Handelsverband empfiehlt staatliche Stützung der Tafeln – Steuer- und lebensmittelrechtliche
Graubereiche auflösen. Orientierung am italienischen System sinnvoll. Lebensmittelhandel als Spender vorbildlich.
Wien (handelsverband) - Bundeskanzlerin Dr. Brigitte Bierlein und Nachhaltigkeitsministerin DI Maria Patek
haben am 7. Oktober zu einem Runden Tisch geladen, um gemeinsam mit ExpertInnen über eine weitere Reduktion
von Lebensmittelabfällen in Österreich zu diskutieren. Der Handelsverband war als Branchenvertretung,
Sprecher und Partner des heimischen Handels dabei.
Heimischer Handel unterstützt freiwillige Initiativen wie "Lebensmittel sind kostbar"
Der heimische Handel unterstützt freiwillige Initiativen wie "Lebensmittel sind kostbar" des BMNT,
um die Vermeidung von Lebensmittelverschwendung und die Weitergabe an Sozialorganisationen aktiv zu fördern.
Supermärkte in ganz Österreich geben nicht mehr verkäufliche, aber noch genießbare Lebensmittel
an Tafeln und andere Sozialeinrichtungen weiter. Maßnahmen, die in anderen europäischen Ländern
gesetzlich vorgeschrieben werden mussten, sind in Österreich seit vielen Jahren gelebte Realität.
"Für uns Händler sind Lebensmittel nicht nur kostbar, sie sind zentraler Kernbestandteil unserer
Geschäftstätigkeit und Lebensgrundlage für uns alle. Als Gesicht hin zum Konsumenten fühlen
wir uns verpflichtet, die höchsten Qualitätsansprüche zu erfüllen. Wir haben im Branchenvergleich
sehr geringe Margen und daher überhaupt kein Interesse daran, Lebensmittel wegzuwerfen. Ein entscheidender
Faktor im Kampf gegen Lebensmittelverschwendung ist die Weitergabe an Sozialeinrichtungen. Mittlerweile werden
in Österreich pro Jahr 12.250 Tonnen Lebensmittel vom Handel an Sozialorganisationen gespendet. Darüber
hinaus werden 10.000 Tonnen an nicht mehr verkäuflichen Lebensmitteln zur Futtermittelherstellung verwertet.
Österreich ist damit im internationalen Vergleich ein absolutes Vorzeigeland", bestätigt Handelsverband-Geschäftsführer
Rainer Will.
Haftungsfrage bei italienischem Modell gut gelöst
Heimische Lebensmittelgeschäfte, in deren Umgebung es eine Tafel, einen Sozialmarkt oder eine andere entsprechende
Initiative gibt, arbeiten mit diesen zusammen – freiwillig, effizient und ohne gesetzlichen Zwang. Aus rechtlicher
Sicht sind in Österreich Tafeln und Sozialmärkte als Inverkehrbringer zum Endkonsumenten zu sehen – mit
allen lebensmittelrechtlichen Pflichten. Die Möglichkeiten dieser Sozialorganisationen, die entsprechenden
Vorgaben insbesondere hinsichtlich Qualitätskontrollen und Lebensmittelsicherheit einzuhalten, sind jedoch
nicht mit jenen von Lebensmittelhändlern zu vergleichen.
In Italien gibt es daher die gesetzliche Regelung, dass Sozialorganisationen nicht für Mängel von Produkten
haftbar gemacht werden können, die sich nach bestem Wissen weitergegeben haben. Da die erforderlichen Rahmenbedingungen
für Sicherheit und Hygiene durch die Sozialorganisationen bei Erhalt der Spenden gewährleistet sind,
bietet das italienische Gesetz den Spendern eine zusätzliche Rückversicherung. Damit werden Schenkungen
gefördert, ohne die notwendigen Schutzmaßnahmen in Frage zu stellen. "Die Sozialorganisation haben
also mehr Rechtssicherheit und sind vor Haftungsklagen geschützt. Die Händler wiederum müssen weniger
Bedenken bei der Weitergabe von Produkten haben", erklärt Will die Vorzüge der italienischen Regelung.
