Graz (stadt) - Sein Foto gilt heute als bannbrechend. Denn erst nach dessen Verbreitung wurde der Weltöffentlichkeit
bewusst, welches historische Ereignis hier über die Bühne ging: Die Rede ist von jenem Bild des Wiener
Fotografen Bernhard Holzner, das den damaligen österreichischen Außenminister Alois Mock gemeinsam mit
seinem ungarischen Amtskollegen Gyula Horn bei Sopron zeigt, mit der Zange ein Stück Drahtzaun durchschneidend.
Das war am 27. Juni 1989 und es wurde nur nachgestellt, was ab dem 2. Mai des selben Jahres in ganz Europa passierte:
Die Grenzanlagen entlang des Eisernen Vorgangs fielen.
Diesem einschneidenden historischen Ereignis ist eine international besetzte Konferenz am 7. und 8. Oktober gewidmet,
die das Ludwig Boltzmann Institut für Kriegsfolgenforschung gemeinsam mit der Stadt Graz und der Universität
Graz veranstaltet. Die Idee dazu kam von der Stadt, die Umsetzung übernahm das Boltzmann Institut und die
Universität Graz stellte u. a. Räumlichkeiten zur Verfügung.
In diesen, nämlich im Meerscheinschlössl, fand heute auch die offizielle Eröffnung statt. Noch bis
am frühen Abend werden hochkarätige ExpertInnen Vorträge halten und Diskussionen über die Bühne
gehen.
Freiheit der individuellen Planung
Bereits am Abend des 7. Oktober lud Kulturstadtrat Günter Riegler zu einem Empfang in den Gemeinderatssaal
des Rathauses, wo u. a. Mark Kramer von der Havard University die Keynote unter dem Titel "Das Ende des Kommunismus"
hielt. Die anschließende Podiumsdiskussion mit ZeitzeugInnen leitete Historiker Stefan Karner von der Österreich-Russischen
Historikerkommission.
Riegler strich in seinem Statement die Freiheit der individuellen Planung - im Gegensatz zur völlig versagt
habenden kommunistischen Gesamtplanung und die Freiheit des Eigentumserwerbs und das Recht, überhaupt Eigentum
halten und vererben zu dürfen, hervor.
Am 8. Oktober eröffnete Bürgermeister Siegfried Nagl gemeinsam mit der Leiterin des Ludwig Boltzmann
Instituts (LBI), Barbara Stelzl-Marx, dem neuen Rektor der Karl-Franzens-Universität, Martin Polaschek, und
der Leiterin der Konrad Adenauer Stiftung, Claudia Crawford. In insgesamt vier Panels wird das Thema Fall des Eisernen
Vorhangs wissenschaftlich erläutert und diskutiert.
Kein Mensch hat das Recht, zu gehorchen
Bürgermeister Nagl erinnerte sich in seinen Grußworten an seinen ersten Staatsgast 2003, der sich ins
neu begonnene Goldene Buch der Stadt eintrug: "Es was Michail Gorbatschov. Ich bin mit einem Mann, der die
Geschichte maßgeblich beeinflusst hat, durch Graz spaziert. Am Hauptplatz hat er Kinder in den Arm genommen."
Auch an den Fall des Eisernen Vorhangs hat Nagl ganz persönliche Erinnerungen: "Ich war damals 26 Jahre
alt und dieses Ereignis rührte mich zu Tränen." Das Stadtoberhaupt erklärte in seiner Rede
auch, warum sich Graz mit diesem Thema befasst: "Ich möchte Hannah Arendt zitieren. Die deutsch-amerikanische
Publizistin mit jüdischen Wurzeln sagte: 'Kein Mensch hat das Recht, zu gehorchen.' Wie zutreffend das doch
ist. Unsere Geschichte sehe ich als einen gegenwärtigen Lernort für die Zukunft." Mit den Erkenntnissen,
die ein solches internationsales Symposium bringe, wäre eine gute Grundlage geschaffen, um mit der heutigen
Jugend zu diskutieren. Auch habe der Fall des Eisernen Vorgangs Graz von einer Randlage in Europas Mitte gerückt.
Bereits davor gepflegte Beziehungen gewannen damit zusätzlich an Bedeutung.
Es waren Glücksmomente
In einer Doppelrolle trat die Leiterin der Konrad Adenauer Stiftung (KAS), Claudia Crawford, in Graz auf. Einerseits
war die ehemalige deutsche Bundesministerin zum Zeitpunkt des Vorhangfalls als Studentin selbst betroffen. Andererseits
referiert sie als Leiterin der Stiftung, die in wenigen Tagen ihre Österreich-Dependance in Wien eröffnen
wird.
"Ich bin in der DDR groß geworden. Am ersten Mai 1989 wurden wir erstmals als Studenten ganztägig
oberserviert. Ich befürchtete stets einen blutigen Konflikt, der mit dem Fall des Vorhangs einhergehen würde.
Das Bild von Zerschneiden des Zauns hat mich so bewegt, es war ein unendlicher Lichtblick. Es war ein weiter Weg.
Es brauchte den Mut der Menschen, Politiker, die die richtige Entscheidung zum richtigen Zeitpunkt trafen. Es waren
Glücksmomente. Weil es uns die Freiheit geschenkt hat," betonte Crawford sichtlich bewegt.
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