Europastunde zur Asylpolitik der Europäischen Union
Wien (pk) - "Effektiver EU-Außengrenzschutz als Fundament eines geordneten Asylwesens."
Dieses Thema wählte die FPÖ am 25. September für die Diskussion in der Europastunde der Nationalratssitzung.
Die Freiheitlichen warnten dabei eindringlich davor, dass dem Zustrom von Flüchtlingen nach Österreich
Tür und Tor geöffnet wird, wenn sich die FPÖ nach der Wahl am 29. September nicht in der Regierung
findet. Die übrigen Fraktionen nutzten ebenfalls die Gelegenheit der letzten Nationalratssitzung vor der Wahl,
sich bei der Diskussion über die Asyl- und Migrationspolitik der Europäischen Union innenpolitisch zu
positionieren. SPÖ und NEOS schnitten dabei auch das Thema Arbeitsmarktpolitik an, JETZT die heimischen Beiträge
zur Entwicklungszusammenarbeit und die ÖVP präsentierte sich mit Führungsanspruch in Sicherheitsfragen.
Peschorn: Pull-Faktoren reduzieren
Innenminister Wolfgang Peschorn setzt für ein langfristig funktionierendes Asylwesen in Europa auf die "Reduktion
von Pull-Faktoren", wie er dem Plenum als zuständiges Regierungsmitglied mitteilte. Dazu gehöre
die Vermeidung von Sekundärmigration und eine "konsequente Rückführungspolitik". Grundsätzlich
müsse das EU-Asylsystem und dessen Regelungen von allen Mitgliedstaaten mitgetragen und eingehalten werden,
erklärte Peschorn, der in einer automatischen Verteilung der Flüchtenden auf EU-Länder aber keine
nachhaltige Lösung sieht. Hier bestehe das Risiko, das Schleppergeschäft zu fördern.
Bereits im Juni 2018 habe man auf EU-Ebene eine gemeinsame Vorgehensweise in der Asyl- und Migrationspolitik ins
Auge gefasst, beschrieb der Innenminister den integrierten Ansatz aus effektiver Außengrenzkontrolle, Kooperation
mit Drittstaaten und internen Maßnahmen der EU. Eine Reform der EU-Grenzschutzbehörde Frontex und ihre
Stärkung auf 10.000 Einsatzkräfte in ständiger Reserve zur Hilfeleistung beim Migrationsmanagement
sowie eine Neuregelung des EU-Ein- und Ausreisesystems für Drittstaatenangehörige nannte er als zentrale
Teil des Konzepts. Im Rahmen "verpflichtender Grenzverfahren" sollten demnach Flüchtlingen solange
der Eintritt in den EU-Raum verwehrt werden, bis ihr Asylstatus geklärt ist, dazu würden auch die EU-Datenbanken
zur Grenzkontrolle und zur Kriminalitätsbekämpfung miteinander verknüpft. Entscheidend ist für
Peschorn allerdings auch, wirtschaftliche und politische Migrationsursachen zu bekämpfen.
Hinsichtlich der aktuellen Lage von Fluchtbewegungen nach Europa sagte der Minister, auf der östlichen Mittelmeerroute
Richtung Griechenland sei die Situation mit 100.000 MigrantInnen dieses Jahr "äußerst angespannt".
Ähnliche Steigerungen verzeichne man am Westbalkan, mahnte Peschorn, der Migrationsdruck dürfe die Region
nicht destabilisieren.
