Wie Bakterien es schaffen, gegen den Strom zu schwimmen, war bisher nicht klar. Ein Forschungsteam
mit Beteiligung der TU Wien fand dafür eine physikalische Erklärung.
Wien (tu) - Bakterien können gegen den Strom schwimmen – und das ist oft ein ernstes Problem, etwa
wenn sie sich in Wasserrohren oder in medizinischen Kathetern ausbreiten. Wie ihnen das gelingt, war bisher nicht
klar. Ein internationales Forschungsteam mit Beteiligung von Andreas Zöttl von der TU Wien, konnte diese Frage
nun beantworten: Mit Hilfe von Experimenten und mathematischen Berechnungen konnte eine Formel gefunden werden,
die alle wesentlichen Aspekte dieser erstaunlichen Bakterien-Bewegung beschreibt. Damit könnte es möglich
werden, durch passendes Design von Röhrenoberflächen die Ausbreitung von Bakterien zu verhindern oder
zumindest zu verlangsamen. Die Ergebnisse wurden nun im Fachjournal „Nature Communications“ publiziert.
Zwischen Physik und Biologie
Viele Bakterienarten, etwa die E. coli Bakterien, die im Wasser oft zur Gesundheitsgefahr werden können, bewegen
sich mit Hilfe kleiner Geißelschwänzchen fort – den sogenannten Flagellen. „Man kann sich das allerdings
nicht so vorstellen wie die Fortbewegung eines Fisches“, sagt Andreas Zöttl vom Institut für Theoretische
Physik der TU Wien. „Fische spüren die Richtung der Strömung und können sich gezielt dafür
entscheiden, in eine bestimmte Richtung zu schwimmen. Bakterien sind viel einfacher gebaut. Ihr Verhalten lässt
sich durch ganz grundlegende physikalische Gesetzmäßigkeiten erklären.“
Oft lagern sich Bakterien an Oberflächen an, die von Flüssigkeiten überströmt werden – das
kann die schlecht geputzte Duschkabine sein, ein Abwasserrohr oder auch ein Katheterschlauch. „An solchen Oberflächen
ist das Verhalten der Bakterien besonders interessant“, sagt Andreas Zöttl. „Es zeigt sich nämlich, dass
die Bakterien genau dort, direkt an den Oberflächen, oft gegen den Strom wandern.“ Sie werden also nicht mit
dem Abwasser fortgespült, sondern schwimmen dem Fluss entgegen. Gemeinsam mit Kolleginnen und Kollegen der
Universität Stanford, der Universität Oxford und dem ESPCI in Paris machte sich Andreas Zöttl auf
die Suche nach einer physikalischen Erklärung für diesen Effekt.
Theorie und Experiment
Andreas Zöttl arbeitete mit theoretisch-mathematischen Methoden: Er berechnete, wie ein Bakterium in einer
strömenden Flüssigkeit ausgerichtet und gedreht werden kann, wie die Strömung mit der Bewegung der
Flagellen zusammenwirkt und welche Bewegungsmöglichkeiten sich dadurch rein mathematisch ergeben. „Dabei gelangt
man zu dem bemerkenswerten Ergebnis, dass es unterschiedliche, klar voneinander unterscheidbare Bewegungsarten
gibt, je nach Stärke der Strömung“, erklärt Andreas Zöttl.
In leichten Strömungen drehen sich die Bakterien einfach im Kreis, ab einem bestimmten Punkt beginnen sie,
sich gegen die Strömungsrichtung zu bewegen. In noch stärkeren Strömungen oszillieren sie an der
Oberfläche hin und her, oder sie trennen sich in zwei unterschiedliche Gruppen, die in unterschiedliche Richtungen
wandern. Mit einer einzigen mathematischen Formel kann eine ganze Palette an bakteriellen Bewegungsmustern erklärt
werden.
Gleichzeitig entwickelte man in Paris technische Methoden, um die Bewegungen einzelner Bakterien mit speziell gesteuerten
Mikroskopen zu messen – und bei diesen Messungen fand man genau dieselben klar unterscheidbaren Bewegungstypen,
die auch die theoretischen Berechnungen ergeben hatten. „Das zeigt uns, dass unsere Theorie richtig ist“, sagt
Andreas Zöttl. „Besonders schön daran ist, dass die Ergebnisse sehr robust sind: Sie hängen nicht
empfindlich von irgendwelchen Details ab, daher lässt sich unsere Formel auf viele unterschiedliche Arten
von Bakterien anwenden.“ Sogar DNA-Stränge, die im Zellplasma herumschwimmen, lassen sich mit der neuen Theorie
korrekt beschreiben.
Das Team hofft, mit dem neugewonnenen Verständnis der Bewegungsmöglichkeiten von Bakterien nun Methoden
finden zu können, die Bakterien an der Fortbewegung zu hindern. „Vielleicht kann man in Zukunft Katheter im
Inneren mit einer bestimmten geometrischen Oberflächenstruktur ausstatten, die Bakterien an der Wanderungsbewegung
gegen den Strom hindert“, hofft Andreas Zöttl.
Originalpublikation
A. Mathijssen et al., Oscillatory surface rheotaxis of swimming E. coli
bacteria, Nature Communicationsvolume 10, 3434 (2019). doi.org/10.1038/s41467-019-11360-0
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