Neues Rechtsgutachten für Durchsetzung einer UVP- Pflicht liegt vor – Grundlage für
neue Kampagne gegen Laufzeitverlängerungen in Temelin und anderer alter Atomkraftwerke
Temelin/Prag/Linz (lk) - Die Atomindustrie steckt in der Krise: Das belegt neuerlich der "Weltstatusbericht
zur Atomenergie", der in dieser Woche veröffentlich werden wird - die Atomenergie macht nur noch 10 Prozent
des globalen Strommix (17,5% im Jahr 1996) aus. Und dieser Anteil wird weiter dramatisch sinken. Denn lediglich
46 Reaktoren sind weltweit in Bau. 272 der 417 aktiven Reaktoren sind bereits länger als 30 Jahre in Betrieb.
Laut diesem Bericht liegen die Kosten beim Bau neuer AKWs bei mindestens 112 Dollar pro Megawattstunde (PV: mind.
36 Dollar, Wind: mind. 29 Dollar). AKW-Neubauten entwickeln sich daher trotz angestrebter staatlicher Milliarden-Subventionen
zu Milliardengräbern. Daher wechselt die Atomindustrie zu noch mehr Risiko: Die Laufzeiten völlig veralteter
Reaktoren, trotz massiver Sicherheitsrisiken, um Jahrzehnte zu verlängern. Denn auch Europas Atomkraftwerke
kommen aktuell vielfach an das Ende der geplanten Betriebszeit, sind im EU-Durchschnitt mittlerweile rund 34 Jahre
alt. Dafür gibt es derzeit in der EU keine Regelungen und keine unabhängige internationale Untersuchung
dieses Risikos. In einem spektakulären Urteil im Juli hat nun der EuGH in einem von NGOs angestrebten Verfahren
gegen die Laufzeitverlängerung bei den belgischen AKWs Doel 1 und 2 erkannt, dass diese Laufzeitverlängerungen
UVP- pflichtig sind.
Auch für das AKW Temelin an unserer Grenze werden bereits Vorbereitungen für eine massive Verlängerung
der Laufzeit getroffen, denn die Betriebsgenehmigung für den ersten Block läuft im Oktober 2020 aus -
geplant ist die beiden Temelin-Blöcke bis mindestens 2060 am Netz zu halten. Deshalb hat Umwelt-Landesrat
Rudi Anschober das Institut für Umweltrecht der JKU Linz ersucht, in einem Gutachten die rechtlichen Möglichkeiten
aufgrund des Präzedenz-Urteils des EuGH zu prüfen - mit dem klaren Ergebnis: eine Betriebsverlängerung
von Temelin ohne UVP ist rechtswidrig!
LR Anschober: "Dieses neue Rechtsgutachten stützt meine jahrelange Forderung nach einer verpflichtenden
grenzüberschreitenden Umweltverträglichkeitsprüfung bei Laufzeitverlängerungen von AKWs. Nun
gilt es die notwendige UVP beim AKW Temelin einzufordern und bei den bereits genehmigten Laufzeitverlängerungen
in anderen Nachbarstaaten durchzusetzen oder aber den Betrieb wegen schwerer Verfahrensmängel zu stoppen.
Die aktuelle Bundesregierung muss jetzt sofort handeln. Und wir starten eine umfassende Kampagne gegen Laufzeitverlängerungen
und für eine verbindliche grenzüberschreitende UVP im Fall einer Laufzeitverlängerung in Temelin!
Eine Entscheidungsphase für unsere Antiatom-Politik!"
Atomkraft - Auslaufmodell wird zum Hochrisiko
Atomenergie ist im Vergleich zu erneuerbaren Energien völlig unwirtschaftlich geworden. Daher setzt die Atomindustrie
trotz veraltetem Kraftwerkspark auf Laufzeitverlängerungen - etwa in Tschechien, der Slowakei, Ungarn, Schweden,
Belgien und anderen Ländern. Das ist hochriskant und bisher in der EU nicht geregelt. Das Durchschnittsalter
der AKWs in der EU liegt bereits bei 33,4 Jahren - 72 Prozent der Reaktoren sind seit mehr als 31 Jahren in Betrieb.
Diese Laufzeitverlängerungen bergen ein hohes Risiko, da die Anlagen dafür nicht ausgelegt sind und teilweise
auch bereits Leistungserhöhungen auf Kosten der Sicherheitsreserven durchgeführt wurden. Die AKW aus
den 1970er Jahren sind, bis auf wenige Ausnahmen (AKW Krsko 40 Jahre), für eine Betriebsdauer von 30 Jahren
konzipiert.
