Von 24. September 2019 bis 26. Jänner 2020 im Museum Gugging
Gugging (museum gugging) - Sie ist die wohl bedeutendste und wirkungsmächtigste historische Sammlung im Bereich
der Art Brut: die Sammlung Prinzhorn. Im Jahr 1919 begann der Heidelberger Psychiater und Kunsthistoriker Hans
Prinzhorn PatientInnenwerke zu sammeln. Mit diesen Arbeiten, so der Plan, sollte ein Museum für "pathologische
Kunst" eröffnet werden. Prinzhorn veröffentlichte im Jahr 1922 ein Buch mit den Ergebnissen seiner
Arbeit: Die "Bildnerei der Geisteskranken". In der folgenreichen Publikation stellte er u.a. die Arbeiten
von zehn "schizophrenen Meistern" vor. Der reich bebilderte und eindrucksvolle Band erweckte auch die
Aufmerksamkeit der künstlerischen Avantgarde, die mit großem Interesse und Enthusiasmus die Impulse
aus der Psychiatrie aufgriff. Der Künstler Jean Dubuffet etwa war so von den Werken beeindruckt, dass er nach
1945 selbst psychiatrische Kliniken besuchte und auf die Suche nach der von ihm so genannten "Art Brut"
ging. Auch die Nationalsozialisten beschäftigten sich mit dieser Kunst und missbrauchten die Werke aus der
Sammlung Prinzhorn als Vergleichsmaterial in der Ausstellung "Entartete Kunst", um moderne KünstlerInnen
zu diffamieren.
Erstmals präsentiert nun das museum gugging ausgewählte Arbeiten aus dieser einmaligen historischen
Sammlung. Im Zentrum der Schau steht Else Blankenhorn, deren Werke (neben anderen aus der Sammlung) damals nicht
von Prinzhorn berücksichtigt wurden, aber Vorbild und Inspiration für den Expressionisten Ernst Ludwig
Kirchner werden sollten.
Zur Ausstellung
Kurator Johann Feilacher präsentiert in der Schau "die sammlung prinzhorn.! art brut vor der art
brut." jene zehn ausgewählten "schizophrenen Meister", die Hans Prinzhorn in seinem Buch vorgestellt
hatte. Darüber hinaus hat Feilacher aber besonderes Augenmerk auf wenig oder unbekannte Arbeiten aus der Sammlung
gerichtet und zeigt Werke, die auch Prinzhorn selbst niemals gezeigt hatte und die seit 1921 im Archiv verwahrt
sind.
Den BesucherInnen eröffnet sich in dieser Schau ein Einblick in die Schaffenswelt von internierten Menschen
im frühen 20. Jahrhundert, deren vielfältige ästhetische Strategien und Formen der Kommunikation
beeindrucken.
Zu den künstlerisch interessantesten Positionen zählt Else Blankenhorn, einer Leitfigur dieser Ausstellung.
Blankenhorn lebte seit 1899 im Privatsanatorium Bellevue am Bodensee und gehörte zu einem privilegierten PatientInnenkreis.
Von ihrer Familie mit Ölfarben und Leinwand ausgestattet und von eigener Zofe unterstützt, schuf Blankenhorn
ein umfassendes und vielfältiges künstlerisches Werk im Sanatorium Bellevue. Eine Mission verfolgte sie
immer wieder in ihrer Arbeit: Als Gattin von Kaiser Wilhelm II im Geiste fühlte sie sich für alle Liebespaare
verantwortlich, die beim Jüngsten Gericht wiederauferstehen sollten. Um diese - auch finanzielle - Last tragen
zu können, produzierte sie eine Serie eindrucksvoller Banknoten. Der Expressionist Ernst Ludwig Kirchner,
der bei einem Aufenthalt in Bellevue auf ihre Arbeit aufmerksam wurde, beschrieb ihre Kunst (ohne Blankenhorns
Namen zu nennen) als sein Ideal und setzte sich künstlerisch intensiv mit ihrem Werk auseinander.
Auch die anderen Arbeiten aus Prinzhorns Sammlung - besonders jene, die dieser in seinem Buch präsentierte
- wurden schnell für die nach neuen künstlerischen Ausdrucksformen suchende Avantgarde interessant. Paul
Klee, Oskar Schlemmer, Pablo Picasso oder Alfred Kubin sind nur einige Namen jener, die sich inspirieren ließen.
