Verlagerung von Bundesbehörden könnte laut Bundesratspräsident Bader tausende
Arbeitsplätze in den ländlichen Raum bringen
Wien (pk) – Müssen Bundesbehörden notgedrungen in Wien angesiedelt sein? Oder würde es nicht
doch Sinn machen, einige davon in den ländlichen Raum zu verlagern? Und welche anderen Möglichkeiten
gibt es, die Regionen zu stärken und die Landflucht zu stoppen? Mit diesen Fragen befasst sich am 9. Oktober
eine Enquete des Bundesrats. Unter dem Titel "Nah am Menschen. Bereit für die Zukunft – Chancen der Dezentralisierung"
richten PolitikerInnen und ExpertInnen den Fokus unter anderem auf die demographische Entwicklung und bestehende
Probleme in anderen europäischen Ländern. Darauf aufbauend soll es dann um konkrete Vorschläge und
Optionen für Österreich gehen.
Bader warnt vor Vernachlässigung ländlicher Gebiete
Der Initiator der Parlamentarischen Enquete, Bundesratspräsident Karl Bader, sieht jedenfalls Handlungsbedarf
und warnt vor einer Vernachlässigung ländlicher Gebiete. Den ländlichen Raum als attraktiven Lebensraum
zu erhalten und jungen Menschen vor Ort Perspektiven anzubieten, sei eine der zentralen Aufgaben der Politik in
den nächsten Jahren, sagte er bei der Eröffnung der Enquete. Schließlich wirke sich die Abwanderung,
insbesondere von jungen Frauen, negativ auf das gesamte Sozial- und Wirtschaftsgefüge im ländlichen Raum
aus.
Aber nicht nur die ländlichen Gebiete, auch die urbanen Zentren müssten nach Meinung Baders größtes
Interesse an vitalen Regionen haben. Würde doch massiver Zuzug die Städte überfordern und zu vielerlei
Problemen führen. Zudem drohe eine Spaltung von Stadt- und Landbevölkerung, wie das Beispiel Frankreich
zeige. In Spanien habe die Landflucht bewirkt, dass mittlerweile tausende Dörfer vollständig verlassen
seien.
Damit Menschen im ländlichen Raum bessere Zukunftsperspektiven haben, brauche es eine taugliche Infrastruktur,
gute Arbeitsplätze, zeitgemäße Bildungsangebote und eine gute Gesundheitsversorgung, betont Bader.
Er setzt in diesem Sinn auf den "Masterplan ländlicher Raum", der die Länderkammer des Parlaments
ihm zufolge in den nächsten Jahren begleiten wird. Als eine ganz konkrete Maßnahme schlägt Bader
vor, Bundesbehörden in den Regionen anzusiedeln: Dadurch könnten mehrere tausend qualifizierte Arbeitsplätze
in den ländlichen Raum bzw. die Bundesländer gebracht werden.
Ausdrückliches Bedauern äußerte Bader darüber, dass entgegen anderslautender Zusagen kein
Mitglied der Bundesregierung an der Enquete teilnimmt. Sowohl der auch für Reformen und Deregulierung zuständige
Justizminister Clemens Jabloner als auch Nachhaltigkeitsministerin Maria Patek ließen sich vertreten.
Sonntag: Mehr Effizienz durch Optimierung des Verwaltungshandelns und der Verwaltungsstrukturen
Die Möglichkeiten und Grenzen der Verwaltungsdezentralisierung beleuchtete Ministerialrat Martin Sonntag,
der in Vertretung von Justizminister Clemens Jabloner einen Vortrag hielt. Er gab zunächst zu bedenken, dass
zwischen den Begriffen Dezentralisierung, also der Übertragung von Aufgaben an andere Gebietskörperschaften,
und Dekonzentrierung, womit die Ansiedelung von Behörden an anderen Orten gemeint ist, klar unterschieden
werden müsse.
Da im Mittelpunkt jeglichen Verwaltungshandelns der Mensch stehe, dürfe nie das angestrebte Ziel, das mit
einer Maßnahme erreicht werden soll, aus den Augen verloren werden, betonte der Leiter der Stabstelle für
Reformen und Deregulierung. Dies gelte auch für die Digitalisierung, in der ohne Zweifel viele Chancen steckten.
