Rückenwind für den europaweiten Atomausstieg

 

erstellt am
01. 08. 19
13:00 MEZ

EuGH öffnet die Tür gegen Laufzeitverlängerungen und prüft die Zulässigkeit von Milliardensubventionen für neue AKW - weitere Initiativen gegen Atomkraft
Linz (lk) - Der EuGH hat mit seinem Urteil vom Montag Anschobers "Allianz der Regionen für einen europaweiten Atomausstieg" massiv gestärkt: Laufzeitverlängerungen brauchen gemäß EuGH als Entscheidungsgrundlage eine grenzüberschreitende Umweltverträglichkeitsprüfung. Bisher ist dies etwa bei massiven Laufzeitverlängerungen in Tschechien und Slowenien nicht geschehen. Oberösterreich prüft daher Rechtsschritte, denn eine im Auftrag der Allianz erarbeitete internationale Studie zeigt, dass das Risiko von Atomreaktoren mit einer Überalterung massiv steigt. Und auch bei den wenigen AKW Neubau-Projekten schaut es gut aus für die Atomgegner/innen: das Projekt Flamanville in Frankreich sollte 2012 in Betrieb gehen, nun erfolgte neuerlich eine Verzögerung bis vorerst 2022. Und internationale Studien beweisen, dass neue AKW immer unwirtschaftlicher werden. Eine besonders wichtige Weichenstellung ist daher die für Herbst erwartete Entscheidung des EuGH über die von Anschober initiierte Nichtigkeitsklage gegen die Zulassung einer Milliardensubvention für das britische AKW-Projekt Hinkley Point. Schlechte Aussichten auch für neue Reaktorblöcke in Dukovany und Temelin - auch hier wendet sich Anschober wegen drohender Verletzungen des Wettbewerbsrechts an Brüssel. In den nächsten Tagen sucht Anschober auch die Unterstützung der Bundesregierung in diesen Fragen.

Ausgangslage: AKWs - unrentable Auslaufmodelle
Nichts geht mehr beim Neubau von Atomkraftwerken - daher setzt die Atomindustrie trotz bereits veraltetem Kraftwerkspark auf Laufzeitverlängerungen für alte AKWs - etwa in Tschechien, der Slowakei, Ungarn, Schweden, Belgien und anderen Ländern. Schon jetzt ist der Kraftwerkspark innerhalb der EU in die Jahre gekommen: Die 125 Reaktoren haben ein

Durchschnittsalter von 33,4 Jahren - 72 Prozent der Reaktoren sind seit mehr als 31 Jahren in Betrieb. Dies birgt ein hohes Risiko, da die Anlagen dafür nicht ausgelegt sind und teilweise auch bereits Leistungserhöhungen auf Kosten der Sicherheitsreserven durchgeführt wurden. Die AKW aus den 1970er Jahren sind, bis auf wenige Ausnahmen (AKW Krsko 40 Jahre), für eine Betriebsdauer von 30 Jahren konzipiert.

Beispiele AKW-Laufzeiten:

"Allianz der Regionen für einen europaweiten Atomausstieg" und ihre Ziele


Die von LR Anschober initiierte Allianz der Regionen für einen europaweiten Atomausstieg spricht sich für eine europäische Energiewende ohne Atomkraft aus. Die Allianz ist von acht Gründerregionen auf 16 Mitglieder aus Belgien, Deutschland und Österreich angewachsen und wird von Luxemburg und den Partnernetzwerken "Cities for a nuclear free Europe (CNFE) und den Nuclear Free Local Authorities (NFLA) unterstützt. Oberösterreich ist in der Koordinierungsfunktion für die Allianz tätig.

Neben einem Nein zu staatlichen Subventionen für AKW-Neubauprojekte hat die Allianz auch klare Regeln für eine Begrenzung der AKW-Laufzeiten zum Ziel. Die konkreten Forderungen sind:

  • verpflichtende grenzüberschreitende Umweltverträglichkeitsprüfungen (UVP) bei Anträgen auf Laufzeitverlängerungen und
  • eine Begrenzung von Laufzeiten durch eine Höchstgrenze von 40 Jahren für Atomkraftwerke in der EU.