Beispiele von Laufzeitverlängerungen in Europa
- In Belgien wurde die Laufzeit von Doel -1, Doel-2 und Tihange
1 jeweils um zehn Jahre bis 2025 verlängert. Danach sollen alle AKWs stillgelegt werden.
- In Finnland wurde die Laufzeitverlängerung der ältesten
Blöcke Olkiluoto 1 und 2 um 20 Jahre von der Aufsichtsbehörde genehmigt.
- Das niederländische AKW Borssele (45 Jahre) soll bis
2033 im Betrieb bleiben.
- Sechs schwedische Reaktoren sollen bis in die 40er Jahre
betrieben werden, wobei der letzte Reaktor geplant im Jahr 2045 stillgelegt wird.
- Bulgarien unternimmt in Kozloduj Nachrüstungsmaßnahmen
mit dem Ziel, die Reaktoren 60 Jahre zu betreiben.
- Die bestehenden vier Blöcke in Paks in Ungarn verfügen
über genehmigte Laufzeitverlängerungen von 20 Jahren, sie können bis 2032 - 2037 betrieben werden.
- Die zwei AKW Blöcke in Jaslovské Bohunice in
der Slowakei verfügen über eine unbegrenzte Genehmigung.
Laufzeitverlängerungen: Studie zeigt massive Risiken auf
Die von LR Anschober gegründete Allianz der Regionen für einen europaweiten Atomausstieg hat neben einem
Nein zu staatlichen Subventionen für AKW- Neubauprojekte auch klare Regeln für eine Begrenzung der AKW-Laufzeiten
zum Ziel. Um die Thematik der Gefahr durch Altreaktoren und Laufzeitverlängerungen aktiv anzugehen, hat die
Allianz der Regionen die Erstellung einer internationalen Studie über die Gefahren durch den Betrieb der Altreaktoren
beschlossen.
Der Zwischenbericht der umfassenden Studie, die von der INRAG (International Nuclear Risk Assessment Group) unter
Mitarbeit von 15 Top-Expert/innen aus sechs Ländern erstellt wurde, untersucht die Bedeutung der Alterung
von Atomkraftwerken, den Umgang mit den Risiken gealterter Anlagen und die geforderte kontinuierliche Erhöhung
des Sicherheitsniveaus von Atomkraftwerken in Europa generell und anhand einzelner Fallbeispiele.
Die Grundaussagen des Zwischenberichts der Studie sind alarmierend:
- die Laufzeitverlängerungen erhöhen das Sicherheitsrisiko
massiv
- die Verfahren, die über diese Laufzeitverlängerungen
entscheiden sind völlig intransparent
- die Verfahren bringen keinerlei Mitspracherecht für
die Nachbarstaaten und deren Bevölkerung
- die Uralt-AKWs wären heute nicht mehr genehmigungsfähig
Es braucht daher klare EU-Regelungen gegen die Risiken der Laufzeitverlängerungen: Verpflichtende grenzüberschreitende
Umweltverträglichkeitsprüfungen mit Beteiligung der Bevölkerung der Nachbarstaaten im Fall eines
Antrags auf Laufzeitverlängerung und eine Minimierung der Laufzeit mit einer maximalen Obergrenze.
LR Anschober: "Die Studie zeigt die dramatischen Sicherheitsrisiken der derzeitigen Praxis von Laufzeitverlängerungen
alter AKWs auf. Nicht zuletzt aufgrund des aktuellen Urteils im Fall Belgien muss auf europäischer Ebene dringend
gehandelt werden - es braucht einheitliche Standards der EU zur Begrenzung der Laufzeit. Nur so kann das wachsende
Risiko verlässlich beschränkt werden."
Laufzeitverlängerungen für AKWs Dukovany und Krsko - ohne UVP keine ausreichende Genehmigung
Der EuGH hat in seinem Urteil vom 29. Juli 2019 in einem von belgischen NGOs angestrebten Verfahren gegen die Laufzeitverlängerung
bei den belgischen AKWs Doel 1 und 2 erkannt, dass diese Laufzeitverlängerungen UVP-pflichtig und auch nach
Aarhus- und Espoo-Konvention sowie FFH-RL genehmigungspflichtig sind.
Nun wurden von den jeweiligen regionalen Behörden in der jüngeren Vergangenheit mehrfach Laufzeitverlängerungen
genehmigt - ohne eine grenzüberschreitende Umweltverträglichkeitsprüfung durchzuführen. Es
handelt sich dabei unter anderen um Laufzeitverlängerungen für die AKW-Blöcke in Dukovany und für
das AKW Krsko in Slowenien.