FPÖ will Festung Europa verteidigen
Peschorns Vorgänger Herbert Kickl (FPÖ) beschrieb noch drastischer, eine neue Flüchtlingswelle bahne
sich über die Türkei und Griechenland an, zumal letzteres Land nicht für einen sinnvollen EU-Außengrenzschutz
gerüstet sei. Die EU sei "meilenweit entfernt von einem geordneten Asylsystem". Der dafür nötige
politische Wille von Europäischer Kommission und Europäischem Parlament fehle nämlich, konstatierte
Kickl. Er empfahl folglich das australische Asylmodell, das Asyl nicht automatisch als "Eintrittskarte"
in das Sozialsystem des Ziellandes verstehe. Maßgeblich für einen effektiven Außengrenzschutz
seien außerdem konkrete "Abhaltemaßnahmen" inklusive Schutzzäunen, hatte Kickl kein
Problem mit dem Begriff "Festung Europa", in der die Bevölkerung geschützt wird. Asylanträge
seien spätestens an der EU-Außengrenze zu stellen und zu entscheiden, skizzierte er sein Konzept eines
geordneten Asylsystems. Bis Rückführungen über das Mittelmeer zügig umgesetzt werden, müsse
Österreich seine Grenzen umfassend schützen.
Rückendeckung erhielt Kickl von Roman Haider, der die FPÖ im Europäischen Parlament (EP) vertritt.
Dieser zitierte aus Zeitungsartikeln über Flüchtlingsbewegungen nach Griechenland und über die Balkanroute,
um klarzumachen, welcher Fehler es gewesen sei, "den besten Innenminister aller Zeiten" abzuberufen.
Gerade jetzt wäre ein Innenminister Kickl bitter nötig, befand Haider, ansonsten liege der effektive
Schutz vor unkontrollierter Migration im Argen. Reinhard Eugen Bösch (FPÖ) bedauerte, die "alte
Politik" manifestiere sich in der neuen EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen, getrieben von
der "linken Politik". Die Beteiligung der Freiheitlichen an der Regierung habe letztendlich zur Stärkung
von Frontex geführt, ist der freiheitliche Landesverteidigungs- und Außenpolitiksprecher überzeugt.
Den Warnungen von Kickl und Haider, Europa stehe vor einer neuen Migrationskrise, schloss sich Petra Steger (FPÖ)
an. Immerhin sei es eine zentrale Aufgabe des Staates, für Sicherheit zu sorgen. Die verzögerte Aufstockung
von Frontex liege einzig an der aufwändigen Ausbildung der dafür eingesetzten BeamtInnen. Europäische
Überlegungen zur Flüchtlingsumverteilung sind aus Stegers Sicht "unverantwortlich" im Kampf
gegen illegale Migration.
SPÖ und JETZT: Innenminister Kickl hat versagt
Stegers Bemerkung über die Frontex-Ausbildung bezog sich auf Vorhaltungen der SPÖ, Ex-Innenminister Kickl
habe während Österreichs EU-Ratspräsidentschaft keine Erfolge in puncto EU-Außengrenzschutz
verzeichnet. Als "größte[n] Bauchfleck" in der zweiten Republik titulierte EP-Mandatar Andreas
Schieder (SPÖ) die Amtszeit von Innenminister Kickl, unter dessen Ägide die Aufstockung von Frontex auf
2027 verschoben worden sei. Die Mittel für Entwicklungszusammenarbeit habe die Regierung unter Altkanzler
Kurz dagegen halbiert, obwohl in Zeiten des wissenschaftlich belegten Klimawandels mehr Menschen in ihren Lebensräumen
bedroht seien.
Für eine europäische Lösung in der Asylpolitik tritt Angela Lueger (SPÖ) ein. Gerade das EU-Land
Griechenland benötige angesichts der steigenden Flüchtlingszahlen Hilfe, hielt sie der früheren
ÖVP-FPÖ-Koalition vor, nichts in diese Richtung getan zu haben. Ebenfalls tatenlos sei die türkis-blaue
Koalition beim Abschluss von Rückführungsabkommen gewesen. Direkt an Kickl gerichtet, hielt sie dem FPÖ-Mandatar
vor, im Bereich der Abschiebungen Zahlen heranzuziehen, die keineswegs nur nichteuropäische AusländerInnen
beträfen.
