Sektenbericht 2018: Von der Esoterikszene
 bis hin zu den Staatsverweigerern

 

erstellt am
16. 08. 19
13:00 MEZ

Bundesstelle seit 20 Jahren kompetenter Ansprechpartner in Weltanschauungsfragen
Wien (pk) – Seit ihrer Einrichtung im November 1998 beobachtet die Bundesstelle für Sektenfragen die weltanschauliche und spirituelle Landschaft in Österreich, wobei die gesellschaftlichen Veränderungen im Laufe der Zeit deutliche Spuren hinterlassen haben. Zudem sei die weltweite Verbreitung von Ideologien und das Missionieren von Menschen mittels Internet und Social Media einfacher denn je, auch das Angebotsspektrum werde immer breiter und unüberschaubarer, ist dem aktuellen Tätigkeitsbericht aus dem Jahr 2018 zu entnehmen (III-316 d.B.). Die an die Bundesstelle herangetragenen Themen reichen dabei vom weiten Feld der Esoterik bis hin zu Okkultismus, fundamentalistischen Strömungen und religiösem Extremismus.

Wie schon in den letzten Jahren ist den diversen "souveränen Bewegungen", die auch mit Begriffen wie Staatsverweigerer, Freeman, Reichsbürger oder Staatenbund Österreich umschrieben werden, ein eigenes Kapitel gewidmet. Eingang in den Bericht fanden abermals umstrittene Unterrichtskonzepte wie etwa die Lais-Lernmethode, die im Bildungsbereich immer mehr an Einfluss gewinnen. Ein verstärktes Interesse konnte auch an der sogenannten Freilerner-Szene (Unschooler, Homeschooler etc.) beobachtet werden. Um einen besseren Einblick in die konkrete Arbeit zu geben, werden in einem eigenen Abschnitt unter strikter Wahrung des Datenschutzes ausgewählte "Fallbeispiele" präsentiert.

Zentrale Servicestelle bietet umfangreiches Beratungs- und Hilfsangebot
Die Bundesstelle für Sektenfragen, an die sich im Jahr 2018 insgesamt 1.649 Personen (2017: 1.360) gewandt haben, steht als zentrale Service- und Anlaufstelle allen Privatpersonen, Institutionen und staatlichen Einrichtungen zur Verfügung. Sie versteht ihre Tätigkeit vor allem als Hilfestellung für Menschen beim Abschätzen möglicher Gefahren und bei der Lösung auftretender Konflikte. In den letzten 20 Jahren wurden Informationen zu mehr als 2.600 unterschiedlichen Gemeinschaften, Organisationen oder Angeboten eingeholt. Nicht in den Zuständigkeitsbereich der Bundesstelle, die der Aufsicht durch das Bundeskanzleramt unterliegt, fallen die gesetzlich anerkannten Kirchen und Religionsgemeinschaften.

Neben möglichst objektiver Information und Dokumentation bietet die Einrichtung individuelle psychosoziale Beratungen (429 Fälle im Jahr 2018), Präventionsarbeit sowie Fort- und Weiterbildungsmaßnahmen. Aufgrund des hohen Interesses an bestimmten Themen (z.B. Staatsverweigerer, alternative Unterrichtskonzepte etc.) stellten Medienanfragen abermals einen Arbeitsschwerpunkt dar. Es zeigte sich, wie sehr die Bundesstelle als kompetente Ansprechpartnerin sowohl im Print-, Radio- als auch im TV-Bereich zu Recherche- und Interviewanfragen wahrgenommen wird. So löste etwa die Vergabe eines öffentlichen Großauftrags an einen Esoteriker, der einen "energetischen Schutzring" um das sich in Bau befindliche Krankenhaus Nord (KH Nord) in Wien legen sollte, eine hohe Anzahl an Anfragen zu Esoterik aus. Insgesamt ließ sich eine weitere Zunahme an Anfragen und Beratungsfällen verzeichnen.

Einen vertiefenden Einblick in die speziellen Herausforderungen der Arbeit mit Betroffenen und ihren Angehörigen gibt die 2018 erschienene Publikation der langjährigen stellvertretenden Geschäftsführerin der Bundesstelle und Psychotherapeutin Sylvia Neuberger "Menschen auf der Suche", wie im Bericht in eigener Sache angemerkt wird. Von ihr wurde auch ein spezifisches Beratungsmodell entwickelt, das nicht nur in der Bundesstelle selbst, sondern auch in anderen Organisationen erfolgreich angewendet wird.

Was den Personalstand angeht, so ist die Situation aufgrund der Kürzungen in den vergangenen Jahren weiter angespannt, kann man dem Bericht entnehmen. Derzeit umfasst das Team fünf MitarbeiterInnen, wobei zwei vollzeit- und drei teilzeitbeschäftigt sind. (www.bundesstelle-sektenfragen.at).