"Wir wollen ein Ende der Milliardensubventionen für neue Atomprojekte in Brüssel erreichen, gleichzeitig haben wir uns zum Ziel gesetzt, das wachsende Risiko durch immer ältere Atomreaktoren und damit verbunden immer mehr Laufzeitverlängerungen mit klaren Regeln durch Brüssel zu begrenzen. Gelingt beides ist das der Einstieg in den europaweiten Atomausstieg, denn der Neubau von Atomkraftwerken ist völlig unwirtschaftlich geworden", sagt Umwelt-Landesrat Anschober.

Neue Studie zur Atomkraft: Zu teuer und zu gefährlich
Als "zu teuer und zu gefährlich" beschreibt eine aktuelle Studie des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) die Atomkraft. Ein Team von Wissenschaftler/innen des DIW untersuchte die Fragestellung, ob es wirtschaftlich sinnvoll ist in Atomkraft zu investieren bzw. weiterhin AKW zu bauen und zu betreiben anhand aller 674 bisher gebauten AKW - mit klaren Erkenntnissen:

  • bereits in den 1950er Jahren war klar, dass die zivile Nutzung der Atomkraft "keine Chancen auf ökonomische Wettbewerbsfähigkeit hatte";
  • privatwirtschaftliche Investitionen in Atomkraft sind mit hohen Verlusten verbunden, im Schnitt betragen diese ca. fünf Milliarden Euro pro AKW (exkl. Kosten für Rückbau und Atommüllendlagerung);
  • Bsp. AKW-Neubauprojekt Flamanville (Frankreich): siehe Abb. 1 Kosten: geplant 3,3 Mrd. Euro / voraussichtlich 10,9 Mrd. Euro Inbetriebnahme: geplant 2012 / frühestmöglich 2022
  • die Studien-Autor/innen fordern einen raschen weltweiten Atomausstieg, ein Ende nuklearer Subventionen und das Streichen nuklearer Forschungsgelder.

Die beiden Entscheidungen über europaweiten Atomausstieg: Subventionen und Laufzeitverlängerungen
Wie die aktuelle Studie des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung erneut aufzeigt, ist Atomstrom mittlerweile völlig unwirtschaftlich. Aus diesem Grund werden zwei Weichenstellungen über die Zukunft der Atomenergie in Europa entscheiden: die Zulässigkeit von Milliardensubventionen für den Neubau von AKW und klare, begrenzende Regeln für die Laufzeiten von AKW.


Entscheidung 1: Klage gegen Milliardensubventionen für das AKW-Neubauprojekt Hinkley Point
Noch in diesem Jahr erwartet wird das letztgültige Urteil des EuGH über eine von Anschober initiierte Nichtigkeitsklage der Republik Österreich gegen wettbewerbsverzerrende Milliardensubventionen für das britische AKW-Projekt Hinkley Point. Die Klage wurde 2015 eingereicht und richtet sich gegen die Entscheidung der damaligen EU-Kommission, mit knapper Mehrheit die geplante Milliardensubvention für das britische AKW-Projekt Hinkley Point zu akzeptieren.

Das Urteil zu Hinkley Point C ist als Präzedenzfall für weitere AKW-Neubauprojekte in Europa zu sehen. Nicht nur für die Subventionen für das ungarische Neubauprojekt Paks II - wogegen die Republik Österreich Anfang 2018 ebenso Klage vor dem EuG erhoben hat, sondern betrifft auch die Ausbau-Pläne in Tschechien. Denn ohne Förderungen wird es zu keinen Neubauten von AKW mehr kommen, da die Atomenergie mittlerweile völlig unwirtschaftlich ist.

Entscheidung 2: Aktuelles EuGH-Urteil zur Laufzeitverlängerung AKWs in Belgien begründet UVP-Pflicht
Der EuGH hat in seinem Urteil vom 29. Juli 2019 in einem von belgischen NGOs angestrebten Verfahren gegen die Laufzeitverlängerung bei den belgischen AKWs Doel 1 und 2 erkannt, dass Laufzeitverlängerungen UVP-pflichtig und auch nach Aarhus- und Espoo-Konvention sowie FFH-RL genehmigungspflichtig sind.