Die EU-Ratspräsidentschaft Österreichs 2018 zog erneut Jörg Leichtfried, EU-Sprecher der SPÖ,
in seiner Rede heran, als er der ehemaligen ÖVP-FPÖ-Regierung vorwarf, in der EU-Asylpolitik gescheitert
zu sein. Kein einziges Rückführungsabkommen sei abgeschlossen worden, die Beseitigung von Fluchtursachen
durch die Kürzung von Entwicklungshilfemaßnahmen erschwert. FPÖ-Abgeordnetem Kickl beziehungsweise
der Regierung, der dieser angehört hatte, warf Leichtfried vor, vorsätzlich 54.000 Menschen aus Drittstaaten
als Arbeitskräfte ins Land geholt und dadurch das Lohndumping gefördert zu haben. Die SPÖ gehe einen
anderen Weg, skizzierte er die sozialdemokratische Arbeitsmarktpolitik.
Ex-Innenminister Kickl ist auch in den Augen von Peter Pilz (JETZT) verantwortlich dafür, dass die Aufstockung
von Frontex letztes Jahr gescheitert ist. Kickl sei nämlich Teil einer kleinen Gruppe europäischer Innenminister
gewesen, die sich dagegen gestellt hätten, so der Fraktionsgründer. Die Entwicklungshilfe habe unter
Türkis-Blau dagegen drastisch abgenommen. Mit 1,8 Millionen Euro stellte Österreich 2018 Pilz zufolge
weit weniger Mittel für Hilfe vor Ort bereit als Deutschland und viele andere EU-Länder. "Für
die Hungerhilfe im Ausland geben wir genauso viel aus wie für die Hungerhilfe für Kickl und Co."
ÖVP: Migrationsdruck auf Europa wächst
Reinhold Lopatka (ÖVP) und sein Parteikollege Karl Mahrer sind einig, Europa stehe sicherheits- und migrationspolitisch
vor großen Herausforderungen. Lopatka erinnerte, Altkanzler Sebastian Kurz sei vehement für effektiven
EU-Außengrenzschutz eingetreten, um den Zusammenhalt der EU zu gewährleisten. "Der Druck auf Europa
steigt", verwies Lopatka anhand aktueller Krisen im Nahen Osten und in Afrika auf den akuten Handlungsbedarf.
Immerhin habe die EU einen Paradigmenwechsel eingeleitet, bei dem der Außengrenzschutz anstatt der Flüchtlingsverteilung
in den Vordergrund rücke – da sehe man an der Stärkung von Frontex.
Als ehemaliger Vizepräsident der Wiener Polizei sprach sich Sicherheitssprecher Mahrer für "politische
Lösungen" zur Bekämpfung der Fluchtursachen aus. Die Diskussion über eine "Umverteilung"
von aus Seenot geretteten Flüchtlingen weise jedenfalls in die falsche Richtung. Vielmehr seien Punkte wie
die Durchführung von Asylverfahren außerhalb Europas und eine raschere Stärkung von Frontex essentiell
bei der Entwicklung des EU-Asylwesens. Letztendlich habe der von SPÖ und FPÖ getragene Misstrauensantrag
gegen die Regierung Kurz Österreich und Europa geschadet, so Mahrer, da die "starke Stimme aus Österreich"
auf EU-Ebene fehle.
Als Mandatarin des EU-Parlaments sieht Karoline Edtstadler (ÖVP) wie Mahrer eine schnellere Frontex-Aufstockung,
den Kampf gegen das Schlepperwesen und eine Abkehr von den Gesprächen über einen Verteilungsschlüssel
für die Aufnahme von MigrantInnen durch EU-Länder als Grundlage für eine europäische Migrationspolitik.
Ansonsten mache man den Asylsuchenden oft falsche Hoffnungen. "Ausnahmslos jeder Mitgliedstaat muss einen
Beitrag leisten", unterstrich Edtstadler ihren Willen, die EU-Mittelmeerstaaten zu unterstützen. Jedoch
sei das Verhindern von Flucht die maßgebliche Voraussetzung für ein funktionierendes Migrationswesen.
