Neukonzeption der Ausstellung im Lern- und Gedenkort
Alkoven/Linz (lk) - Die Ausstellung „Wert des Lebens“ im Lern- und Gedenkort Schloss Hartheim in Alkoven
in Oberösterreich wird neu gestaltet und setzt sich ab der Wiedereröffnung im Frühjahr 2020 auch
mit der „Entgrenzung der Möglichkeiten“, also den aktuellen Entwicklungen im Bereich Biopolitik und Biotechnologie,
auseinander. „Die Aufarbeitung der NS-Zeit in Oberösterreich hat nach wie vor höchste Priorität.
80 Jahre nach Beginn der schrecklichen Ereignisse, wird mit der Neugestaltung der Ausstellung ‚Wert des Lebens‘
sichergestellt, dass auch kommende Generationen eine zeitgemäße und ihrer Lebensrealität entsprechende
Auseinandersetzung finden“, so Landeshauptmann Mag. Thomas Stelzer.
Berlin, Oktober 1939: „Reichsleiter Bouhler und Dr. med. Brandt sind unter Verantwortung beauftragt, die Befugnisse
namentlich zu bestimmender Ärzte so zu erweitern, daß nach menschlichem Ermessen unheilbar Kranken bei
kritischster Beurteilung ihres Krankheitszustandes der Gnadentod gewährt werden kann.“
In dem vor 80 Jahren von Adolf Hitler verfassten Schreiben, rückdatiert auf den Kriegsbeginn am 1. September,
übertrug er Reichsleiter Philipp Bouhler und seinem Begleitarzt Karl Brandt die Durchführung der „Euthanasie“
von als „lebensunwert“ eingestuften Menschen. Allein in Schloss Hartheim, einer von insgesamt sechs nationalsozialistischen
Euthanasie-Anstalten für Menschen mit Behinderung und psychisch Kranke, führte die sogenannte „Aktion
T4“ zwischen 1940 bis 1941 zur Ermordung von mehr als 18.000 Personen. Nach dem Abbruch der „Aktion T4“ im August
1941 wurden in Schloss Hartheim bis Ende 1944 kranke, arbeitsunfähige KZ-Häftlinge der Lager Mauthausen,
Gusen, Dachau und Ravensbrück sowie Zwangsarbeiter/innen getötet. Die Gesamtopferzahl der Jahre 1940
bis 1944 beträgt bis zu 30.000 Menschen, von denen bislang rund 23.000 mit Namen und Daten erhoben werden
konnten.
Geschichtliche Aufarbeitung im Lern- und Gedenkort Schloss Hartheim
1997 beschloss die OÖ Landesregierung einstimmig die Errichtung eines Lern- und Gedenkortes in Schloss Hartheim,
der eine Gedenkstätte für die Opfer des Nationalsozialismus sowie eine Ausstellung mit dem Titel „Wert
des Lebens“ umfassen sollte. Ziel war die Einbettung der nationalsozialistischen Krankenmorde in eine Geschichte
des Umgangs mit Menschen, die den gesellschaftlichen Anforderungen nicht genügen (können). Vor 16 Jahren,
im Jahr 2003, wurden die Gedenkstätte und die Sonderausstellung des Landes Oberösterreich eröffnet.
16 Jahre, die eine Fülle von grundlegenden Entwicklungen im Bereich von Biopolitik und Biotechnologie gebracht
haben.
Wie steht es um den „Wert des Lebens“ im Zeitalter von fortschreitenden Biotechnologien und des digitalen Umbruchs
in Alltag, Arbeitswelt und Industrie (Stichwort „4.0“)? Weiterentwicklung und Neueröffnung der Ausstellung
in Schloss Hartheim.
Das neue Ausstellungskonzept von Brigitte Kepplinger und Florian Schwanninger schärft den Blick für den
Umgang mit „den Unbrauchbaren“ in unserer Gesellschaft, wobei der Fokus auf der Herausarbeitung der historischen
Entwicklung dieses Umgangs liegt. Wie und von wem wird „(Un-)Brauchbarkeit“ definiert? Die Industrialisierung des
19. Jahrhunderts definierte diese Parameter neu. Gleichzeitig entstanden Institutionen, die „die Unbrauchbaren“
aufnehmen, versorgen und auch disziplinieren sollten. Biologische Zugänge, wie die der Eugenik, versuchten
über Verhaltensänderung hinaus zu gehen und durch Selektion „neue Menschen“ zu schaffen, wobei immer
auch der ökonomische Aspekt eine zentrale Rolle spielte.
Die neue Ausstellung thematisiert sowohl die Situation beeinträchtigter bzw. psychisch kranker Menschen vom
19. Jahrhundert bis zur Gegenwart, verfolgt die Spuren eugenischen Denkens nach 1945, geht aber vor allem auch
auf die „Entgrenzung der Möglichkeiten“ durch die Entwicklungen in Biopolitik und Biotechnologie ein und versucht,
diese Entwicklungen zu reflektieren und problematisieren. Entgrenzung der Fortpflanzung („Kinder machen“) wird
ebenso thematisiert, wie die Bewältigung und angepeilte Überwindung des Alters durch Verlängerung
der Lebensspanne bis hin zum Transhumanismus, der ewiges Leben verspricht („Den Tod besiegen“). Ein weiterer inhaltlicher
Bereich ist der Druck zur (Selbst-)Optimierung in Richtung „fit, gesund und schön“ („Den Menschen optimieren“).
Die Ausstellung wird gestaltet von Mag. Hans Kropshofer und Mag. Gerald Lohninger („Kunst oder Gestaltung“). Die
Kosten für die Neugestaltung und -konzeption in der Höhe von 740.000 Euro werden zur Gänze vom Land
OÖ getragen.
Über den Lern- und Gedenkort Schloss Hartheim:
2003 wurden die Gedenkstätte und Ausstellung „Wert des Lebens“, eine Sonderausstellung des Landes Oberösterreich,
in Schloss Hartheim eröffnet. Der Lern- und Gedenkort wird jährlich von ca. 18.000 Personen besucht.
Ein nach Dauer und Themensetzung differenziertes Vermittlungsangebot steht den Besucher/innen zur Verfügung.
Die meisten von ihnen sind Schülerinnen und Schüler aus den Bundesländern sowie aus dem benachbarten
Bayern, außerdem besuchen jährlich mehrere tausend Menschen aus Italien, Frankreich, Polen und anderen
Ländern Schloss Hartheim. Träger des Lern- und Gedenkortes ist der 1995 gegründete „Verein Schloss
Hartheim“. Der Betrieb des Lern- und Gedenkortes wird durch eine gemeinnützige Stiftung des Landes Oberösterreich
sowie aus Kulturfördermitteln des Landes finanziert. Forschungs- und pädagogische Projekte werden auch
aus Mitteln des Nationalfonds, des Zukunftsfonds der Republik Österreich und des Bundesministeriums für
Bildung, Wissenschaft und Forschung gefördert.
Hinweis für Besucher/innen
Im Zeitraum der Umbauarbeiten (18. November 2019 bis voraussichtlich Mai 2020) ist nur der Besuch der Ausstellungsräume
im Erdgeschoß bzw. in der Gedenkstätte möglich.
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