Der Bundespräsident appelliert beim Pressegespräch an die Parteien, trotz des Wahlkampfes
die Dialogfähigkeit zu erhalten.
Wien (hofburg) - "Kräfte schon, aber Spiel ist es keines", mahnte der Bundespräsident
am 9. Juli vor Journalisten. Die Debatte über die Parteienfinanzierung hält er noch nicht für
beendet. Mit der Arbeit der nach der "Ibiza-Krise" eingesetzten Regierung ist das Staatsoberhaupt zufrieden.
"Es ist gelungen, die aufgeheizte Innenpolitische Situation so weit abzukühlen, wie das in einer Vorwahlphase
möglich ist", lobt Alexander Van der Bellen die Regierung unter Kanzlerin Brigitte Bierlein. Nach dem
Ibiza-Video habe nämlich eine "Vertrauenskrise" gedroht: "Immerhin wollte der Vizekanzler der
Republik allen Ernstes 50 Prozent der Kronen Zeitung übernehmen lassen, um diese dann im Wahlkampf für
einen FPÖ-Erfolg zu instrumentalisieren."
Die von Experten scharf kritisierten neuen Regeln zur Parteienfinanzierung (Spendenbegrenzung ja, Rechnungshofkontrolle
nein) will der Bundespräsident inhaltlich nicht bewerten. "Ich bin mir sicher, dass dieses Thema nicht
endgültig vom Tisch ist", erwartet Alexander Van der Bellen weitere Debatten und möglicherweise
auch eine Verfassungsbeschwerde. Den von der SPÖ zuletzt angefeindeten Rechnungshof verteidigt Van der Bellen
aber gegen "Vorschussmisstrauen": "Ich würde alle Fraktionen bitten, nicht etwas zu tun oder
zu sagen, was das Vertrauen in die Institutionen schlechthin untergraben könnte."
Auf eine rasche Entscheidung drängt der Bundespräsident bei der Suche nach einem EU-Kommissar. Immerhin
gehe es auch um die Frage, welchen Kompetenzbereich der österreichische Kommissar erhalte. "Diese Entscheidung
kann nicht beliebig aufgeschoben werden." Nötig ist dafür ein Vorschlag der Regierung sowie eine
Mehrheit im Hauptausschuss des Nationalrats. Daher will Van der Bellen auch persönlich mit den Parteichefs
sprechen.
Die Parlamentsparteien fordert Van der Bellen auf, beim "freien Spiel der Kräfte" vor der Wahl
im Herbst die Erfahrungen des Jahres 2008 zu berücksichtigen. Er selbst habe damals als Abgeordneter "hautnah
miterlebt", wie schwer es gewesen sei, gegen Vorhaben zu stimmen, wenn einem das bei der Wahl schaden konnte:
"Ich bitte alle Oldtimer und Newcomer im Parlament, daran zu denken, wie das 2008 war."
Außerdem appelliert der Bundespräsident an die Parteien, trotz des Wahlkampfes die Dialogfähigkeit
zu erhalten. "Es gibt eine Zeit nach dem Wahlsonntag", erinnert der Bundespräsident an die danach
nötigen Koalitionsverhandlungen. Wobei Van der Bellen bezüglich einer Minderheitsregierung skeptisch
ist: "Mein Ziel wäre schon, eine Koalition mit Mehrheit im Parlament zu haben." Eine Dreierkoalition
wäre aus seiner Sicht aber zumindest nicht ausgeschlossen.
Stärker berücksichtigen will Van der Bellen im nächsten Regierungsprogramm den Klimawandel. Deutliche
Skepsis lässt das Staatsoberhaupt bei der Frage durchblicken, ob er den nach der Ibiza-Affäre entlassenen
Innenminister Herbert Kickl erneut angeloben würde. Er gibt zu bedenken, dass ihm Ex-Kanzler Sebastian Kurz
selbst im Mai die Entlassung vorgeschlagen habe. Sollte die ÖVP stärkste Partei werden, "würde
ich ja nicht davon ausgehen, dass Sebastian Kurz mir Herbert Kickl wieder vorschlägt".
"Ich bin schon ein bisschen stolz darauf, wie wir das hingekriegt haben."
In der Regierungskrise habe man mehrmals "Neuland" betreten, bilanzierte Van der Bellen - erstmals
habe der Bundespräsident auf Antrag des Kanzlers einen Minister entlassen, erstmals gab es einen erfolgreichen
Misstrauensantrag gegen eine ganze Regierung. "All das hat es in der Zweiten Republik noch nicht gegeben."
Sämtliche zur Bewältigung der Krise nötigen Schritte seien in der Verfassung aber wie in einer "Landkarte"
eingezeichnet gewesen. "Mein Respekt für Hans Kelsen ist enorm gewachsen", betonte der Bundespräsident.
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