Daher brauche es einen Ausbau der Kooperationen mit Drittstaaten. Resettlement-Programme empfahl Edtstadler als
Weg, tatsächlich schutzbedürftigen Flüchtenden zu helfen.
NEOS: Mehr EU-Zusammenarbeit für dauerhaftes Asylwesen
Für Claudia Gamon (NEOS), EP-Abgeordnete ihrer Fraktion, krankt das Asylsystem in Europa an der mangelhaften
europäischen Zusammenarbeit. Effektiver Außengrenzschutz sei lediglich ein Instrument dabei, betonte
Gamon, ein wahrhaft europäisches Asylwesen gestalte sich weit komplexer: Europa müsse im Vorgehen gegen
Fluchtursachen mehr Mittel bereitstellen, entlang der Fluchtrouten Möglichkeiten zur freiwilligen Rückkehr
bieten und eine zivile europäische Seenotrettung installieren, mit dem Ziel, Menschenleben zu retten. AsylwerberInnen
ohne Aussicht auf Aufnahme in der EU sollten darüber gleich an der EU-Außengrenze in Kenntnis gesetzt
werden.
Für die NEOS äußerte sich Nikolaus Scherak irritiert, unter der ehemaligen ÖVP-FPÖ-Regierung
sei bei der Asylpolitik zwar viel gefordert, aber wenig umgesetzt geworden. Aus den vormals geplanten 10.000 GrenzschützerInnen
bis 2020 an den EU-Außengrenzen seien 5.000 bis 2025 geworden, referierte er Aussagen vom früheren Innenminister
Kickl zu diesem Thema. Lange Ausbildungszeiten als Rechtfertigung dafür heranzuziehen, wertet Scherak als
lächerlich. Offenbar habe Kickl nicht einmal in Österreich ausreichend Leute für Frontex rekrutieren
können, das Lösen des Problems auf europäischer Ebene sei somit an der "nationalstaatlichen
Schrebergartenmentalität" gescheitert, was Josef Schellhorn (NEOS) in seiner Wortmeldung bestätigte.
Fraglos brauche Österreich Migration, verwies Schellhorn auf den bestehenden Fachkräftemangel, etwa im
Pflegebereich. Klare Regelungen für Bewerbungen auch von außerhalb Europas für Mängelberufe
im Land empfahl der Wirtschaftssprecher seiner Fraktion mit Hinweis auf die demographische Entwicklung in Europa.
Efgani Dönmez, Abgeordneter ohne Fraktion, will wiederum nicht "den Fachkräftemangel über die
Asylschiene lösen". Nicht alle AsylwerberInnen hätten die entsprechenden Vorbildungen. Europa solle
vielmehr bei der Bekämpfung der Fluchtursachen einen "Schulterschluss" wagen, in der Geld- und Handelspolitik
ebenso wie bei der wirtschaftlichen Kooperation mit den Herkunftsländern der MigrantInnen. Alma Zadic, ebenfalls
ohne Fraktion, bekräftigte, der Kampf gegen Fluchtgründe bilde den Hauptpunkt einer effektiven Migrationspolitik,
gerade in Hinblick auf den Klimawandel. Am Begriff "Festung Europa" stieß sich Zadic, da dieser
Begriff aus dem Nationalsozialismus stamme. "Ich schäme mich, dass dieser Begriff in diesem Hohen Haus
wieder verwendet wird."
Als dritte fraktionslose Abgeordnete sprach sich Martha Bißmann dafür aus, Visionen für eine sozialere
und klimafreundliche Gesellschaft umzusetzen. "2024 werden diejenigen, die jeden Freitag auf die Straße
gehen, hier im Parlament sitzen", bezog sich die scheidende Mandatarin in ihrer Abschiedsrede konkret auf
die Jugendlichen von "Fridays for Future".
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