Brüssel/Innsbruck (universität) - Für seine Forschung zum Verständnis der molekularen und
zellulären Ursachen des Alterns, insbesondere der Gehirnalterung und der molekularen Zellbiologie der Alzheimer-Krankheit
in Nervenzellen, erhält der Molekularbiologe Jerome Mertens einen Starting Grant des Europäischen Forschungsrats
(ERC). Die Förderung ist mit rund 1,5 Millionen Euro dotiert.
Der Europäische Forschungsrat (European Research Council, ERC) unterstützt Pionierforschung von herausragenden
Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern. Mit den ERC Starting Grants werden erfolgreiche junge Forscherinnen
und Forscher mit hoch dotierten Projektbudgets ausgestattet. Kürzlich wurden die dieses Jahr geförderten
Forscherinnen und Forscher bekannt gegeben. Die Förderung für Dr. Jerome Mertens ist der insgesamt neunte
Starting Grant des ERC, der an die Universität Innsbruck geht.
Altersbedingte Mechanismen von Alzheimer
Krankheiten wie Alzheimer sind auf dem Vormarsch und zeichnen sich dadurch aus, dass, bis auf wenige erblich bedingte
Ausnahmen, nur ältere, nie aber junge Menschen erkranken. „Für die Entwicklung solcher Krankheiten ist
der biologische Alterungsprozess unserer Gehirnzellen von zentraler Bedeutung“, erklärt Jerome Mertens, Leiter
des Neural Aging Laboratory an der Universität Innsbruck. „Leider ist unser wissenschaftliches Verständnis
der molekularen und zellulären Ursachen des Alterns noch immer gering. Bisher gibt es keine schlüssige
Erklärung, weshalb nur alte Gehirne von der Alzheimer-Krankheit befallen werden.“ Die Erforschung der Krankheit
basiert bisher vorwiegend auf Tiermodellen, allerdings sind die Untersuchungsergebnisse von Mäusen nicht eindeutig
auf den Menschen zu übertragen: Nicht nur, dass sich deren Aufbau unterscheidet, sondern vor allem ist die
Lebenserwartung von Tiermodellen ungleich kürzer als die des Menschen. Vorhandene Technologien aus der Stammzellforschung
erlauben es, menschliche Nervenzellen aus Hautzellen von Alzheimer-Patienten und Kontrollprobanden herzustellen,
doch leider sind diese Zellen aber stets durch den Reprogrammierungsprozess künstlich verjüngt und stellen
gewissermaßen „Baby-Nervenzellen“ dar.
Das Team um Jerome Mertens hat nun eine alternative Methode entwickelt, die ohne Stammzell-Reprogrammierung auskommt:
Hautzellen von Patienten werden direkt in Nervenzellen umgewandelt, wodurch „alte“ Nervenzellen hergestellt werden
können. „In unserem Forschungsprojekt werden wir solche alten Nervenzellen von Alzheimer-Patienten, Kontrollprobanden,
sowie Patienten im Frühstadium herstellen. Eine genomweite Genexpressionsanalyse an Alzheimer- und Kontroll-Nervenzellen
hat uns bereits einzigartige neue Einblicke in die molekulare Zellbiologie der Alzheimer-Krankheit in Nervenzellen
gewährt. So scheint es, als hätten die Nervenzellen von Alzheimer-Patienten ihre reife Identität
verloren, und zeigen nun Ähnlichkeiten mit ‚unfertigen’ Nervenzellen, die weniger optimal ihre Aufgaben im
Körper bewerkstelligen können und ‚verkümmert’ wirken“, sagt Jerome Mertens. Mit dem Verlust von
Merkmalen der Zelldifferenzierung zeigen diese Anzeichen der Alzheimer-Krankheit damit einige verblüffende
Ähnlichkeiten zu Krebszellen auf. Krebs tritt ähnlich wie Alzheimer in hohem Alter auf, allerdings ist
dabei die unkontrollierte Zellwucherung problematisch, nicht deren Verkümmerung.
Neue biologische Big-Data-Technologien
Mit neuesten genomweiten Next-Generation-Sequenziermethoden, massenspektrometrischen Stoffwechselanalysen, bioinformatischen
Big-Data-Analysen, gezielten zellbiologisch-neurowissenschaftlichen Experimenten sowie Videomikroskopie geht Mertens
mit seinem Team in diesem Projekt gezielt der Frage nach, welche altersbedingten Mechanismen die Anzeichen der
Alzheimer-Krankheit auslösen. „Auf Grundlage unserer bisherigen Daten erwarten wir, auch Erkenntnisse aus
der Krebsforschung nutzen zu können, und mit ihrer Hilfe neue und zum Teil unerwartete Methoden zur Bekämpfung
der Alzheimer-Krankheit aufzeigen zu können. Des Weiteren werden wir unser Modellsystem ausweiten und gezielt
Alzheimer-Patienten im Frühstadium rekrutieren, um so mit Hilfe unserer ‚alten Nervenzellen’ gezielt Einblicke
in die frühen und möglicherweise besser behandelbaren Mechanismen der Krankheit zu erlangen“, erklärt
der Forscher. Mertens erwartet, dass das nun geförderte Forschungsprojekt neue und bisher unerreichbare Einblicke
in menschliche Nervenzellen bei der Entstehung der Alzheimer-Krankheit erlauben und zur Entwicklung neuer Therapien
zur Behandlung altersbedingter Krankheiten, insbesondere der Alzheimer-Krankheit, beitragen wird.
Kooperationen
Im aktuellen Projekt arbeitet Jerome Mertens innerhalb der Abteilung Genomik, Stammzellbiologie und Regenerative
Medizin mit Kollegen an der Fakultät für Biologie zusammen, mit klinischen Forscherinnen der Medizinischen
Universität Innsbruck, sowie mit internationalen Partnern: Das Salk Institute for Biological Studies in San
Diego (USA) ist ein enger Partner des Neural-Aging-Labors, außerdem bestehen Kooperationen mit Wissenschaftlerinnen
und Wissenschaftlern der University of Colorado, Denver, und den Universitäten Würzburg und Freiburg.
Durch seine intensive Anwendung von bioinformatischer Big-Data-Analyse fügt sich das Projekt in die Digitalisierungsinitiative
der Universität Innsbruck ein, in deren Rahmen derzeit eine neue Assistenzprofessur im Bereich der Digitalen
Biologie an das Institut für Molekularbiologie rekrutiert wird. Das Projekt profitiert zudem von regionalen
Netzwerken wie dem Life and Health Science Cluster Tirol (LHSCT).
Zur Person
Jerome Mertens (*1983 in Niedersachsen) ist seit 2017 Assistenzprofessor und leitet das Neural-Aging-Labor
in der Abteilung für Genomik, Stammzellbiologie und Regenerative Medizin am Institut für Molekularbiologie
der Universität Innsbruck. Er ist zudem Staff Scientist am Salk Institute for Biological Studies in San Diego,
Kalifornien. 2012 promovierte er summa cum laude mit der Arbeit „Human iPSC-derived neurons for modeling Alzheimer’s
Disease and Drug Validation“ in Molekularer Biomedizin an der Universität Bonn, danach war er als Post-Doc
am Salk Institute tätig.
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