Verwaltung müsse so unbürokratisch und so rechtsstaatlich wie möglich gestaltet werden. Ein konkreter
und wichtiger Beitrag dazu sei der weitere Ausbau von One-Stop-Shops, die als zentrale Anlaufstellen – sowohl virtuell
als auch reell – fungieren. Gerade im Bereich der Verfahrenskonzentration sollten die Chancen der Digitalisierung
exzessiv genutzt werden, urteilte Sonntag. Als Beispiel für einen kundenorientierten Einsatz von Digitalisierungsmaßnahmen
könne Estland dienen. Dort wurde das Once-Only-Prinzip eingeführt, dessen Ziel es ist, dass Daten nur
einmal eingegeben werden müssen und dann der gesamten staatlichen Verwaltung zur Verfügung stehen.
Als zweiten wichtigen Punkt führte der Vertreter des Justizressorts die Evaluierung und den sachgerechten
Abbau von Doppelstrukturen an. In diesem Zusammenhang werde immer wieder die Eingliederung von Sonderbehörden
des Bundes in die allgemeine staatliche Verwaltung (Bezirkshauptmannschaften) genannt. Da es in jedem Bereich zahlreiche
Für und Wider für den Beibehalt bzw. für die potentielle Verländerung der Strukturen gibt,
sei es Aufgabe der nächsten Bundesregierung, hier weitere Schritte zu setzen. Überlegenswert wäre
seiner Meinung nach ein "Ausräumen" der Grundsatzgebung sowie das Schaffen einer klaren Ergebnisverantwortung.
Als weiteres Beispiel für die Optimierung des Verwaltungshandelns führte Sonntag den gebietskörperschaftsübergreifenden
Einsatz von Amtssachverständigen sowie den Vollausbau der Transparenzdatenbank an. Er hoffe, dass die heutige
Veranstaltung wieder einen Impuls dazu geben könne, die sinnvolle Zusammenarbeit von Bund und Ländern
im Sinne der Menschen weiterzuentwickeln.
Rauch-Keschmann: Chancen der Digitalisierung für die dezentrale Erbringung von öffentlichen Dienstleistungen
Ulrike Rauch-Keschmann, Leiterin der Sektion Tourismus und Regionalpolitik im Nachhaltigkeitsministerium, verwies
eingangs ihres Statements auf den Masterplan Ländlicher Raum, der vom November 2016 bis Juni 2017 in einem
breiten Beteiligungsprozess unter Einbindung von Stakeholdern sowie BürgerInnen unter der Federführung
ihres Ressorts erarbeitet wurde. Sein Hauptanliegen sei die Sicherstellung lebendiger ländlicher Räume,
in denen Menschen auch künftig leben, arbeiten und wirtschaften können.
Damit die ländlichen Räume Zukunftsräume sind und bleiben, brauche es zeitgemäße Rahmenbedingungen,
wie eine moderne Infrastruktur, hochwertige Arbeitsplätze, attraktive Bildungsangebote, verlässliche
Gesundheitsversorgung, Angebote für Kinder- und Seniorenbetreuung, lebendige Dörfer und Kulturangebote,
ist die Sektionsleiterin überzeugt. Erfreulicherweise konnten in den letzten Jahren schon viele Maßnahmen
umgesetzt werden. Auch eine Zwischenevaluierung des österreichischen Programms für die ländliche
Entwicklung 2014-2020 habe gezeigt, dass in Regionen mit Rückstand eine positive Entwicklungsdynamik feststellbar
sei. Generell wichtig ist es ihr auch, ein differenziertes Bild über den ländlichen Raum in der Öffentlichkeit
zu zeichnen. Es gebe zweifellos Regionen, die strukturschwach seien und aus denen Menschen abwandern, aber gleichzeitig
finde man auch sehr dynamische Regionen, wo Zuwanderung stattfinde.
|
Einen Schwerpunkt im Masterplan bildet das Thema "Dezentralisierung", das nach Einschätzung von
Rauch-Keschmann aus zwei wesentlichen Komponenten besteht: Einerseits die räumliche Verlagerung von Dienststellen,
Agenturen oder Behörden in ländliche Räume und andererseits die dezentrale Erbringung von öffentlichen
Dienstleistungen bzw. der unkomplizierte Zugang der BürgerInnen zu diesen Services. Was den ersten Punkt angeht,
so habe das Nachhaltigkeitsministerium bereits viele seiner Dienststellen in den Regionen angesiedelt. Die Mehrzahl
der rund 3.500 MitarbeiterInnen arbeite in den Bundesländern in Forschungseinrichtungen, Bundesämtern
und Bundesanstalten, höheren land- und forstwirtschaftlichen Schulen oder der Wildbach- und Lawinenverbauung.
Nur ein Drittel der KollegInnen sei in Wien beheimatet, informierte die Sektionsleiterin.
