Nationalrat fasst einstimmigen Beschluss
Wien (pk) - Nachkommen österreichischer NS-Opfer sollen in Zukunft - wie die geflüchteten Opfer
selbst - einen erleichterten Zugang zur österreichischen Staatsbürgerschaft erhalten. Die Bestimmungen
gelten für Nachfahren jener Opfer, die Österreich bis 15. Mai 1955 verlassen haben. Die fünf Parlamentsparteien
konnten sich nach langen Verhandlungen, die bis knapp zwei Stunden vor der betreffenden Debatte in der Sondersitzung
des Nationalrats gedauert haben, am 20. September auf eine entsprechende Ausweitung des Staatbürgerschaftsgesetzes
einigen. Grundlage dafür bildete ein Initiativantrag der SPÖ. Gelten sollen die neuen Bestimmungen ab
1. September 2020.
Begriff des Vorfahren wird erweitert, auch Adoptivkinder gelten als Nachkommen
Schon nach der derzeitigen Rechtslage gibt es für Personen, die vor dem 9. Mai 1945 aus Österreich vor
dem NS-Regime geflüchtet sind, eine unbürokratische Möglichkeit, die österreichische Staatsbürgerschaft
wiederzuerlangen, ohne die eigene zu verlieren. Da aber durch dieses festgelegte Datum Fälle verhinderter
Rückkehr nach Österreich bzw. einer verspäteten Ausreise nicht berücksichtigt werden, wird
die Frist ausgedehnt, womit nun auch all jene Personen von der Regelung umfasst werden, die erst nach dem Kriegsende
bis spätestens 15. Mai 1955 aus Gründen der Verfolgung das Land verlassen haben. Die Neuregelung berücksichtigt
zudem auch BürgerInnen aus Staaten der ehemaligen Donaumonarchie, wenn sie ihren Hauptwohnsitz im Bundesgebiet
hatten.
Ausschließungsgründe für den Erhalt der österreichischen Staatsbürgerschaft sind etwa
Verurteilungen für schwere Straftaten, schwerwiegende Finanzdelikte, terroristische Aktivitäten oder
eine negative Einstellung zur österreichischen Demokratie.
Dieser erleichterte Zugang zur österreichischen Staatsbürgerschaft wird nun auch für Nachkommen
in direkter absteigender Linie der Verfolgten geöffnet, wobei auch Adoptivkinder, die als Minderjährige
an Kindesstatt angenommen wurden, zu den Begünstigten zählen. Voraussetzung ist, dass der Vorfahre unter
die Berechtigten fällt, er muss dabei entweder die Staatsbürgerschaft tatsächlich erworben haben
oder sie erwerben hätte können.
Vorgelegt werden müssen unbedenkliche Urkunden oder sonstige geeignete und gleichwertige Bescheinigungsmittel.
In den Fällen, in denen der Vorfahre die Staatsbürgerschaft als Verfolgter nicht wiedererworben hat,
wird angesichts der Tatsache, dass die allermeisten Verfolgten aus dieser Zeit mittlerweile verstorben und seit
dem Ende der NS-Zeit beinahe 75 Jahre vergangen sind, an die Nachvollziehbarkeit der Voraussetzungen "kein
unverhältnismäßig hoher Maßstab" anzulegen sein, heißt es in der Begründung.
Da die Recherche oft schwierig sein wird, kann die Behörde den Nationalfonds der Republik Österreich
als Sachverständigen heranziehen, um zu beurteilen, ob die Voraussetzungen zutreffen.
Sowohl die Anzeige selbst als auch der Bescheid sowie die im Zusammenhang mit der Anzeige zu erbringenden Unterlagen
werden gebührenfrei sein, wird weiters im Antrag festgelegt.
Abgeordnete heben historische Verantwortung Österreichs hervor
Die Einigung wurde von allen Fraktionen begrüßt, wobei die RednerInnen insbesondere die historische
Verantwortung Österreichs hervorhoben. So sprach Sabine Schatz (SPÖ) von einer längst fälligen
symbolischen Geste. Sie appellierte auch an alle, gemeinsam Verantwortung für die Geschichte zu übernehmen
und verlieh ihrer Sorge über den noch immer vorhandenen offenen Antisemitismus Ausdruck.
Seitens der ÖVP erinnerten Karl Mahrer und Martin Engelberg daran, dass mit dem heutigen Beschluss ein Anliegen
aus dem Programm der ehemaligen ÖVP-FPÖ-Regierung umgesetzt wird. Man wolle ein Zeichen setzen und den
Opfern und deren Nachfahren Respekt erweisen, sagte Mahrer. Engelberg unterstrich die historische Bedeutung des
Gesetzes.
Stephanie Krisper (NEOS) sieht in dem Gesetz eine kleine Geste, die von den Betroffenen beachtet werden möge.
Angela Lueger (SPÖ) wies auf den zu erwartenden enormen Aufwand hin und meinte, dieser liege im Sinne der
Betroffenen. Aus diesem Grund nahm der Nationalrat auch einstimmig eine Entschließung an, in der die Bundesregierung
aufgefordert wird, zusätzliche personelle und finanzielle Ressourcen bereitzustellen, damit die betroffenen
Vertretungsbehörden die Neuregelung kundenfreundlich, professionell und rasch durchführen können.
Innenminister Wolfgang Peschorn unterstützte grundsätzlich das Gesetz, zumal die Abgeordneten dabei eng
mit seinen zuständigen BeamtInnen sowie mit MitarbeiterInnen der Landesbehörden zusammengearbeitet hätten.
Die Ausweitung des Begriffs der Vorfahren werde aber den Vollzug des Gesetzes erschweren, gab er zu bedenken.
Neuerlicher Anlauf zu Doppelstaatsbürgerschaft für Südtiroler
Werner Neubauer begrüßte den Beschluss auch seitens der FPÖ, hielt aber fest, dass die Regelung
auch auf "Brexit-Opfer" und Südtiroler ausgeweitet werden sollte. In dem von ihm gemeinsam mit der
ÖVP eingebrachten Entschließungsantrag werden der Innen- und der Außenminister aufgefordert, mit
ihren italienischen AmtskollegInnen sowie mit VertreterInnen der Südtiroler Bevölkerung in bilaterale
Gespräche zu treten, um das Thema "Doppelstaatsbürgerschaft für Südtiroler" zu erörtern.
Der Antrag wurde mit den Stimmen von ÖVP und FPÖ mehrheitlich angenommen.
Hermann Krist (SPÖ) kritisierte das Vorgehen der beiden Parteien, zumal das Thema seit 2010 im Südtirol-Ausschuss
diskutiert werde, man viele bilaterale Gespräche geführt habe und man auf dem Weg zu einer Entscheidung
war, wie man weiter vorgehen solle.
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