In den leeren Spiegeln … – von 25.10.2019 bis 16.2.2020 im Tiroler Landesmuseum
Innsbruck (tlm) - Das Porträt einer Künstlerwohnung, die gerade von ihrem Bewohner verlassen wurde,
präsentiert Carmen Brucic in der Sonderausstellung. Nachdem der Tiroler Maler und Bildhauer Wolfram Köberl
ins Altersheim übersiedelt war, bekam sie Zutritt in dessen persönlichen Wohnraum, der zugleich als Atelier
und Zufluchtsort diente. In den dortigen Schatten und Spiegeln traf Brucic auf die Spuren einer Liebe zur Malerei
sowie auf die Zweifel, die Kämpfe und die Wärme eines ganzen Lebens.
Kurz nachdem Wolfram Köberl mit 92 Jahren ins Altersheim übersiedelt war, betrat Carmen Brucic vor zwei
Jahren zum ersten Mal seine Wohnung in Innsbruck. Brucic beschloss, sich fotografisch mit diesem einzigartigen
Ambiente auseinanderzusetzen, das innerhalb weniger Tagen verschwinden würde. Mit den Fotografien erzeugt
sie ein künstlerisches Porträt eines gerade verlassenen Lebensraumes und dessen ehemaligen Bewohners,
in dem sich unter anderem die Liebe zur Malerei sowie ein ganzes Leben widerspiegeln. Die Fotografien, in denen
Brucic ihre Begegnung mit dem Ort festhielt, werden in der Sonderausstellung gemeinsam mit Alltagsobjekten des
Künstlers gezeigt. Als unvollständige Fragmente einer Lebensgeschichte sind sie den „praktischen Listen“
des Museums und ihrem Anspruch auf historische Lückenlosigkeit extrem entgegengesetzt.
Biografische Rekonstruktion?
Ein Schwerpunkt der Sonderausstellung ist die Reflexion darüber, ob durch dieses fotografische Porträt
eine biografische Rekonstruktion möglich oder die Betrachtung eines anderen Lebens immer nur eine Reflexion
des eigenen Ich ist. Der Rahmen, in dem man das Leben des anderen sucht, ist immer von der Perspektive der Suchenden
selbst geprägt. Brucic‘ Arbeit fokussiert deswegen auf das Moment der eigenen Begegnung mit dem Lebensraum
des nicht mehr anwesenden Künstlers.
Verlassene Privatsphäre
Ein weiteres Thema ist die Frage danach, was es bedeutet, in eine verlassene Privatsphäre einzutreten. Die
historischen Stuben des Tiroler Volkskunstmuseum, die früher ebenso Teil eines privaten Alltags waren, werden
nun Teil der Ausstellung und als museal inszenierte Lebensräume thematisiert.
Mit einer zeitgenössischen Stubeninstallation und Texten zu Brucic‘ Fotografien ergänzen Jugendliche
die Ausstellung und das Museum mit neuen Erzähltechniken. Ihre Installation erzählt die Geschichte eines
scheiternden Kunststudenten – eine erfundene Geschichte, deren Wahrheitsbegriff dem Narrativ entspricht, in dem
sich die jungen Menschen befinden. Brucic bot den Schülerinnen und Schülern des Innsbrucker Bundesrealgymnasiums
in der Au eine Annäherung an ihre Fotografien an. Sie bekamen die Möglichkeit, ihre eigene Erzählung
zu den Bildern zu kreieren. Im Rahmen einer Schreibwerkstatt mit der Schriftstellerin Elia Barceló entstanden
zwanzig unterschiedliche Geschichten, zusätzliche Projektionen auf Brucic‘ Darstellung von Köberls Gegenwelt.
Über die Künstlerin
Carmen Brucic wurde 1972 in Gnadenwald in Tirol geboren und lebt und arbeitet zurzeit in Tirol und Wien. Sie hat
in Wien an der Universität für Angewandte Kunst sowie an der Akademie der Bildenden Künste studiert.
Seit 2001 entwickelt Carmen Brucic künstlerisch-wissenschaftliche Formate zu emotionalen Themen, welche sie
in verschiedenen Medien prozesshaft ausarbeitet. Eine fruchtvolle Verbindung zwischen Theater, Fotografie, Inszenierung,
performativer Intervention und oft partizipativen Abläufen prä-gen ihr Schaffen. Zwischen 2001 und 2012
entwickelte sie als künstlerische Leiterin neue partizipative Theaterformate unter anderem für die Volksbühne
am Rosa-Luxemburg-Platz in Berlin, das Mladi Levi Festival Ljubljana, das Burgtheater in Wien und das Artcenter
Vooruit Gent. Seit 2018 verbindet sie Kunst mit Schule und unterrichtet in Innsbruck. Carmen Brucic‘ künstlerische
Arbeiten wurden bisher in Österreich, Slowenien, Deutschland, der Schweiz, Belgien, Mexiko sowie in den USA
gezeigt.
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