Einige der Arbeiten von Max Ernst haben direkte Bezüge zu den von Prinzhorn vorgestellten Patienten-Künstlern,
vor allem zu jenen von August Natterer, von dessen Arbeiten sich auch andere Surrealisten inspirieren ließen.
Kunst aus der Psychiatrie - Die Sammlung Prinzhorn
Hans Prinzhorn (1886-1933), Kunsthistoriker, Sänger und Psychiater, wurde im Jahr 1919 an der Psychiatrischen
Universitätsklinik Heidelberg angestellt. Klinikleiter Karl Wilmanns beauftragte ihn damit, einen Fundus bereits
gesammelter PatientInnenwerke aufzuarbeiten. Ziel war es, ein Museum für
"pathologische Kunst" aufzubauen. Prinzhorn aber wollte die Sammlung erweitern und richtete einen Aufruf
an Psychiatrien in Deutschland, Österreich und der Schweiz und bat um Zusendung von Arbeiten. Die Resonanz
war beachtlich: Bis zum Jahr 1921 erhielt er etwa 5000 Zeichnungen und Objekte - ein weltweit einzigartiger Fundus.
Im Jahr 1922 - nachdem Prinzhorn die Klinik bereits verlassen hatte - erschien sein Buch "Bildnerei der Geisteskranken",
das bereits durch seine opulente Ausstattung einem Kunstbuch glich. Thomas Röske, der heutige Leiter der Sammlung
Prinzhorn, meint, dass es Prinzhorn um eine Neubegründung der Kunst durch die Werke von Menschen ging, die
durch psychisches Ausnahmeerleben, aber auch durch das Separieren in Anstalten zu AußenseiterInnen der Gesellschaft
geworden waren. Gerade weil diese Männer und Frauen angeblich fern jeder Tradition und ohne Gedanken an ein
Publikum schufen, waren ihre Werke für ihn authentischer, ‚echter' als jene professioneller KünstlerInnen.
Das Buch Prinzhorns entfaltete dann auch seine Wirkung weniger bei Psychiatern als vielmehr bei den Kunstinteressierten
der Moderne, die nach dem Ersten Weltkrieg das "Andere der Vernunft" für die Kunst entdeckten. Vielversprechend
war auch der gesellschaftliche Sprengstoff, den diese Kunst in sich barg und der einige Jahre später auch
für den französischen Künstler und Sammler Jean Dubuffet interessant wurde.
Dubuffet machte sich auf die Spur von Prinzhorn und besuchte nach dem Zweiten Weltkrieg psychiatrische Kliniken
um die rohe, unverfälschte und unbeeinflusste Kunst zu finden: "L'Art Brut". Ohne die Sammlung Prinzhorn
und ihre Wirkung wäre die Kunstgeschichte des 20. Jahrhunderts sicherlich anders verlaufen.
Zu den bekanntesten Künstlern und Künstlerinnen des historischen Bestandes zählen Else Blankenhorn,
Franz Karl Bühler, Karl Genzel, Paul Goesch, Emma Hauck, August Klett, August Natterer, Agnes Richter, Joseph
Schneller, Barbara Suckfüll oder Adolf Wölfli.
Heute ist die Sammlung Prinzhorn ein Museum für Kunst von Menschen mit psychischen Ausnahmeerfahrungen.
Neben den historischen Arbeiten gibt es mittlerweile einen großen Fundus an neueren Werken. Der historische
Bestand umfasst ca. 6000 Zeichnungen, Aquarelle, Gemälde, Skulpturen, Textilien und Texte.
KünstlerInnen
Karl Ahrendt, Else Blankenhorn, Franz Karl Bühler [Pseudonym Pohl], Friedrich Leonhard Fent, Johann Karl Genzel
[Pseudonym Brendel], Josef Heinrich Grebing, Carl Günther, Heinrich Hack, Oskar Friedolin Herzberg, August
Klett Pseudonym Klotz], Stefan Klojer, Johann Knopf [Pseudonym Knüpfer], Carl Robert Lange, Peter Meyer [Pseudonym
Moog], August Natterer [Pseudonym Neter], Clemens von Oertzen [Pseudonym Viktor Orth], Joseph Schneller [Pseudonym
Sell], Adolph Schwartz, Louis Umgelter, Oskar Voll, Carl August Ernst Weber, Hyacinth Freiherr von Dr. Wieser [Pseudonym
Heinrich Welz], Marie Werner, Karl Adam Zimmermann
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