Oberösterreichs Umwelt-Landesrat Rudi Anschober sieht damit seine Forderung und die Forderung der von ihm gegründeten "Allianz der Regionen für einen europaweiten Atomausstieg" eindrucksvoll bestätigt.

Die rechtlichen Auswirkungen dieses Urteils gilt es nun zu nutzen, denn in der jüngeren Vergangenheit wurden von den nationalen Behörden mehrfach Laufzeitverlängerungen genehmigt - ohne eine grenzüberschreitende Umweltverträglichkeitsprüfung durchzuführen. Es handelt sich dabei unter anderem um Laufzeitverlängerungen für die AKWs in Tschechien (Dukovany) und Slowenien (Krsko).

"Nachdem das kürzlich erfolgte EuGH-Urteil als ein für ganz Europa gültiges Grundsatzurteil zu sehen ist, prüfen wir nun Rechtsschritte, um die notwendige UVP auch bei den oben angeführten AKWs durchzusetzen oder aber den Betrieb wegen schwerer Verfahrensmängel zu stoppen. Dazu habe ich mich bereits in einem Schreiben an die Bundeskanzlerin und Wirtschaftsministerin gewandt. Zusätzlich treten wir an EU-Kommission und Europaparlament mit dem Appell heran, als Folge des EuGH-Urteils die Verbindlichkeit von grenzüberschreitenden UVP auch unmittelbar im EU-Recht zu verankern", so LR Anschober.

Studie Risiken von alten Atomreaktoren: Alarmierendes Zwischenergebnis
Alternde Atomreaktoren sind sehr anfällig für Unfälle. Um diese steigende Gefahr für die Bevölkerung Europas aufzuzeigen, hat Umwelt-Landesrat Rudi Anschober gemeinsam mit der "Allianz der Regionen für einen europaweiten Atomausstieg" eine internationale Studie über die Zunahme des Sicherheitsrisikos durch Laufzeitverlängerungen in Auftrag gegeben.

Die Studie der INRAG (International Nuclear Risk Assessment Group) von 15 Top- Expert/innen - unter anderem den ehemaligen Chefs der Atomaufsichtsbehörden in den USA und Deutschland - untersucht die Bedeutung der Alterung von Atomkraftwerken. Analysiert werden auch der Umgang mit den Risiken alter Anlagen und die geforderte kontinuierliche Erhöhung des Sicherheitsniveaus von Atomkraftwerken in Europa.


Erste Zwischenergebnisse wurden im Frühjahr präsentiert und sind alarmierend:

  • die Laufzeitverlängerungen erhöhen das Sicherheitsrisiko massiv
  • die Verfahren, die über diese Laufzeitverlängerungen entscheiden sind völlig intransparent
  • die Verfahren bringen keinerlei Mitspracherecht für die Nachbarstaaten und deren Bevölkerung
  • die Uralt-AKWs wären heute nicht mehr genehmigungsfähig


LR Anschober: "Die Studie zeigt die dramatischen Sicherheitsrisiken der derzeitigen Praxis von Laufzeitverlängerungen alter AKWs auf. Nicht zuletzt aufgrund des aktuellen Urteils im Fall Belgien muss auf europäischer Ebene dringend gehandelt werden - es braucht einheitliche Standards der EU zur Begrenzung der Laufzeit. Nur so kann das wachsende Risiko verlässlich beschränkt werden. Der Endbericht der Studie wird im Rahmen einer Veranstaltung im Herbst in Brüssel von der Allianz präsentiert und der politische Diskurs mit dem Europaparlament und der neuen EU-Kommission gestartet."

Ankündigung auf Errichtung neuer Reaktorblöcke in Tschechien bringt wenig Neues – Schritte nach Brüssel
Tschechiens Regierung hat Anfang Juli angekündigt, vorrangig einen weiteren Reaktorblock am Standort Dukovany, aber auch in Temelin zu planen und hat dafür einen ersten Entwurf eines Finanzierungsmodells vorgelegt. Fachexpert/innen gehen davon aus, dass das vorgelegte Modell einer Staatsgarantie im Widerspruch zu EU-Regelungen im Wettbewerbsrecht steht.

