Hauptverband der österreichischen Sozialversicherungsträger und WIFO widmen sich
im Rahmen der 13. Sozialstaatsenquete der Leistungsfähigkeit unterschiedlicher Pflegesicherungssysteme.
Wien (hauptverband) - Die demographische Entwicklung der kommenden Jahrzehnte lässt in Österreich
eine stark anwachsende Zahl an alten und hochaltrigen sowie auch pflegebedürftigen Menschen erwarten. Derzeit
beziehen bereits rund 460.000 Menschen in Österreich Pflegegeld. 2,6 Mrd. Euro Pflegegeld wurden 2018 ausbezahlt.
„Durch die grundsätzliche positive Entwicklung einer immer älter werdenden Gesellschaft, die wir auch
unserem solidarischen Gesundheitssystem zu verdanken haben, werden höhere Kosten der öffentlichen Hand
prognostiziert“, so der Vorsitzende des Verbandsvorstands im Hauptverband der österreichischen Sozialversicherungsträger,
Alexander Biach, am 8. Oktober.
Berechnungen des Österreichischen Instituts für Wirtschaftsforschung (WIFO) zeigen eine deutliche Erhöhung
der öffentlichen Ausgaben für Pflegedienstleistungen von über 300% bis 2050. Das entspricht einer
durchschnittlichen jährlichen realen Steigerungsrate von 4,4%. Im Rahmen der 13. Sozialstaatsenquete beschäftigen
sich Expertinnen und Experten nun mit der Zukunft unseres Pflegesicherungssystems und vergleichen dafür andere
Systeme untereinander.
„Obwohl im Wahlkampf viel darüber geredet wurde, liegen nach wie vor keine belastbaren Konzepte zur zukünftigen
Organisation und Finanzierung des Pflegewesens am Tisch. Die nächste Bundesregierung wird sich dieser Herausforderung
allerdings endlich stellen müssen – das sollte bei den bevorstehenden Koalitionsverhandlungen außer
Streit gestellt werden“, so WIFO-Leiter Christoph Badelt.
Österreich hat im europäischen Vergleich mit rund 1,5% der Wirtschaftsleistung bislang verhältnismäßig
geringe Ausgaben für die Langzeitpflege. Die europäischen Länder geben zwischen 2,9% (Norwegen)
und 0,12% (Griechenland) der Wirtschaftsleistung aus. Während derzeit z.B. in Norwegen die öffentlichen
Leistungen der Langzeitpflege durch das allgemeine Steueraufkommen finanziert werden, ist die Langzeitpflege in
Deutschland in einem Pflegeversicherungssystem als weitere Säule der Sozialversicherung (neben der Pensions-,
Kranken und Unfallversicherung) beitragsfinanziert.
Im Rahmen der 13. Sozialstaatsenquete wurden die Vor- und Nachteile einer Finanzierung der Pflegeausgaben über
Steuern sowie über ein Beitragssystem durch die Sozialversicherung diskutiert. „Die Wirkungen eines Steuer-
bzw. Beitragssystems hängen von den konkreten Ausgestaltungen ab. Eine Pflegeversicherung ohne begleitende
Abgabenstrukturreform hätte negative Auswirkungen auf Beschäftigung und Wachstum.“, erklärt dazu
die stellvertretende Leiterin des WIFO Ulrike Famira-Mühlberger.
In Deutschland wurde seit 1995 der Weg einer Pflegeversicherung in Form einer gesetzlichen Pflichtversicherung
gewählt. Auch für Österreich wird nun von mehreren Seiten eine solche Versicherung angedacht. „Das
deutsche Beispiel zeigt, dass eine Sozialversicherung ein geeignetes Instrument ist, um gleichermaßen die
familiäre Pflege zu unterstützen und eine ausreichende Pflegeinfrastruktur in der ambulanten und stationären
Pflege zu gewährleisten. Werden die Leistungen der Pflegeversicherung jedoch nicht an die Preisentwicklung
für Pflegeleistungen angepasst, droht ein Verlust der Funktionsfähigkeit des Versicherungssystems und
Pflegebedürftigkeit wird wieder zum Armutsrisiko“, so der Direktor des Zentrums für Sozialpolitik der
Universität Bremen Heinz Rothgang.
Tor Iversen von der Universität Oslo betont die unterschiedlichen Eigenschaften der verschiedenen Pflegesicherungssysteme.
„Dezentrale Steuerfinanzierung fördert das Angebot, Prioritäten und Kostenbewusstsein auf lokaler Ebene.
Dies führt auch zu regionalen Unterschieden beim Zugang zur Langzeitpflege und bei der Qualität der Dienstleistungen,
die auf unterschiedliche regionale Einkommen und Prioritäten zurückzuführen sind. Durch eine zentralisierte
Finanzierung mit detaillierter Zugangs- und Qualitätsregulierung können regionale Unterschiede auf Kosten
der lokalen Angebote, der Prioritäten und des Kostenbewusstseins verringert werden. Die Auswahl eines geeigneten
Systems erfordert sowohl eine detaillierte Analyse der Eigenschaften alternativer Systeme als auch die Erkenntnis,
dass unterschiedliche Systeme bei den verschiedenen Zielen, die verfolgt werden sollen, unterschiedlich abschneiden“,
so Iversen.
Als eine notwendige sofortige Maßnahme zur Sicherung der Pflege wird eine gesetzlich verpflichtende jährliche
Valorisierung des Pflegegeldes genannt, die ab 1. Jänner 2020 in Kraft tritt. „Angesichts der wenigen ad-hoc-Anpassungen
seit 1993 hat das Pflegegeld seit der Einführung deutlich an Wert verloren. Daher ist die im Sommer beschlossene
verpflichtende Valorisierung ein wichtiger Schritt, damit sich Pflegebedürftige auch in Zukunft auf den Sozialstaat
verlassen können und nicht in die Armut abrutschen“, so Alexander Biach.
Ein weiterer Bereich ist die häusliche Pflege. Dabei ist neben der finanziellen und personellen Unterstützung
von pflegenden Angehörigen auch ein besonderes Augenmerk auf Kinder und Jugendliche zu legen, die regelmäßig
ein chronisch krankes Familienmitglied pflegen. „Es ist hierbei dringend geboten, umfangreiche Entlastung durch
professionelle Pflege sicherzustellen, damit diese Kinder und Jugendlichen gesund und integriert in der Gesellschaft
aufwachsen können“, so Biach.
„Das Zukunftsthema Pflege muss ins Zentrum gestellt werden. Es braucht hier einen parteiübergreifenden politischen
Willen, ein belastbares Pflegesicherungssystem zu schaffen, dass den demographischen Entwicklungen gewachsen ist“,
so Biach. „Es werden dafür zusätzliche Mittel benötigt. Ich warne aber davor durch Umschichtungen
finanzielle Mittel aus anderen Bereichen des Gesundheitssystems zu entnehmen. Wir brauchen hier ein nachhaltiges
Finanzierungskonzept, das nicht unsere Sozialversicherungen weiter belastet“, so Alexander Biach abschließend.
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