Staatsverweigerer: Erstmals Verurteilung wegen versuchter Bestimmung zum Hochverrat
Im Bereich der diversen Strömungen, die die Legitimität des Staates leugnen, zum Teil Parallelstrukturen aufbauen wollen und die als souveräne Bewegungen, Reichsbürger, Freeman, OPPT, Staatsverweigerer etc. bezeichnet werden, hatte sich im Jahr 2018 der Fokus besonders auf den "Staatenbund Österreich" gerichtet. Der Beginn des Prozesses gegen 14 Mitglieder dieser Gemeinschaft im Oktober 2018 in Graz rückte dieses Phänomen wieder in den Mittelpunkt. Die Verhandlung gab einen tieferen Einblick in die Praktiken des "Staatenbundes" und die Mentalität seiner Mitglieder. Medial im Fokus standen vor allem die Drohbriefe und Anstiftungen, die die "Präsidentin" Monika Unger und ihre MitstreiterInnen an zahlreiche teils hochrangige BeamtInnen, PolitikerInnen und Einrichtungen wie etwa das Bundesheer verschickt haben. Unger wurde schließlich u.a. wegen Gründung einer staatsfeindlichen Verbindung und – erstmals in der Geschichte der Zweiten Republik- wegen versuchter Bestimmung zum Hochverrat zu 14 Jahren Haft verurteilt.

Generell zeichnen sich diese Bewegungen dadurch aus, dass das vertretene Gedankengut meist von stark verschwörungsideologischen Theorien und Narrativen geprägt ist. Fast immer lehnten diese Gruppierungen und Milieus den Staat und seine Institutionen ab, erachten ihn als nicht souverän oder betrachten den Staat als Firma, mit der man keinen Vertrag eingegangen ist. Auch anti-semitisches, rechtsextremes oder rechtsesoterisches Gedankengut ist weit verbreitet. Seit dem 1. September 2017 gibt es mit dem Paragraphen 247a einen neuen und eigens auf das Phänomen "Staatsverweigerer" zugeschnittenen Straftatbestand.

Näher im Bericht beleuchtet werden auch die Entwicklungen rund um die Gruppe "International Common Law Court of Justice Vienna" (ICCJV), einer weniger beachteten Vereinigung von "Staatsverweigerern". Bei zwei Razzien im Oktober 2018 wurden neben Waffen und Munition auch Anleitungen zum Bombenbau gefunden.

Fallbeispiele: Von Heilversprechen bis hin zur "schwarzen Magie"
Der 132 Seiten umfassende Bericht enthält auch einige ausgewählte Fallbeispiele, die dazu beitragen sollen, die tägliche Arbeit der Bundesstelle für Sektenfragen besser zu veranschaulichen. Betroffene suchten nicht nur Unterstützung beim Rückzug aus einer Gemeinschaft, bei vielen gehe es auch um die Verarbeitung von Erlebtem, um Neuorientierung oder die Klärung von Konflikten mit Angehörigen. So wandten sich etwa Personen an die Bundesstelle, die Hilfe bei spirituellen Meistern und Zentren suchten, wo sie oft nicht nur finanziell ausgebeutet, sondern auch einem starken psychischen Druck ausgesetzt waren. Wer etwa bei den Seminaren fehlte, wurde gehässig beschimpft oder massiv bedrängt, zeigte sich in einem Fall. Andere wiederum hatten Angst, die Gemeinschaft zu verlassen, weil sie sonst von der "schwarzen Magie" des Gurus verflucht würden.

Da Menschen, die schwere Gesundheitsprobleme haben, besonders anfällig für jede Form von Heilungsversprechen sind, gab es auch in diesem Bereich zahlreiche Fälle. Je größer die Verzweiflung, desto höher sei oftmals die Bereitschaft, beträchtliche Geldsummen auszugeben, Mühen auf sich zu nehmen oder sich einem ideologischen Weltbild anzuschließen, das Gesundheit verspreche. Einem Mann, der an Krebs erkrankt war, wurde z.B. von einer Heilerin ausgeredet, sich operieren zu lassen. Sie meinte, man solle nicht zu ÄrztInnen gehen, die würden Menschen nur töten. Sie gab ihm ein Fläschchen "Silberwasser", nach dessen Einnahme sich beim Betroffenen Vergiftungserscheinungen zeigten.

Im Kapitel "Kinder und Jugendliche" wird ein Fall geschildert, in dem sich eine Frau Sorgen machte, ihre Tochter bei ihrer Schwester alleine in Obhut zu lassen. Diese lehnte nämlich die Schulmedizin ab und ging stattdessen zu Heilerinnen, denen sie hohe Geldbeträge überwies. Außerdem sah sie alle Familienmitglieder zunehmend als feindliche Bedrohung an; eine Cousine bezeichnete sie gar als dämonisch. Anlass zu einer Beratung gab auch das Verhalten eines Lehrers an einer Neuen Mittelschule, der in den Pausen Gebetskreise einrichten wollte. Einige Eltern befürchteten Missionierungsabsichten, da er dem den freikirchlichen Bereich nahe stand.

 

 

 

Allgemeine Informationen:
https://www.parlament.gv.at

 

 

 

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