Bundeskanzlerin beim Europäischen Forum Alpbach 2019
Alpbach/Wien (bka) - Die Bundeskanzlerin sprach anlässlich der Eröffnung der Politischen Gespräche
im Rahmen ihres Besuches beim Europäischen Forum Alpbach. "Die Hoffnung, dass sich die freien liberalen
Demokratien überall auf der Welt durchsetzen würden, hat sich trotz des inzwischen geeinten Europas nicht
erfüllt. Gemäß Demokratieindex gibt es weltweit noch immer mehr als 50 autoritäre Regimes
und fast 40 Staaten mit autoritären Zügen", sagte Bundeskanzlerin Brigitte Bierlein in ihrer Rede.
"Auch in Teilen Europas nehmen Tendenzen, demokratische Werte einzuschränken, bedenklich zu", ergänzte
die österreichische Regierungschefin.
"Das Europäische Forum Alpbach bietet jährlich auf höchstem Niveau die Möglichkeit, grundlegende
Fragen unserer Zeit ohne Tabus und Aufgeregtheit zu diskutieren. Wenn ich hier das Engagement, den Intellekt und
die Leidenschaft erlebe, mit der vor allem die jungen Menschen an die Sache herangehen, bin ich voller Zuversicht
im Sinne starker Demokratien, eines geeinten Europas sowie des Friedens und der Freiheit auf der Welt", freute
sich die Bundeskanzlerin auf einen bereichernden Austausch.
Freiheitsrechte größtmöglich wahren
"Freiheit und Sicherheit, Öffentlichkeit und Privatheit sind Grundrechte und stehen in einem besonderen
Spannungsverhältnis zueinander. Jeder Form der Kriminalität muss der Staat mit legalen Mitteln begegnen
können. Dennoch sind dabei die Freiheitsrechte jeder und jedes Einzelnen größtmöglich zu wahren",
skizzierte Brigitte Bierlein das Verhältnis zwischen notwendigen Überwachungsmaßnahmen und Datenschutz
sowie zwischen Privatsphäre und Öffentlichkeit. Absolute Freiheit könne es ebenso wenig geben wie
absolute Sicherheit – beides seien Elementarbedürfnisse eines jeden Menschen.
"In unserer digitalisierten Welt stehen diese Grundrechte in einem schwer auflösbaren Spannungsverhältnis",
betonte die Bundeskanzlerin, wobei das richtige Maß, um ein adäquates Verhältnis zu schaffen, strittig
sei. Es gelte, die sensible Balance zwischen beiden Antipoden zu wahren. Als Beispiel der schwierigen Abgrenzung
nannte sie die Vorratsdatenspeicherung.
Recht basiert auf Freiheit
"Wir alle müssen uns diesen Fragen stellen, wenn wir in Zukunft eine Welt des friedlichen Miteinanders
und der Freiheit gewährleisten wollen. Das umfasst auch eine soziale, eine gesellschaftlich verantwortliche
Komponente“, so Bierlein. Das Recht könne nicht zum Instrument allumfassender Risikovorsorge werden. Der demokratische
Rechtsstaat gehe von einem idealistischen Fundament aus, das auf dem Primat der Freiheit basiere. Das sei auch
die wichtigste Bedingung für Stabilität und Frieden.
Politische Beteiligung fördern
Zur Bedeutung der Demokratie merkte die Bundeskanzlerin zudem an, dass uns der innere demokratische Kompass
als Gesellschaft zur Toleranz führe. Die Menschen seien mit dem Gedanken aufgewachsen, dass damit dem Gemeinwohl
am besten gedient sei: "Für das Freiheitsgefühl ist es aber unerlässlich, dass jede und jeder
Einzelne frei von Furcht und Existenzangst an der Mehrheitsbildung mitwirken kann". Kern der Freiheit und
des Friedens seien der demokratische Rechtsstaat, die demokratische Möglichkeit, politisch frei mitreden zu
können, und die Selbstverpflichtung, dieses Privileg auch wahrzunehmen. "Wir müssen die politische
Beteiligung, das Zugehörigkeitsgefühl fördern. Nur so können das demokratische Gemeinwesen
gesichert und radikale Ränder isoliert werden", so Brigitte Bierlein abschließend.
Die globalen Nachhaltigkeitsziele sind ein zivilisatorischer Fortschritt
"Die globalen Nachhaltigkeitsziele sind ein zivilisatorischer Fortschritt", so die Bundeskanzlerin.
In ihren einleitenden Worten zur Breakout Session über die Förderung der UN-Nachhaltigkeitsziele in Europa
betonte die Bundeskanzlerin: "Die Tatsache, dass es sie gibt, beweist, dass wir als Menschen und als Wertegemeinschaft
dazulernen. Die Ziele geben Milliarden Menschen Hoffnung und Perspektive für ein besseres Leben." Dabei
solle nicht unerwähnt bleiben, dass sich die Lebensumstände vieler Menschen in den letzten Jahrzehnten
spürbar verbessert haben. Nun sei jedoch angesichts der herrschenden globalen Ungleichheit "ein kollektives
Umdenken von den Industriestaaten ebenso wie von weniger entwickelten Ländern" erforderlich.
Österreich im Spitzenfeld bei Umsetzung der Entwicklungsziele
Österreich sei zwar ein kleines Land, habe aber eine starke Stimme. "Wir sind in multilateralen Fragen
aus Überzeugung Mitgestalter. Bei der Umsetzung der Nachhaltigen Entwicklungsziele der Vereinten Nationen
liegen wir im Spitzenfeld, auf Platz 5 im globalen Vergleich", so die Bundeskanzlerin. Ein wesentlicher Schritt
für Österreich sei auch der erste freiwillige Bericht zur Umsetzung der Nachhaltigen Entwicklungsziele,
der im Sommer 2020 im Rahmen des Hochrangigen Politischen Forums der Vereinten Nationen in New York präsentiert
werde. "Es gilt darzustellen, welche konkreten Maßnahmen und Projekte in unserem Land auf den Weg gebracht
wurden, und es gibt durchaus einiges vorzuweisen."
Konsequente Transformation beginnt bei uns selbst
Dennoch sei all das, was bereits geschehe, nicht genug. "Wir müssen schlichtweg mehr machen. Wenn
wir tatsächlich eine bessere Welt anstreben, dann brauchen wir eine echte, konsequente Transformation und
die beginnt in den Köpfen der Menschen, bei jedem einzelnen von uns", betonte Bierlein. Der Prozess der
Bewusstseinsbildung müsse fortgesetzt und an einer bestmöglichen Umsetzung der Nachhaltigkeitsziele gearbeitet
werden. Das Forum Alpbach leiste zu dieser Diskussion einen wertvollen Beitrag und biete eine ideale Plattform,
um von anderen zu lernen.
Abschließend rief die Bundeskanzlerin zu globalem, kollektivem Denken und regional angepasstem Handeln auf:
"Nachhaltige Lösungen leben von belastbaren Partnerschaften. Gerade jungen Menschen kommt dabei eine
besondere Verantwortung zu, multilateral zu denken und zu leben, sich nicht in Feindbilder hineintreiben zu lassen
und sich die Offenheit für Gegenargumente zu bewahren. Wir müssen miteinander leben, nicht gegeneinander."
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