Innovative neue Technik verschiebt die Grenzen der Nanospektrometrie für Materialdesign
Wien (universität) - Um das Verhalten von modernen Materialien wie Graphen zu verstehen und für
Bauelemente der Nano-, Opto- und Quantentechnologie zu optimieren, ist es entscheidend zu wissen wie Schwingungen
zwischen den Atomen – sogenannte Phononen – die Materialeigenschaften beeinflussen. ForscherInnen der Universität
Wien, vom AIST und der Firma JEOL in Japan sowie der Universität La Sapienza in Rom haben nun eine neues Messverfahren
entwickelt, das alle Phononen eines nanostrukturierten Materials bestimmen kann. Dies ist ein Durchbruch in der
Analyse von Funktionsmaterialien und nanostrukturierten Bauelementen. Mit ihrem Pilotversuch konnten die ForscherInnen
am Beispiel von Graphen-Nanostrukturen die Einzigartigkeit ihres Ansatzes zeigen, welcher in der jüngsten
Ausgabe vom Fachjournal Nature publiziert wird.
Wichtige thermische, mechanische, optoelektronische und Transport-Eigenschaften von Materialien werden von Phononen
bestimmt, sich ausbreitenden Schwingungen zwischen den Atomen des Materials. Eine lokale Messung dieser Phononen
ist von großer Bedeutung, wenn man nanoelektronische Bauelemente optimieren will. In der Nano- und Quantentechnologie
spielen insbesonders zweidimensionale Materialien wie Graphen und deren Variationen in einem Graphen-Nanoband eine
große Rolle. Bisher war es jedoch mit keiner herkömmlichen Methode möglich, alle Phononen einer
einzelnen, freitragenden Schicht eines zweidimensionalen Materials zu bestimmen.
Neue Grenzen der Nanospektroskopie
Nun hat ein internationales Forschungsteam aus weltweit führenden ExpertInnen um Thomas Pichler an der
Universität Wien und KollaboratorInnen von der La Sapienza Universität in Rom, AIST Tsukuba und der Firma
JEOL in Japan eine neue Methode entwickelt, die diese Hürde überwindet, und in einem Präzedenzfall
auf Graphen-Nanostrukturen angewandt. Dazu verwendeten die WissenschafterInnen ein Elektronenmikroskop mit so großer
Auflösung, dass es selbst eine einzelne Schicht von Atomen abbilden kann. Hochauflösende Elektronenspektroskopie
in diesem Mikroskop ermöglichte es erstmals erfolgreich alle Schwingungen einer freitragenden Graphen-Schicht
sowie die lokale räumliche Ausdehnung verschiedener Schwingungen in einem Graphen-Nanoband wie einen Fingerabdruck
zu messen. Das innovative Verfahren, das sogenannte "large-q-mapping", eröffnet nicht nur komplett
neue Möglichkeiten die atomaren Schwingungen von allen nanostrukturierten und zweidimensionalen Materialien
bis hinunter zu einzelnen Atomschichten zu ermitteln. Es verschiebt auch die gegenwärtigen Grenzen der Nanospektroskopie
zu einer berühmten Einschränkung der Quantenphysik, der Heisenbergschen Unschärferelation. Diese
erlaubt es nur bis zu einer gewissen Genauigkeit, die die neue Elektronenspektroskopie-Technik beinahe erreicht,
bestimmte Paare von Eigenschaften wie z.B. Ort und Impuls eines Teilchens gleichzeitig zu bestimmen.
Neues Elektronen-Nanospektrometer als 'Tisch-Synchrotron'
Der erfolgreiche direkte experimentelle Nachweis des vollständigen Fingerabdrucks lokaler atomarer Schwingungen
aller Materialien sogar von einzelnen Schichten zweidimensionaler Materialien und Nanobändern und selbst in
nicht-perfekten Strukturen wie Ecken, Kanten oder Defekten ist für das Verständnis und für die Optimierung
der lokalen Eigenschaften eines Materials äußerst wichtig. In der Kombination von Mikroskopie und Spektroskopie
war bis dato die simultane orts- und impulsabhängige Auflösung aufgrund der Heisenbergschen Unschärferelation
eine der größten Herausforderungen. Die im Fachjournal Nature beschriebene neue Messtechnik stellt nun
einen entscheidenden Schritt hin zur Nanospektroskopie aller Materialien durch Kombination von orts- und impulsabhängiger
Messungen dar. "Wir sind überzeugt, dass unsere neue Methode die weitreichende Forschung in der Materialwissenschaft
vorantreiben und die hochauflösende Elektronenspektroskopie in der Elektronenmikroskopie auf die nächste
Stufe vorwärtsbringen wird. Man kann sich das neuartige Verfahren auch als echtes 'Tisch-Synchrotron' vorstellen",
fasst Thomas Pichler von der Universität Wien, einer der Hauptautoren, zusammen.
Unterstützt durch FWF und EU und JSPS.
Originalpublikation in "Nature"
"Position and momentum mapping of vibrations in graphene nanostructures
in the electron microscope”, Ryosuke Senga, Kazu Suenaga, Paolo Barone, Shigeyuki Morishita, Francesco Mauri, Thomas
Pichler, Nature, 2019, DOI: 10.1038/s41586-019-1477-8
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