausgaben der einstigen Pflegeeinrichtungen
im Salzburger Bürgerspital und im Bruderhaus seit Ende des 15.Jahrhunderts detailliert Auskunft geben. Die
im Laufe der Jahre schwankenden Preise von Getreide, Bier, Fleisch oder Brennholz und die unterschiedlichen Löhne
sind mehr als nur Zahlenspielereien. Richtig interpretiert, zeichnen sie ein genaues Abbild der wirtschaftlichen
Situation sowie der Lebenshaltung, die eine Stadt über die Jahre prägt.
Seit Oktober 2017 arbeitet das Forscherteam um Projektleiter Prof. Reinhold Reith und seinen Mitarbeitern Andreas
Zechner und Elias Knapp eng mit dem Salzburger Stadtarchiv zusammen. Von der peniblen und modernen Buchführung
in den frühen Aufzeichnungen des Bürgerspitals und des Bruderhauses sind sie begeistert. „Einnahmen und
Ausgaben werden genau angeführt. Wir bekommen nicht nur einen Überblick über diverse Einkäufe,
sondern sehen auch, welches Honorar an den Arzt oder welcher Lohn an die Köchin gezahlt wurde.“ Die Aufarbeitung
dieser Daten ist auch deshalb so wichtig, weil die Stadt Salzburg diesbezüglich noch unerforschtes Gebiet
war. „Über Wien oder andere europäische Städte gibt es bereits Material. Zu Salzburg, einer mittelgroßen
Stadt im Westen Österreichs – damals die Residenzstadt des Erzstifts - gab es bisher keine Daten. Der Vergleich
mit anderen Städten ist natürlich interessant“, so Reith. Dass ausgerechnet anhand von Daten kommunaler
Spitäler geforscht wird, hat einen triftigen Grund: „Die Spitäler waren große, öffentliche
Einrichtungen, die durch Spenden der Bevölkerung betrieben wurden. Die Buchführung war sehr genau und
wurde überprüft.“ Zudem stützt man sich auch in anderen Städten meist auf das Datenmaterial
aus Pflegeeinrichtungen. Das Salzburger Team kooperiert unter anderem mit Historikern der Universität Wien,
die Datenmaterial des Bürgerspitals in Wien und Klosterneuburg auswerten.
Europaweit wurde bereits in den 1930er Jahren zu Löhnen und Preisen geforscht. Doch die Salzburger Historiker
betrachten die vorliegenden Daten und die damit einhergehende These der „Great Divergence“ (in Bezug auf die Löhne
und die Lebenshaltung) kritisch. Diese These besagt unter anderem, dass Nordwesteuropa im 17. Jahrhundert den Rest
der Welt in der Wirtschaftsleistung überholt hat. „Man muss hier prüfen, welches Datenmaterial benutzt
wurde, wie es zustande gekommen ist und was es aussagen kann“, erklärt Reith. Die ältere Forschung hat
beispielsweise ausschließlich die Geldlöhne betrachtet und oft nur Schwankungen der Getreidepreise berücksichtigt.
In den Aufzeichnungen des Bürgerspitals sind aber auch zusätzlich sogenannte Naturallöhne verzeichnet.
Das Personal im Bürgerspital bekam auch Essen und Kleidung, was gerade in Zeiten von Nahrungsmittelknappheit
von Bedeutung und miteinzubeziehen ist.
Die mühevolle Eingabe und Auswertung von Lohn- und Preisreihen ist demnächst abgeschlossen. „Die moderne
Datenverarbeitung hilft uns dabei natürlich sehr. Früher, als man noch mit dem Taschenrechner gearbeitet
hat, wäre das in dem Ausmaß noch gar nicht möglich gewesen“, erklärt Reith. Der nächste
Schritt ist, die gewonnenen Ergebnisse überregional vergleichbar zu machen. Da es europaweit verschiedenste
Zahlungsmittel gab, wird eine Umrechnung auf Silberäquivalente vorgenommen. Mit Abschluss des Projekts ist
geplant, das Zahlenmaterial online zu stellen, damit auch andere Forscher darauf zugreifen können. Der Daten-Schatz
ist schließlich außergewöhnlich: Die beforschte Zeitspanne zieht sich vom 15. bis ins 19. Jahrhundert.
|