Austausch über aktuelle Formen des Antisemitismus und Maßnahmen zu seiner Bekämpfung
Bregenz/Wien (pk) - Nationalratspräsident Wolfgang Sobotka lud am 24. und 25. Juli die ParlamentspräsidentInnen
der deutschsprachigen Länder zu einem zweitägigen Treffen in Bregenz. Aktuelle Formen des Antisemitismus
und Maßnahmen zu seiner Bekämpfung standen im Fokus des informellen Austauschs, der heuer erstmals in
Österreich stattfand. Neben Nationalratspräsident Sobotka nahmen der Präsident des Parlaments der
Deutschsprachigen Gemeinschaft Belgiens Karl-Heinz Lambertz, der Präsident des Deutschen Bundestages Wolfgang
Schäuble, der Präsident des Landtags Liechtensteins Albert Frick, der Präsident der Abgeordnetenkammer
Luxemburgs Fernand Etgen sowie Marina Carobbio Guscetti, Präsidentin des Nationalrates der Schweiz teil. Impulsreferate
hielten der Koordinator der Antisemitismusstudie des österreichischen Parlaments, Thomas Stern, Monika Schwarz-Friesel
vom Institut für Sprache und Kommunikation der Technischen Universität Berlin und Felix Klein, Beauftragter
der Bundesregierung für jüdisches Leben in Deutschland und den Kampf gegen Antisemitismus.
Sobotka: Antisemitismus ist demokratiegefährdende Einstellung
"Antisemitismus ist nicht nur eine Frage des Hasses oder der Verachtung, sondern eine demokratiegefährdende
Einstellung," unterstrich Nationalratspräsident Sobotka sein Anliegen zur Diskussion des Themas mit den
ParlamentspräsidentInnen. Die Antisemitismus-Studie 2018 im Auftrag der Parlamentsdirektion habe Handlungsbedarf
in Österreich aufgezeigt. Nun gehe es um einen Austausch, wie seine AmtskollegInnen die Situation in ihren
Ländern einschätzen. Die informellen Treffen der ParlamentspräsidentInnen der deutschsprachigen
Länder haben sich seit 2016 zu einer guten Tradition des Austausches entwickelt, so der Nationalratspräsident.
Zur Bekämpfung von Antisemitismus in jeder Form könne er sich dieses Treffen als Möglichkeit vorstellen,
eine gemeinsame Haltung einzunehmen. Um gegen Antisemitismus vorzugehen, brauche es einen gesamtgesellschaftlichen
Ansatz.
Impulsreferate verdeutlichen Situation betreffend Antisemitismus
Der Koordinator der Antisemitismusstudie des österreichischen Parlaments, Thomas Stern, wies darauf hin, dass
es zwar durchaus historische Erfolge und einen Rückgang des Antisemitismus gebe. Einstellungen könnten
geändert werden, sagte Stern, und Bildung wirke. Jedoch gebe es auch im Jahr 2018 bei 10% der Bevölkerung
manifesten und bei 30% latenten Antisemitismus. Der Experte sprach in diesem Zusammenhang von einem "importierten"
Narrativ, der bei manchen Gruppen stark ausgeprägt ist. Manifester Antisemitismus wird der Studie zufolge
vor allem in den Einstellungsdimensionen des rassistischen Antisemitismus und der Holocaust-Leugnung sichtbar.
Monika Schwarz-Friesel vom Institut für Sprache und Kommunikation der Technischen Universität Berlin
berichtete aus ihrer langjährigen Analyse über aktuellen Antisemitismus im digitalen Zeitalter. Die öffentliche
Verbreitung von multi-modalen Antisemitismen über das Web 2.0 nehme weltweit zu, so Schwarz-Friesel. Dabei
zeige sich, dass alte, feindselige Stereotype sich mit aktuellen Konzeptualisierungen verbinden.
Es komme dabei auch zu einer semantischen Radikalisierung, wobei die "gefühlte" Wahrheit operationalisiert
werde. Die virtuelle Welt spiegle sich auch in der realen Welt wider. Vor Jahren habe eine Prognose bereits gelautet:
Wenn dem Israel-bezogenen Antisemitismus nicht entschiedener entgegengetreten werde, würden auch andere Formen
vermehrt und dreister auftreten. Genau das bewahrheite sich heute, so die Expertin.
Felix Klein, Beauftragter der Bundesregierung für jüdisches Leben in Deutschland und den Kampf gegen
Antisemitismus, informierte über aktuelle Maßnahmen der deutschen Bundesregierung zur Bekämpfung
des Antisemitismus. Die Bundesrepublik Deutschland sehe sich aufgrund der deutschen Geschichte in einer besonderen
Verantwortung gegenüber ihrer jüdischen Bevölkerung, unterstrich Klein. Die Bekämpfung von
Antisemitismus in all seinen Facetten und Erscheinungsformen sei dementsprechend eine Priorität der gesamten
Bundesregierung. So wurde etwa im April des vergangenen Jahres das Amt des Beauftragten der Bundesregierung für
jüdisches Leben in Deutschland und den Kampf gegen Antisemitismus neu geschaffen. Außerdem habe die
deutsche Bundesregierung die Einsetzung einer Bund-Länder-Kommission zur Bekämpfung von Antisemitismus
und zum Schutz jüdischen Lebens beschlossen. Ein zentrales Projekt sei auch ein Meldesystem zur Erfassung
antisemitischer Vorfälle unterhalb der Strafbarkeitsschwelle.
Am Abend des 24. Juli folgten die ParlamentspräsidentInnen auch der Einladung des Vorarlberger Landeshauptmanns
Markus Wallner zu einem gemeinsamen Abendessen in Bregenz. Auch ein gemeinsamer Besuch der Oper "Rigoletto"
bei den Bregenzer Festspielen stand auf dem Programm.
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