Da die neuen AKW-Blöcke sich nicht rechnen würden, hat die tschechische Regierung eine höchst fragwürdige Finanzabsicherung konstruiert: Eine Tochtergesellschaft von CEZ nimmt die Kredite und setzt das Projekt um. Der Staat übernimmt die Absicherung und wenn es - was zu erwarten ist - große Probleme gibt (Verzögerungen, Verteuerungen etc.), springt der Staat ein. Fachexpert/innen sollen nun prüfen, ob hier versucht wird Staatsgarantien in Einklang mit Europarecht zu bringen.

LR Anschober: "Wir werden alle rechtlichen und politischen Schritte zu nützen versuchen, um das Projekt zu stoppen und um es zu verzögern. Wir wollen keine weitere Risikoerhöhung in unserer Nachbarschaft. Jedes Jahr an Verzögerung erhöht unsere Chancen. Und klar ist, dass es zuallererst in der Hand der EU-Kommission liegt, das Projekt aufgrund einer drohenden Umgehung des europäischen Wettbewerbsrechts durch Staatsgarantien von Beginn an zu stoppen. Wir lassen nun von Fachexpert/innen eine präzise Argumentationslinie aufbereiten und werden uns dann Anfang September an die EU- Kommission wenden."

Auch der vorgelegte Zeitplan für die Umsetzung hält Überprüfungen nicht stand. Eine Ausschreibung dürfte nicht vor 2021 eröffnet werden, das Verfahren dürfte drei Jahre oder mehr dauern. Mit einer allfälligen Baugenehmigung und Inbetriebnahme ist im Fall von Dukovany keinesfalls vor den Jahren 2030 bzw. 2040 zu rechnen.

Aufklärungsoffensive: Atomkraftwerke sind kein taugliches Mittel zur Lösung der Klimakrise
Von der Atom-Lobby wird immer wieder versucht, Atomkraft als Option für eine klimafreundliche Energieversorgung darzustellen. Auch mit diesem Mythos räumt die aktuelle Studie des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) auf: Klimaschutz geht mit der Umstellung auf Erneuerbare Energien einfacher und billiger. Co-Autorin Claudia Kemfert: "Die Idee, den Klimawandel mit Atomkraft zu bekämpfen ist nicht neu, aber wir zeigen, wie falsch und irreführend sie ist." Auch Wissenschaftler/innen des MIT haben die Kosten von Atomenergie für mehrere Regionen berechnet und kommen zum gleichen Ergebnis: In der Stromerzeugung sind Wind und Photovoltaik immer günstiger als die Atomkraft, selbst bei optimistischen Annahmen für die nukleare Erzeugung.

Wie viel die Atomkraft zur Klimarettung beitragen könnte, hat die Internationale Energieagentur (IEA) untersucht. Um das Zwei-Grad-Ziel zu erreichen, müssten die weltweiten Emissionen von heute 37 Mrd. Tonnen bis 2050 auf unter 5 Mrd. Tonnen sinken. Fast 40 Prozent der Reduktion kann durch Energieeffizienz erreicht werden. Ein Drittel könnten die erneuerbaren Energien beisteuern. Die Kernkraft käme in diesem Szenario auf einen Anteil von fünf Prozent. Um diesen minimalen Beitrag zu leisten, müssten etwa 1.000 AKWs neu gebaut werden.

Und auch die Hitze-Wetterlage wirkt sich aus, denn AKWs müssen abgeschaltet oder gedrosselt werden, wenn die Temperatur der zur Kühlung notwendigen Flüsse zu hoch wird. So aktuell in Frankreich, wo von den 58 Atomkraftwerken 20 abgeschaltet sind, 12 weitere laufen nur mit begrenzter Leistung. Auch in der Schweiz musste die Leistung des AKW Beznau gedrosselt werden, aufgrund einer zu hohen Temperatur der Aare. Das AKW Temelin hat aktuell nur einen Reaktor im Betrieb - wegen der Hitze in den vergangenen Tagen wurde dieser eine Block aber durch alle vier Kühltürme gekühlt.

 

 

 

Allgemeine Informationen:
http://www.land-oberoesterreich.gv.at

 

 

 

 

 

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