Reportage aus dem radiologischen Messlabor des Landes an der Uni / Einzigartige Einrichtung
in Österreich
Salzburg (lk) - Es sieht zunächst aus wie gemütliche Gartenarbeit: Mit einer Blumenschere schneidet
ein Mann mit Handschuhen ein Büschel Gras. Aber was dann passiert, lässt den Ernst der Sache erkennen:
In diesem Büschel Gras befinden sich messbare Spuren von Cäsium, einem radioaktiven Element. Noch immer
Nachwehen des Reaktorunfalls in Tschernobyl 1986.
Wir befinden uns im RMLS, im radiologischen Messlabor des Landes an der Universität Salzburg: Die Grasprobe
wird getrocknet und kommt in den Gammastrahlen-Spektrometer – ein hochsensibles Gerät, das auch 30 Jahre nach
Tschernobyl noch radioaktive Strahlung nachweisen kann.
Stöckl: „Aktuelle Entwicklungen im Auge behalten“
Dass Salzburg vom radioaktiven Niederschlag aus dem Reaktorunfall am 26. April 1986 viel abbekommen hat, ist erwiesen.
„Daher ist es mir besonders wichtig, dass wir die Lage und Entwicklung in langen und ununterbrochenen Messreihen
im Auge behalten und wir auch für die Zukunft gerüstet sind, zumal Österreich von vielen Atomkraftwerken
umgeben ist“, betont Gesundheitsreferent Landeshauptmann-Stellvertreter Christian Stöckl beim Besuch im radiologischen
Messlabor.
Halbwertszeit des Vergessens
Die Messung beschränkt sich mittlerweile auf das langlebige Cäsium. Alle anderen Nuklide, die in bedeutenden
Konzentrationen vorhanden waren, sind bereits zerfallen. „Die Cäsium-Strahlung wird auch in 150 bis 200 Jahren
noch messbar sein“, sagt Laborleiter Herbert Lettner, „auch wenn es dann nur mehr etwa ein Prozent der ursprünglichen
Menge sein wird.“ Cäsium hat eine Halbwertszeit von 30 Jahren. „Aber leider“, so Lettner, „ist die Halbwertszeit
des Vergessens viel kürzer.“ Was der Professor damit meint? Das Bewusstsein um die Gefährlichkeit radioaktiver
Strahlung gehe nach Zwischenfällen und Katastrophen zu schnell verloren – und damit auch das Wissen um die
Bedeutung des Labors und seines in Österreich einzigartigen Fachwissens. Tschernobyl 1986 war auch der Anlass
für seine Gründung. Heute ist es bundesweit die einzige Einrichtung auf Universitätsebene, in der
nicht nur gemessen, sondern auch geforscht wird.
„Almen-Phänomen“ gibt Forschern Rätsel auf
Zum Beispiel gibt ein bestimmtes Phänomen dem Labor-Team seit einigen Jahren ein Forschungsrätsel auf:
Die effektiven Halbwertszeiten von Cäsium liegen in Almgebieten in den Hohen Tauern zwischen fünf und
20 Jahren. In intensiv landwirtschaftlich genutzten Gebieten in Tallagen und im Flachland liegen sie bei nur ein
bis zwei Jahren. Effektive Halbwertszeiten sind jene, die in der Kontamination der Milch beobachtet werden. „Trotzdem
unbedenklich, alles unter den gesetzlichen Grenzwerten“, beruhigt Lettner. Die Frage nach dem Warum ist aber von
großem wissenschaftlichem Interesse. Nicht alle Gründe sind bekannt. Die niedrigen pH-Werte im Boden,
der hohe organische Anteil und der geringe Tonmineralgehalt sind jedenfalls einige der Ursachen.
Gletschersedimente „speichern“ Strahlung
Auf eine weitere Auffälligkeit ist man zufällig gestoßen, bei einer Gletschertour. Aus Neugierde
nahmen Lettner und seine Kollegen einige Proben Kryokonite mit ins Labor. Ergebnis: In diesen Gletschersedimenten
kommen die höchsten Konzentrationen an Radioaktivität unter allen Trägern in der Umwelt vor, „teilweise
so hoch, dass man für die Handhabung mit diesem Material eine gesetzlich vorgeschriebene Strahlenschutzbewilligung
benötigen würde“, ist Lettner nach wie vor erstaunt über die Erkenntnis.
Wichtiger Partner im Strahlenalarmplan
Herbert Lettner wird Ende 2021 in Pension gehen, rechtzeitig soll eine Nachfolge gefunden werden. Zu tun gäbe
es genug: neben den regelmäßigen Messungen und Forschungsprojekten auch in Katastrophenfällen.
„Das RMLS ist ein zentraler Partner im Strahlenalarmplan des Landes. Eine Weiterführung in Kooperation mit
der Universität ist daher von großem Interesse“, bestätigt Landeshauptmann-Stellvertreter Christian
Stöckl.
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