Soziologie-Kongress beleuchtet Veränderungen und Kontinuitäten in der Gesellschaft
Salzburg (universität) - Vom Arbeitsmarkt bis zur Zuwanderung. Wie haben sich in Österreich Einstellungen
und Lebensformen in den letzten Jahrzehnten verändert? Das wird vom 26.- 28. September 2019 an der Universität
Salzburg beim Kongress „Alles im Wandel? Dynamiken und Kontinuitäten moderner Gesellschaften“ eines der Schwerpunktthemen
sein. Veranstaltet wird der Kongress von der Österreichischen Gesellschaft für Soziologie. Internationale
Experten und Expertinnen gehen dabei u.a. der Frage nach, ob der Eindruck vom fundamentalen sozialen Wandel den
Gegebenheiten entspricht oder medial überbetont wird. In drei Tagen werden über 200 Einzelvorträge
präsentiert.
Um den Wandel von Einstellungen und Wertorientierungen in der Gesellschaft beobachten zu können, braucht es
empirische Befunde aus Langzeitstudien. Eines der am besten etablierten Programme dieser Art in Österreich
ist der Soziale Survey Österreich (SSÖ), ein Umfrageprogramm, das seit den 1980er Jahren regelmäßig
durchgeführt wird (in Kooperation mit dem International Social Survey). Interessante Ergebnisse daraus werden
am ersten Kongresstag bei der Panelveranstaltung „Österreich im Wandel“ vorgestellt. https://oegs.ac.at/oegs-kongress-salzburg2019/.
Was hat sich geändert im Bereich Arbeit, Bildung. Einkommen, Geld, Geschlechterrollen, Gesundheit, Freizeit,
Migration, Politik, Religion oder den Ansprüchen, die an den Staat gestellt werden?
Sind die gesellschaftlichen Veränderungen fundamental oder werden sie vielleicht zu stark in den Fokus genommen?
Auch dieser Frage soll beim Kongress nachgegangen werden, sagt Professor Martin Weichbold von der Universität
Salzburg. Als Präsident der Österreichischen Gesellschaft für Soziologie ist er der Organisator
des Kongresses. „Digitalisierung, Globalisierung, Prekarisierung, Alterung. In der Wissenschaft, in den Medien
und im gesellschaftlichen Diskurs ist immer vom Wandel die Rede. Und in der Tat sind die Veränderungen in
vielen Bereichen unübersehbar. Zugleich ist es aber eine soziologische Grunderkenntnis, dass Gesellschaften
- bei aller Dynamik - auch durch Kontinuitäten gekennzeichnet sind. Paradoxerweise ergeben sich Kontinuitäten
oft gerade durch jene Innovations- und Steigerungszwänge, die für moderne Gesellschaften typisch sind.
Wir wollen unseren Blick gerade auch auf die Beharrlichkeiten richten.“
Ziemlich unverändert ist in Österreich zum Beispiel der Anteil der Teilzeitarbeit bei Frauen. Das zeigen
die Daten des Sozialen Survey Österreich. Hoch bleibt ihm zufolge auch der Gender Pay Gap. Kaum Einstellungsveränderungen
gibt es auch bei den traditionellen Werten der christlich-sozialen Kultur. Hoch im Kurs steht - nach wie vor -
der Sozialstaat mit dem öffentlichen Gesundheits- und Pensionssystem sowie der freie Bildungszugang.
Relativ große Veränderungen sieht man hingegen beim Familien- und Partnerschaftsmodell. Doch obwohl
die traditionelle Familie mit 1,7 Kindern und dem Vater als Ernährer kaum mehr Zuspruch findet, haben Familie
und Partnerschaft an sich - in der Form neuer Modelle - auch bei jungen Leuten nach wie vor einen großen
Stellenwert.
Die meisten strukturellen Veränderungen in Österreich entsprechen dem Trend in den westeuropäischen
Ländern, sagt der Salzburger Soziologe Dimitri Prandner. Er hat am Sozialen Survey Österreich mitgearbeitet.
Auffällig hierzulande ist aber die weiterhin hohe Ungleichheit zwischen den Geschlechtern. Was die Arbeit
betrifft hat in Österreich, international verglichen, eine späte Flexibilisierung des Marktes stattgefunden.
Auch bei der Idee, eine Arbeit anzugehen, weil sie einen erfüllt (intrinsische Motivation der Arbeit) hinkt
Österreich einigen anderen europäischen Ländern hinterher.
Ein überraschendes Ergebnis des Sozialen Survey Österreich ist für Prandner der Befund, dass sich
die Trennlinie zwischen Stadt und Land extrem verhärtet hat. „Wir sehen ein Auseinanderbrechen zwischen einer
europäisierten, kosmopolitischen, urbanen Gesellschaft und einer traditionsbewussten, lokal orientierten,
ländlichen Gesellschaft, die sich zunehmend als Parallelgesellschaften abbilden.“ In dem Zusammenhang fällt
oft das Schlagwort von den Modernisierungsverlierern in der Provinz. Martin Weichbold gibt aber zu bedenken, dass
man bei den sogenannten Modernisierungsverlierern unterscheiden müsse, zwischen dem was faktisch ist und dem
was wahrgenommen wird und wie es zu Wechselwirkungen kommen kann. „Wenn sich durch den politischen Diskurs von
den Modernisierungsverlierern das Bild verfestigt, wir Armen da in der Provinz - auch wenn es in der Weise oft
nicht stimmt - dann wird diese Wahrnehmung handlungsanleitend, sie bestimmt was die Leute denken und letztlich
auch tun.“
Was könnte ein Mittel gegen das Auseinanderdriften gesellschaftlicher Gruppen sein? Ist Solidarität
noch ein tragfähiges Konzept? Dieser Frage geht der deutsche Soziologe Heinz Bude zum Auftakt des Kongresses
in seinem Eröffnungsvortrag nach („Solidarität nach dem Neoliberalismus“; Donnerstag, 26. September).
Als weitere Keynote Speaker werden die amerikanische Politikwissenschaftlerin Joan Tronto (sie referiert über
die Zukunft der Pflege; Freitag, 27. September) sowie der Wiener Soziologe Jörg Flecker (er analysiert Kontinuität
und Wandel der Lohnarbeit; Samstag, 27. September) erwartet.
Ungefähr 350 Teilnehmer/ innen haben sich zum Kongress angemeldet.
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