Bei der Umsetzung der zweiten Komponente, also der dezentralen Erbringung von öffentlichen Dienstleistungen,
bringe wiederum die Digitalisierung große Chancen mit sich. Damit könnten etwa bisherige Standortnachteile
des ländlichen Raums teilweise ausgeglichen werden, bekräftigte Rauch-Keschmann. Die Digitalisierung
sorge dafür, dass Menschen in den Regionen nicht nur neue wirtschaftliche Chancen nutzen, sondern dass sie
auch besser von einem modernen Bürgerservice profitieren können, Stichwort: E-Government. Im Masterplan
finde sich daher etwa die Maßnahme "Breitbandinfrastruktur für ländliche Räume",
für die spezielle Mittel zur Verfügung gestellt werden. Damit sollen Versorgungslücken vor allem
in schlecht versorgten - für die Mobilfunkbetreiber unwirtschaftlichen Regionen – geschlossen werden. Es brauche
jedenfalls ein Bündel an Maßnahmen, wobei die besten Lösungen nur von und mit den Menschen vor
Ort – eben nah an den Menschen, wie es der Titel der Enquete so treffend ausdrückt – gefunden werden könnten.
Wilfing: Niederösterreich ist Vorzeigeland für Digitalisierung in Wirtschaft und Verwaltung
Digitalisierung und Dezentralisierung werden in den kommenden Jahren immer stärker an Bedeutung gewinnen,
unterstrich der Präsident des Niederösterreichischen Landtags Karl Wilfing. Sie stellten wichtige Instrumente
dar, um insbesondere die ländlichen Regionen zu stärken und um sie für die BürgerInnen attraktiver
zu gestalten. Landeshauptfrau Johanna Mikl-Leitner habe kurz nach ihrem Amtsantritt den Auftrag für das sogenannte
drei D-Programm "Digitalisierung-Dezentralisierung-Deregulierung" und die Erstellung einer einer eigenen
Digitalisierungsstrategie erteilt, informierte er. Damit soll versucht werden, den digitalen Wandel bestmöglich
zu begleiten und die damit verbundenen Chancen, die sich in allen Lebensbereichen bieten, zu nutzen. Die Maßnahmen
setzen daher bereits in den Kindergärten an, wo etwa auf spielerische Weise das Programmieren erlernt werden
könne, gehen über die Schulbildung, die Förderung der ArbeitnehmerInnen und der Wirtschaftstreibenden
und reichen bis hin zur Unterstützung der SeniorInnen.
Ein besonderes Anliegen sei es dabei, dass der öffentliche Dienst mit gutem Beispiel vorangehe und dass die
Verwaltung bürgerfreundlicher gestaltet werde. Derzeit können bereits 135 unterschiedliche Behördenwege
zu den verschiedensten Themenbereichen wie Wohnen, Wirtschaft, Tourismus, Landwirtschaft oder Weiterbildungsmöglichkeiten
online abgewickelt werden, hob Wilfing hervor. Außerdem habe man eine Geschäftsstelle für Technologie
und Digitalisierung als Drehscheibe zwischen den verschiedenen Ressorts und Fachbereichen eingerichtet. Überdies
wurden im Rahmen eines "digi contests" alle MitarbeiterInnen im Landesdienst aufgerufen, Ideen einzubringen,
wie die Digitalisierung weiter vorangetrieben werden könne.
Mit der Dezentralisierungsoffensive werde zudem das Ziel verfolgt, den Bediensteten wohnortnahe Arbeitsmöglichkeiten
anzubieten, führte Wilfing weiter aus. Damit werden gleichzeitig die Regionen gestärkt und eine bürgernahe
und effiziente Verwaltung direkt vor Ort gewährleistet. In den kommenden Jahren sollen insgesamt 500 Arbeitsplätze
dauerhaft oder tageweise in periphere Regionen verlagert werden; bis dato wurden schon mehr als 130 Telearbeitsplätze
geschaffen. Nicht nur in der Verwaltung werde in Niederösterreich auf Regionalität gesetzt, auch in der
seit 2014 bestehenden Verwaltungsgerichtsbarkeit. So hätten sich die Außenstellen des Landesverwaltungsgerichtes
in Mistelbach, Wiener Neustadt und Zwettl in der Praxis als bürgernahe Einrichtungen bewährt. Er sähe
es jedenfalls als einen wichtigen Beitrag zu mehr Chancengerechtigkeit an, wenn mehr Bundesdienststellen in die
Länder gebracht werden.