Steuer- und lebensmittelrechtliche Graubereiche bei Abnahme auflösen
In Österreich ist der Handel hingegen Steuer- und lebensmittelrechtlich gezwungen, bei der Weitergabe
von Lebensmitteln in einem Graubereich zu agieren. So müssen Lebensmittel vor der Weitergabe im Bewegungsjournal
als Verderb deklariert werden, um die Vorsteuer anwenden zu können. Bedingung dafür wäre allerdings,
dass die Waren nicht mehr verkäuflich bzw. nicht mehr verkehrstauglich sind. Damit dürften sie aber auch
nicht mehr über Sozialeinrichtungen in Verkehr gebracht werden. Dieser rechtliche Graubereich sollte künftig
klarer geregelt werden.
Stärkere öffentliche Unterstützung der Tafel-Infrastruktur sinnvoll
Darüber hinaus wird in Staaten wie Italien ein Teil der Tafel-Infrastruktur durch öffentliche Mittel
gestützt. In Österreich passiert dies – abgesehen von der Stadt Wien – nur in minimalem Ausmaß,
der Großteil der Infrastruktur kommt von privaten Spendern. Die größten vier heimischen Lebensmitteleinzelhändler
(REWE, SPAR, HOFER, LIDL) steuern beispielsweise jährlich insgesamt 100.000 Euro für den Verband der
Österreichischen Tafeln bei und spenden regelmäßig Ausstattung für Sozialmärkte. "Die
Verteilung von unverkäuflichen Lebensmitteln an einkommensschwache Menschen liegt auch im öffentlichen
Interesse und sollte von staatlicher Seite stärker unterstützt werden", fordert Will.
Gesetzliche Verpflichtungen analog zu Frankreich kontraproduktiv
Gesetzliche Regelungen wie in Frankreich und Tschechien, wo Lebensmitteleinzelhändler unter bestimmten Rahmenbedingungen
gesetzlich verpflichtet wurden, überlagerte Lebensmittel an karitative Organisationen abzugeben, haben sich
hingegen als weitgehend ineffizient und kontraproduktiv herausgestellt. Vielfach fallen große Mengen an Warenspenden
in teils fragwürdiger Qualität an, welche von den Sozialeinrichtungen trotzdem übernommen und verteilt
werden müssen. Fehlen den karitativen Einrichtungen die erforderlichen Lager und Transportmittel, ergeben
sich in der Praxis weitere Probleme.
"Eine neue gesetzliche Regelung analog zu Frankreich würde keinen Mehrwert für Armutsbetroffene
oder die Umwelt bringen, sondern eine reine Überbürokratisierung, deren Abbau von der letzten Bundesregierung
versprochen wurde. Stattdessen brauchen wir zusätzliche Anreizmodelle, eine Vereinfachung der Lebensmittelweitergabe
und Logistik sowie eine Verbesserung des in Österreich bewährten Fünf-Stufen-Prinzips", so
Rainer Will.
Entscheidend ist aber, die Lebensmittelverschwendung dort zu bekämpfen, wo sie tatsächlich passiert.
Eine deutliche Reduktion wäre vor allem in den privaten Haushalten möglich. Laut Greenpeace stammen 42%
der heimischen Lebensmittelabfälle im Rest- und Bio-Müll aus Haushalten, aber nur 5% aus dem Handel.
Hierzu braucht es entsprechende Anreize und Sensibilisierungsmaßnahmen beim Endverbraucher. Der Kampf gegen
Lebensmittelabfälle muss ein integraler Bestandteil des Schullebens werden. Nur so kann das Ausmaß der
Lebensmittelabfälle bis 2025 um 30% reduziert werden. Der Handelsverband steht als Branchenvertretung für
weitere Gespräche mit den Stakeholdern gerne zur Verfügung.
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