Arbeit und Bildung zentrale Themen für Menschen mit Behinderung
Wien (pk) - Arbeitsmarktpolitische Maßnahmen zur Senkung der überdurchschnittlich hohen Arbeitslosenquote
bei Menschen mit Behinderung – das fordert die Behindertenanwaltschaft in ihrem jüngsten Tätigkeitsbericht
(III-311 d.B.). So brauche Österreich ein Anreizsystem für Arbeitgeber, Menschen mit Behinderung zu beschäftigen,
etwa mittels befristeter Übernahme eines Teils der Lohnnebenkosten. Wichtig bei der Umsetzung dieser und anderer
Anliegen ist Hansjörg Hofer, seit 2017 Anwalt für Gleichbehandlungsfragen für Menschen mit Behinderung,
dass sie "von allen gemeinsam verfochten werden". Nur dann seien die Forderungen effektiv durchzusetzen,
wie sich bei der Implementierung des Erwachsenenschutzgesetzes 2018 gezeigt habe, so Hofer.
Das Aufgabengebiet der Behindertenanwaltschaft beschränkt sich jedoch nicht allein auf die Vernetzung mit
Entscheidungsträgern in Politik und Verwaltung. Vorrangig ist der Behindertenanwalt zuständig für
die Beratung und Unterstützung von Personen, die sich entweder im Sinne des Bundes-Behindertengleichstellungsgesetzes
oder des Behinderteneinstellungsgesetzes diskriminiert fühlen. Eine gebührenfreie Hotline, ein digitales
Postfach und Sprechtage ermöglichen KlientInnen einen niederschwelligen Zugang zu fachlicher Hilfestellung.
Laut Bericht protokollierte die Behindertenanwaltschaft 2018 insgesamt 644 Akten über Sachverhalte, die Menschen
mit Behinderungen, deren Angehörige, Selbsthilfegruppen und Interessensvertretungen an sie herantrugen.
Thematisch an Spitze lag bei den von der Behindertenanwaltschaft angelegten Akten mit 88 Fällen das Thema
Arbeitswelt. Weitere Schwerpunktbereiche waren Bildung, Barrierefreiheit und Wohnen. Zu diesen komplexeren, verakteten
Anliegen traten noch 554 telefonische Beratungen und 40 Schlichtungsverfahren, bei denen die Behindertenanwaltschaft
als Vertrauensperson teilnahm.
Individuelle Arbeitsvermittlung sicherstellen
Die Gespräche mit Betroffenen verdeutlichen laufend Schwachstellen in der Gesetzgebung des Bundes und der
Länder, heißt es aus der Behindertenanwaltschaft, die daher entsprechende Änderungen anregt. Hinsichtlich
Arbeit und Beschäftigung sei unter anderem zu gewährleisten, dass Arbeitssuchende mit Behinderungen oder
gesundheitlichen Vermittlungseinschränkungen unabhängig vom computergestützten Arbeitsvermittlungssystem
PAMAS individuell durch adäquate Maßnahmen gefördert und vermittelt werden. Weiters seien die Kriterien
für die Feststellung der Arbeitsunfähigkeit neu zu fassen, und zwar mit Bedacht auf das Lebensalter,
um auch schwer beeinträchtigten Menschen den Zugang zu Leistungen und Unterstützungsangeboten zu sichern.
Generell fordert der Behindertenanwalt eine schrittweise Verbreiterung der von der Beschäftigungspflicht umfassten
Arbeitgeber.
Inklusive Bildung ermöglichen
Im Bildungsbereich vermisst die Behindertenanwaltschaft ein konkretes, zeitlich festgelegtes Ziel der inklusiven
Beschulung für alle Kinder und Jugendliche mit Behinderung. In diesem Zusammenhang müssten außerdem
die Ressourcen für sonderpädagogischen Förderbedarf dem tatsächlichen Bedarf angepasst werden
und den Lehrkräften bei ihrer Aus- und Weiterbildung das Thema Inklusion nähergebracht werden, ebenso
wie die Gebärdensprache als Unterrichtssprache. Ausgeweitet gehörten zudem inklusive Angebote bereits
in der Elementarpädagogik ab dem 1. Lebensjahr eines Kindes, drängt die Behindertenanwaltschaft.
Am Programm der abgetretenen ÖVP-FPÖ-Regierung wird im Bericht das Bekenntnis gelobt, den Bereich Arbeit
sowie Schulbildung und Wiederqualifizierung für Menschen mit Behinderung auf ein höheres Niveau zu bringen,
beispielsweise durch die Förderung der Übertrittsmöglichkeiten von Personen aus Beschäftigungstherapieeinrichtungen
in den Arbeitsmarkt. Äußerst kritisch sieht die Behindertenanwaltschaft allerdings das Vorhaben der
ehemaligen Regierung, das Sonderschulwesen zu erhalten und zu stärken, anstatt die Inklusion von SchülerInnen
mit besonderem Förderbedarf im Regelschulwesen voranzutreiben. Eingemahnt wird außerdem, die in Tageswerkstätten
geleistete Arbeit mit der Auszahlung von Entgelten – und nicht wie bislang mit Taschengeld – zu entlohnen. Eine
Vollversicherung in der Sozialversicherung sollte dabei den Erwerb von Anwartschaften auf eine Eigenpension ermöglichen.
Barrierefreiheit ausweiten
"Immer noch sehr viel zu tun" bleibt den BerichtsverfasserInnen zufolge bei der Sicherstellung umfassender
Barrierefreiheit des öffentlichen Raums, wie es das Bundes-Behindertengleichstellungsgesetz verlangt. Obwohl
die gesetzliche Frist zur Beseitigung baulicher Barrieren in öffentlichen Gebäuden sowie im öffentlichen
Verkehr mit 31. Dezember 2015 abgelaufen ist, sei man noch weit vom Ziel eines barrierefreien Zusammenlebens entfernt.
Aus diesem Grund müsse in den einschlägigen Ausbildungsvorschriften in den Bereichen Bau, Verkehr und
Medien "Barrierefreiheit" als Pflichtinhalt verankert werden. Wohnbauförderung solle es nur für
barrierefrei geplante und umgesetzte Bauprojekte geben, lautet eine weitere Forderung der Behindertenanwaltschaft.
Immerhin stehe man angesichts der demografischen Entwicklung vor einem immer größer werdenden Bedarf
an Barrierefreiheit.
Sozialrecht adaptieren
Von mehreren Anpassungen im Sozialrecht, die seitens der Behindertenanwaltschaft gefordert werden, implementierte
der Nationalrat im Juli 2019 jene, die auf die regelmäßige Valorisierung des Pflegegelds abzielt. Noch
nicht umgesetzt wurden dagegen unter anderem die Forderungen nach Persönlicher Assistenz in allen Lebensbereichen,
nach Förderung der Ersatzpflege von Angehörigen auch bei Kurzzeit-Verhinderung und nach Schaffung eines
Inklusionsfonds nach dem Vorbild des Pflegefonds. Wichtig ist der Anlaufstelle für Menschen mit Behinderung
überdies, dass Pflegegeld und Familienbeihilfe bei anderen Sozialleistungen wie der Sozialhilfe (ehemals bedarfsorientierte
Mindestsicherung) nicht als Einkommen angerechnet werden.
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