Für all diese Maßnahmen brauche es natürlich auch die entsprechende Infrastruktur, die am Land
schwerer zu bewerkstelligen sei als in der Stadt, räumte Wilfing ein. Niederösterreich habe dafür
ein 3-Schichten-Modell entwickelt, für das es den europäischen Breitbandpreis gewonnen hat. Mittlerweile
seien schon fast 343.000 Haushalte (von rund 800.000) an ein leistungsstarkes Breitbandinternet angebunden, hob
der Landtagspräsident hervor. Die Erfahrung in den Modellregionen habe gezeigt, dass es aufgrund der Siedlungsstruktur
und der Topographie einen Mix aus Glasfaser und Mobilfunk geben müsse.
|
Dezentralisierung im Lichte der demographischen Entwicklung Österreichs
Die demographischen Prozesse innerhalb Österreichs laufen regional sehr unterschiedlich ab, betonte Stephan
Marik-Lebeck von der Statistik Austria in seinem Beitrag zum demographischen Wandel in Österreich bei der
Enquete des Bundesrats zum Thema Dezentralisierung. Der Gegensatz zwischen Ballungsräumen und peripheren Gebieten
werde anhand der unterschiedlichen Bevölkerungsstruktur sichtbar. Während sich die jüngere Bevölkerung
in den Städten konzentriere und die Bevölkerungsdichte durch internationale Zuwanderung steige, verbleibe
die ältere Bevölkerung überproportional in Abwanderungsgebieten. Die TeilnehmerInnen der Enquete
setzten sich für den Erhalt der Infrastruktur im ländlichen Raum ein, wobei auch die Dezentralisierung
von Behörden eine wichtige Rolle spiele.
Österreichs Bevölkerung steigt
Seit dem Jahr 2000 ist Österreichs Bevölkerung um ungefähr 800.000 Personen gestiegen. Der Großteil
davon aufgrund von Zuzügen nach Österreich. Zusätzlich gab es um 40.000 Geburten mehr als Sterbefälle,
informierte der Experte der Statistik Austria. In Österreich seien große regionale Unterschiede der
Bevölkerungsentwicklung zu verzeichnen.
Nicht nur Zuzüge aus dem Ausland, auch Gesellschaftswanderungen innerhalb Österreichs wirken sich auf
die Zusammensetzung der Bevölkerung aus. Daran seien bestimmte Bevölkerungsgruppen signifikant beteiligt.
Einerseits ziehe es junge Erwachsene für die Bildung in größere Städte, andererseits gebe
es eine Suburbanisierung bei Familiengründungen, außerdem wirken sich Ruhestandswanderungen in die Herkunftsbezirke
markant aus.
Alterungstrend trifft alle Gemeinden
Klar ist für Marik-Lebeck: Die österreichische Bevölkerung altert. Dieser Trend bestehe seit 1972
und betreffe nach der Reihe alle Gemeinden, abgesehen von größeren Städten. Zudem kommen die geburtenstarken
Jahrgänge von Mitte 1950 bis 1970 in den nächsten Jahren ins Pensionsalter, sagte er.
Während der Anteil der über 65-Jährigen zunehme, sinke der Anteil der unter 20-Jährigen, wobei
die Gesellschaft im Westen Österreichs jünger sei als im Osten. Im Vergleich mit den Nachbarländern,
aber auch innerhalb der EU schreite die demographische Alterung in Österreich etwas langsamer voran, sagte
der Experte. Der Anteil der 65-Jährigen und Älteren liege hierzulande niedriger als im EU-Durchschnitt
und nehme etwas langsamer zu. Aber auch der Anteil der unter 20-Jährigen sei niedriger als im EU-Schnitt.
Im unmittelbaren Vergleich habe Deutschland eine etwas ungünstigere Altersstruktur als Österreich, die
Schweiz hingegen eine günstigere mit höheren Geburtenüberschüssen und stärkeren Migrationsgewinnen.
Durch Dezentralisierung von Bundeseinrichtungen Infrastruktur stützen
Durch Ansiedlung von Bundes- sowie Landeseinrichtungen im ländlichen Raum soll mehr Fairness geschaffen werden,
so der Tenor in der anschließenden Diskussion. Städte und Länder sollten miteinander statt gegeneinander
agieren, wobei die Bedürfnisse der Menschen im Vordergrund stehen und auch die Geschlechterperspektive bedacht
werden sollte. Aktuelle Zentralisierungen wie bei den Sozialversicherungen und Finanzämtern stießen
in der Diskussion auf wenig Gegenliebe. Ein Mindestmaß an Infrastruktur im ländlichen Raum sei zu gewährleisten,
wozu Ärzte, Banken, Postämter, Einkaufsmöglichkeiten und der öffentliche Verkehr gehören.
Österreich habe ein Problem mit Doppelstrukturen, erörterte ein Vertreter der Europäischen Kommission,
der Hilfe bei Koordinierung und Finanzierung anbot.
|