Für die vier Blöcke des AKW Dukovany hat die tschechische Atomaufsichtsbehörde sukzessive von
2015 bis 2017 unbefristete Laufzeitverlängerungen genehmigt. Die Blöcke, die mit einer Auslegung für
30 Jahre Betriebszeit sollen nun - trotz des großen Kontrollskandals über defekter Schweißnähte
und sämtlicher Zwischenfälle - geplant 50 Jahre am Netz bleiben.
Oberösterreichs Umwelt-Landesrat Rudi Anschober sieht mit dem Urteil des EuGH seine Forderung nach einer verbindlichen
grenzüberschreitenden UVP bei Laufzeitverlängerungen eindrucksvoll bestätigt und fordert eine Klage
Österreichs gegen die Betreiberfirma des AKW Dukovany aufgrund des Verdachts einer nicht ausreichenden Betriebsgenehmigung.
Neues Rechtsgutachten zeigt: Geplante massive Betriebsverlängerung des AKW Temelin ohne UVP rechtswidrig
Die tschechische Regierung plant eine Verlängerung der Betriebsgenehmigung für das Kernkraftwerk Temelin.
In den Jahren 2015-2017 erfolgte für die Blöcke des Kernkraftwerk Dukovany die Erteilung von Laufzeitverlängerungen
ohne Durchführung einer grenzüberschreitenden Umweltverträglichkeitsprüfung. Das Ökobüro
hat bereits damals das völkerrechtswidrige Verhalten der Tschechischen Republik in einem Aarhus Convention
Compliance-Verfahren (ACCC/C/2016/143) gerügt. Die diesbezügliche Entscheidung steht noch aus. Nun plant
Tschechien den Betrieb der Blöcke I und II des Kernkraftwerks Temelin bis mindestens 2060 durch die Erteilung
einer unbefristeten Betriebsgenehmigung zu verlängern. Der Betrieb von Block I des KKW Temelín ist
bis 12. Oktober 2020 durch die Atomaufsichtsbehörde genehmigt. Den Antrag für eine Laufzeitverlängerung
hat der Betreiber spätestens am 14. Juli 2020 einzureichen, sonst läuft die Gültigkeit am 12. Oktober
2020 aus. Ähnlich ist es für Block II: Den Antrag für die neue Genehmigung hat der Betreiber spätestens
am 28. Februar 2022 einzureichen, ansonsten läuft die Gültigkeit am 31. Mai 2022 aus.
Hierbei wird nach dem derzeitigen tschechischen Standpunkt abermals auf die Durchführung einer grenzüberschreitenden
Umweltverträglichkeitsprüfung verzichtet. Vielmehr soll die Genehmigungserteilung nach dem tschechischen
Atomgesetz vollzogen werden, wonach der Antragsteller gem § 19 Abs 1 CZ-AtomG die einzige Partei des Verfahrens ist. Der tschechische Standpunkt ist dazu, dass
Laufzeitverlängerungen und Betriebsgenehmigungsverlängerungen bloß formale Sicherheitskontrollen
seien, die über den Betrieb des AKWs informieren sollen und keine Auswirkungen auf die Umwelt nach sich zögen.
Diese Sicht der Dinge ist allerdings nach eingehender juristischer Analyse europarechtswidrig: Präjudiziell
hierfür ist ein unlängst vom EuGH getroffenes Urteil Rs-C 411/17 im Vorabentscheidungsverfahren betreffend
das Kernkraftwerk Doel in Belgien. Darin hat der EuGH in der technischen Modernisierung des Atomkraftwerks, die
mit einer Laufzeitverlängerung notwendigerweise verbunden waren, ein UVP- pflichtiges Projekt gesehen.
Die vom Institut für Umweltrecht verfasste Studie gelangt zum Ergebnis, dass die tragenden Gründe des
Urteils auch für die Betriebsgenehmigung Temelin und die Laufzeitverlängerung Dukovany maßgebliche
Bedeutung haben: Wie bei der Laufzeitverlängerung kommt es durch die Verlängerung der Betriebsgenehmigung
zu Auswirkungen auf die Umwelt und die menschliche Gesundheit, die im Zeitpunkt der Erstgenehmigung nicht beurteilt
werden konnten.
Maßgeblich für eine Beantwortung der Frage über die Durchführung einer grenzüberschreitenden
UVP bei Laufzeit- und Betriebsgenehmigungsverlängerungen ist der Projektbegriff der UVP-Richtlinie. Bei der
Verlängerung ist mit geänderten Umweltbedingungen, neuen wissenschaftlichen Erkenntnisstandards und unter
Umständen mit der Notwendigkeit von technischen Adaptierungen zu rechnen. Die Bewertung dieser Umstände
kann nur im Rahmen einer Umweltverträglichkeitsprüfung erfolgen; allfällige periodische Kontrollen
nach der RL 2009/71 EA können die Zwecke der UVP (Abwägung der Gesamtauswirkung auf die Umwelt) nicht
substituieren.
