ForscherInnen entwickeln um ein Vielfaches schnellere photodynamische Simulationen
Wien (universität) - Die Vorhersage von durch Licht ausgelösten molekularen Reaktionen ist bis
dato extrem rechenaufwendig. Ein Team um Philipp Marquetand von der Fakultät für Chemie der Universitäten
Wien hat nun unter Nutzung von künstlichen neuronalen Netzen ein Verfahren vorgestellt, welches die Simulation
von photoinduzierten Prozessen drastisch beschleunigt. Das Verfahren bietet neue Möglichkeiten, biologische
Prozesse wie erste Schritte der Krebsentstehung oder Alterungsprozesse von Materie besser zu verstehen. Die Studie
erschien in der aktuellen Ausgabe der Fachzeitschrift "Chemical Science" und eine zugehörige Illustration
auf einem der Cover.
Maschinelles Lernen spielt in der chemischen Forschung eine immer größere Rolle, z.B. bei der Entdeckung
und Entwicklung neuer Moleküle und Materialien. In dieser Studie zeigen die ForscherInnen aus Wien und Berlin,
wie künstliche Intelligenz effiziente photodynamische Simulationen ermöglicht. Um photoinduzierte Prozesse,
wie sie etwa im Rahmen der Photosynthese, der visuellen Wahrnehmung des Menschen oder der Entstehung von Hautkrebs
ablaufen, zu verstehen, „müssen wir die Bewegung der Moleküle unter Einwirkung von UV-Licht verstehen.
Dazu benötigen wir neben klassischen mechanischen Berechnungen vor allem auch die Quantenmechanik, die extrem
rechen- und damit auch kostenintensiv ist“, sagt Studienautor Philipp Marquetand vom Institut für Theoretische
Chemie.
Mit den bisherigen Verfahren konnten ForscherInnen nur die allerschnellsten photoinduzierten Prozesse im Bereich
von Pikosekunden (1 Pikosekunde = 0,000 000 000 001 Sekunden) – bei Rechenzeiten von mehreren Monaten – vorhersagen.
Das neue Verfahren ermöglicht mittels künstlicher Intelligenz Simulationen über längere Zeiträume,
im Bereich einer Nanosekunde (1.000 Pikosekunden), bei wesentlich weniger Rechenzeit.
Lernende neuronale Netze
Bei ihrem Ansatz verwenden die ForscherInnen künstliche neuronale Netze, also mathematische Modelle, die
die Funktionsweise unseres Gehirns imitieren. „Wir bringen unserem neuronalen Netz die komplexen quantenmechanischen
Beziehungen bei, indem wir vorher ein paar wenige Rechnungen durchführen, und das Wissen an das neuronale
Netz weitergeben“, sagt Erstautorin der Studie und uni:docs-Stipendiatin Julia Westermayr vom Institut für
Theoretische Chemie. Durch das angeeignete Wissen können die selbstlernenden neuronalen Netze dann im Rahmen
der molekulardynamischen Simulationen schneller vorhersagen, was passieren wird.
Im Rahmen der Studie führten die ForscherInnen photodynamische Simulationen eines Testmoleküls namens
Methylenimmoniumkation – eines Bausteines des Moleküls Retinal, das unsere Sehprozesse ermöglicht – durch.
„Nach zwei Monaten Rechenzeit konnten wir die Reaktion im Zeitraum von einer Nanosekunde abbilden; auf Basis bisheriger
Verfahren hätte die Simulation zirka 19 Jahre gedauert“, so Doktorandin Julia Westermayr.
Proof-of-Concept
Im Bereich von Nanosekunden laufen ein Großteil photochemischer Prozesse ab: „Mit unserer Strategie stoßen
wir in eine neue Dimension für Vorhersagen vor. Das von uns präsentierte Vorgehen kann man im Prinzip
auf verschiedenste kleinere Moleküle – darunter DNA-Bausteine und Aminosäuren – anwenden“, sagt Studienautor
Philipp Marquetand.
In einem nächsten Schritt wollen die ForscherInnen ihr Verfahren nutzen, um die Aminosäure Tyrosin zu
beschreiben. Sie kommt in den meisten Proteinen vor und es besteht der Verdacht, dass ihre Schädigung unter
Einfluss von Licht Blindheit und Hautalterung begünstigt. Das Verfahren rücke, so die Studienautoren,
aber ganz allgemein die Vorhersage von lichtgesteuerten Prozessen in jeglicher Hinsicht, etwa auch von Materialalterung
oder von photosensitiven Medikamenten, in greifbare Nähe.
Publikation in "Chemical Science" der Royal Society of Chemistry
Machine learning enables long time scale molecular photodynamics simulations,
Michael Gastegger, Maximilian F. S. J. Menger, Sebastian Mai, Leticia González and Philipp Marquetand
Chemical Science, 2019. https://doi.org/10.1039/C9SC01742A
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