Ausstellung von 26. September bis 24. November 2019
Tokio/Wien (OTS) - Anlässlich des 150-jährigen Jubiläums der diplomatischen Beziehungen zwischen
Österreich und Japan werden im Rahmen der Ausstellung „Japan Unlimited“ einige der bekanntesten und aktivsten
KünstlerInnen Japans zu sehen sein, die sich mit Grenzen und Freiheiten politisch-sozialkritischer Kunst auseinandersetzen.
Kuratiert wird die Ausstellung von Marcello Farabegoli.
Bezugnehmend auf zwei Begriffe, die die japanische Gesellschaft prägen und charakteristische Verhaltenscodizes
der japanischen Gesellschaft bezeichnen – „Tatemae“ („Maskerade“, die den Erwartungen der Öffentlichkeit entspricht)
und „Honne“ (die der Öffentlichkeit gegenüber verborgenen Gefühle) – untersucht die Ausstellung,
in welcher Form dieses duale Prinzip in der zeitgenössischen japanischen Kunst eine Rolle spielt. „Tatemae“
und „Honne“ regeln das Verhältnis zwischen Gemeinschaft und Individuum, definieren das Zusammenleben über
bestimmte Verhaltensregeln, Gesetze, Traditionen und Konventionen. Parallel dazu spiegeln sich darin ästhetische
Fragestellungen wider, die das Verhältnis von Form und Inhalt, Realität und Repräsentation, Kritik
und Affirmation reflektieren.
Die Ausstellung geht der Frage nach, welche poetischen Praxen, Subtexte und Metaphern aus diesem Spannungsverhältnis
gesellschaftlicher Konfliktvermeidung und Kritik entstehen. Welche Kontrollmechanismen gibt es, wie geht man damit
um und welche Stellung kann Kritik bzw. gesellschaftskritische Kunst im öffentlichen Diskurs einnehmen? Inwieweit
spielen bewusste Überschreitungen im gesellschaftspolitischen Kontext eine Rolle und stoßen künstlerische
Praxen hier an die Grenzen ihrer Möglichkeiten? Die gezeigten Arbeiten stellen indirekte Regelsysteme und
damit verbundene Machtstrukturen offizieller Narrative neu zur Disposition.
So charterte das Künstlerkollektiv Chim?Pom im Rahmen ihrer Kunstaktion „Making the sky of Hiroshima ‘PIKA!‘“
am 21. Oktober 2008 ein kleines Flugzeug, um das Wort „Pika“ (Blitzlicht) mit Kondensstreifen über die Stadt
Hiroshima zu zeichnen. „Pika“ wird in Japan auch für die Bezeichnung der Atombombenexplosion über Hiroshima
benutzt. Die Kunstaktion führte zu heftigen Protesten in der Gesellschaft. Trotz der ausgiebigen Entschuldigung
seitens des Künstlerkollektivs wurde eine geplante Museumsausstellung abgesagt. Chim? Pom macht damit „Tatemae“-Strukturen
als Mechanismen indirekter Herrschaftsformen sichtbar. Das Künstlerkollektiv ist zudem mit einer weiteren
Arbeit, „Super Rat“, in der Ausstellung vertreten.
Der einzige österreichische Künstler in der Ausstellung, Edgar Honetschläger, geht in seiner Arbeit
„Warum ist es so schwer die Leere zu akzeptieren“ sowie dem damit korrespondierenden Exzerpt aus seinem Filmessay
„L+R“, der Frage nach, inwieweit der westliche Einfluss der Moderne Japan verändert/prägt und wie Japan
sich dabei trotzdem treu bleibt („Honne“ und „Tatemae“). Zentrales Motiv des 10-teiligen Siebdrucks ist eine Betonfabrik,
errichtet in einer bewaldeten Gebirgslandschaft, die sich wie ein dekonstruierter Industriedampfer in eine bewaldete
Gebirgslandschaft auf paradoxe Weise einfügt. Im Film „L+R“ taucht die Betonfabrik ebenfalls auf und eine
Stimme aus dem Off zitiert Junichiro Tanizakis Essay „Lob des Schattens“, in dem er sich damit beschäftigt,
wie die japanische Gesellschaft heute aussähe, wenn sie sich der westlichen Naturwissenschaft nicht unterworfen
hätte.
Makoto Aida tritt in seiner Videoarbeit „The video of a man calling himself Japan's Prime Minister making a speech
at an international assembly“ als fiktiver japanischer Premierminister auf und hält in gebrochenem Englisch
vor einer internationalen Versammlung eine Rede. Obwohl die Performance vollkommen fiktiv ist, scheint Makoto Aida
den japanischen Premierminister Shinzo Abe zu parodieren, da er auf die nationalistischen Tendenzen seiner LDP-Partei
und auf seine Gesetzesentwürfe zur Erweiterung des Handlungsspielraums der japanischen Streitkräfte referiert.