Das neue EuGH-Urteil betreffend die Sache Doel bestätigt diese Sichtweise. Die Generalanwältin Juliane
Kokott hat in dieser Rechtssache ausdrücklich angeführt, dass Laufzeitverlängerungen per se ein
Projekt im Sinne der UVP-Richtlinie sowie den Übereinkommen von Aarhus und Espoo sind. Dementsprechend muss
auch eine grenzüberschreitende Umweltverträglichkeitsprüfung mit Öffentlichkeitsbeteiligung
stattfinden. Der EuGH hat sich dem grundsätzlich angeschlossen, wenngleich er in casu den Schwerpunkt auf
die baulichen Maßnahmen ("Ertüchtigungsmaßnahmen" des AKWs) gelegt hat. Die vorliegende
Projektstudie zeigt auf, dass erst recht auch Laufzeitverlängerungen/ Betriebsgenehmigungen ohne bauliche
Maßnahmen - mit Kokott - den Projektbegriff erfüllen.
Gem Art 2 Abs 4 UVP-Richtlinie ist es möglich, zugunsten der Abwendung einer Gefahr für die Stromversorgungssicherheit
von der Durchführung einer Umweltverträglichkeitsprüfung abzusehen. Im Falle der AKWs Temelin und
Dukovany ist eine Anwendung dieser Ausnahmebestimmung allerdings in mehrfacher Hinsicht nicht möglich. Die
Laufzeitverlängerung und Betriebsgenehmigungsverlängerung ist zum einen nicht geeignet, die Stromversorgungsicherheit
zu gewährleisten. Aufgrund des schon erwähnten alterungsbedingten Anlageverschleißes muss die atomare
Stromerzeugung durch alte Atomkraftwerke kontinuierlich heruntergefahren werden, um keine Gefährdung der Reaktorsicherheit
zu provozieren. Weiters wäre selbst bei Stilllegung der Blöcke I und II in Temelin der tschechische Stromhaushalt
nicht gefährdet, da die Tschechische Republik im Jahr 2018 ein Gros des erzeugten Stromes in das Ausland exportierte.
Darüber hinaus ist eine grenzüberschreitende Umweltverträglichkeitsprüfung in jedem Fall durchzuführen
- Art 2 Abs 4 UVP-RL lässt nämlich die in Art 7 UVP-RL geregelte grenzüberschreitende Umweltverträglichkeitsprüfung
unbeschadet. Die Ausnahme von der Anwendung der UVP-Bestimmungen greift daher nur bei inländischen Sachverhalten
und lässt zwischenstaatliche UVP unberührt.
Sollte Tschechien an der Vollziehung der Genehmigungserteilung nach dem dzt. geltenden tschechischen Atomrecht
festhalten, so kann Österreich ein Vertragsverletzungsverfahren wegen des Verstoßes gegen die Bestimmungen
der UVP-RL sowie der Übereinkommen von Aarhus und Espoo einleiten.
Umfassende Kampagne des Umweltressorts gegen Laufzeitverlängerungen in Temelin und anderen AKWs in der EU
und für klare Regelungen der EU
Mit dem neuen Rechtsgutachten wird Umwelt-Landesrat Rudi Anschober die Kampagne gegen Laufzeitverlängerungen
weiter verstärken. Geplant ist:
- die Übermittlung des Rechtsgutachtens an die Bundeskanzlerin,
Außenminister und Umweltministerin. Mit dem Appell, Rechtsschritte gegen Laufzeitverlängerungen ohne
UVP einzuleiten und proaktiv an die tschechische Regierung heranzutreten mit der eindringlichen Forderung, rechtlich
korrekt vorzugehen.
- Übermittlung des Rechtsgutachtens an die EU-Kommission
mit dem Appell für die Einhaltung der UVP-Richtlinie bei allen 18 AKW in der EU zu sorgen, bei denen Laufzeitverlängerungen
ohne UVP durchgeführt wurden.
- Schreiben an die tschechische Regierung mit Übermittlung
des Gutachtens und der Ankündigung von Rechtsschritten, falls eine Laufzeitverlängerung in Temelin ohne
UVP genehmigt werden würde.
- Präsentation der Europäischen Risikostudie zu
Laufzeitverlängerungen Ende November und Übermittlung an EU-Kommission und Europaparlament.
- Kampagnisierung der Forderungen einer Begrenzung der Laufzeitverlängerungen
mit Obergrenze für Laufzeit und verpflichtender grenzüberschreitender UVP als klare EU- Regeln.
|