Indem er politische Praxen zwischen nationaler Isolation und imperialer Aggression anspricht, visualisiert Makoto
Aida das „Tatemae“ und „Honne“ Prinzip im Kontext politischer Maskerade, die sowohl durch die Performance als Politiker,
als auch in der Reaktion darauf evident wird.
BuBu de la Madeleine & Yoshiko Shimada stellen in ihrer Collage aus der Serie „Made in Occupied Japan“ ein
Foto mit dem japanischen Kaiser Hirohito und dem amerikanischen General Douglas MacArthur nach. MacArthurs Stab
arbeitete die ersten Entwürfe für die 1947 in Kraft getretene japanische Verfassung aus, in der der Status
des Kaisers als „Gott“ aufgehoben wurde. Durch die Reinszenierung demontieren die beiden Künstlerinnen kategoriale
Zuordnungen wie Mann/Frau, USA/Japan, Täter/Opfer. Das Herz, welches das Foto umgibt, verweist hingegen auf
die engen wirtschaftlichen und militärischen Beziehungen zwischen Japan und den USA, auf damit verbundene
Abhängigkeiten, Machtverhältnisse und ungeschriebene Gesetze, deren nachkriegsmythologischen Maskeraden
bis heute wirksam sind.
Mitamura Midori inszeniert mit „Art and Breakfast“ eine Rauminstallation, in der sie Emotionen und Erinnerungen,
angenehme und weniger angenehme, mit den BesucherInnen teilt und ins Narrative übersetzt. Die Materialien,
die Midori Mitamura in Wien gesammelt hat und sammeln wird, erzählen von kulturellen und individuellen Erfahrungen
ihrer Begegnungen. Gleichzeitig untersucht sie mehrdeutige Atmosphären des Unausgesprochenen, so wie sie durch
„Tatemae“ und „Honne“ geprägt werden. Die gefundenen Materialien agieren dabei wie „Spurenelemente“, durch
die auf nicht verbale Kommunikation und indirekte Vereinbarungen verwiesen wird.
Momoyo Torimitsus Animation „Business as habitual“ basiert auf einer Fotografie, die auf der Pressekonferenz beim
ersten Auftritt der CEOs von Tepco (Tokyo Electric Power Company) nach der Atomkatastrophe von Fukushima aufgenommen
wurde. Es zeigt, wie sich Tepco Manager bei den Menschen in Japan entschuldigten. Momoyo Torimitsu untersucht die
mit Entschuldigungen einhergehende Geste des Verbeugens, deren Verbeugungswinkel sozialen Status widerspiegelt
und Respekt darstellen soll. Die Geste sagt jedoch nichts drüber aus, ob Bedauern tatsächlich vorhanden
ist. Die CEOs brachten zwar ihr Bedauern öffentlich zum Ausdruck, verbargen aber Fakten und das tatsächliche
Ausmaß der Katastrophe. „Tatemae“ wurde hier als Marketingstrategie benützt, um sich nicht verantworten
zu müssen.
Im Rahmen der Ausstellung werden sechs Artists-in-Residence aus Japan im Q21/MuseumsQuartier zu Gast sein, die
für die Ausstellung zum Teil neue Arbeiten entwickeln und zu partizipativen Veranstaltungen einladen. Vertiefend
werden Talks (u.a. mit Judith Brandner, ORF; Lucas Gehrmann, Kunsthalle Wien; Felicitas Thun-Hohenstein, Akademie
der bildenden Künste Wien und Biennale Venedig; Niklas Maak, FAZ; Diethard Leopold, ÖJG; Georg Schneider,
Japannual; Markus Wurzer, Universität Graz), Workshops, Performances und Aktionen die Ausstellung begleiten,
insbesondere auch im Rahmen der viennacontemporary und der Vienna Art Week.
KünstlerInnen (Auszug)
Makoto Aida (JPN), Chim?Pom (JPN)*, Gianmaria Gava (ITA/AUT), Edgar Honetschläger (AUT), Sachiko Kazama
(JPN), BuBu de la Madeleine (JPN) & Yoshiko Shimada (JPN), Midori Mitamura* (JPN), Ryts Monet (ITA/AUT), Yoshinori
Niwa* (JPN), Jake Knight (GBR), Tomoko Sawada (JPN), Sputniko! (JPN/GBR), Ryudai Takano (JPN), Shinpei Takeda*
(JPN), Momoyo Torimitsu (JPN), Hana Usui (JPN/AUT), Tomoko Yoneda (JPN), Naoko Yoshimoto (JPN)
*Artist-in-Residence des Q21/MQ
„Japan Unlimited“ wird in Kooperation mit dem Bundesministerium für Europa, Integration und Äußeres
organisiert und ist eine offizielle Veranstaltung von „150 Jahre Freundschaft Österreich-Japan“ der Japanischen
Botschaft in Wien.
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