Brüssel/Wien (bmdw) - Das Bundesministerium für Digitalisierung und Wirtschaftsstandort sieht das
heimische Standortentwicklungsgesetz in seiner aktuellen Form mit geltendem Unionsrecht kompatibel. Diese Einschätzung
wird auch von den Rechtsexperten bestätigt, mit denen das Ministerium in Kontakt steht und die bei der Erstellung
des vorliegenden Gesetzes mitgewirkt haben. Univ.-Prof. Dr. Walter Obwexer beurteilt die Kritikpunkte der Kommission
in einer ersten Einschätzung wie folgt: „Mit dem gegenständlichen Verfahren bestätigt die Kommission
sowohl das Ziel als auch die Grundsätze des Standort-Entwicklungsgesetzes. Diese werden nämlich nicht
beanstandet. Die von der Kommission vermuteten insgesamt vier Verstöße gegen die UVP-Richtlinie und
das Vorsorgeprinzip können von Österreich mit guten Argumenten entkräftet werden.“
Erstens: Das Standortentwicklungsgesetz beinhaltet keine „Rechtsvermutung der Genehmigung“. Es verpflichtet die
zuständige Behörde lediglich, innerhalb von zwölf Monaten – unter voller Beachtung der UVP-Richtlinie
– zu entscheiden. Dabei ist das Projekt – allenfalls mit Auflagen – zu genehmigen oder andernfalls abzulehnen.
Zweitens: Das Vorsorgeprinzip wird mit dem beschleunigten Verfahren nicht verletzt, da auch in diesem Verfahren
die möglicherweise negativen Auswirkungen auf die Umwelt auf der Grundlage zuverlässiger wissenschaftlicher
Daten umfassend bewertet werden.
Drittens: Die Unterrichtung der Öffentlichkeit über den Ausgang des Verfahrens erfolgt rechtzeitig und
– bei richtlinienkonformer Auslegung des Standort-Entwicklungsgesetzes – auch vollständig.
Viertens: Der Rechtsschutz im Falle einer Säumnisbeschwerde ist gewährleistet, wenn Mitglieder der betroffenen
Öffentlichkeit Zugang zum beschleunigten UVP-Verfahren erhalten. Die Entscheidung wird jedenfalls von einem
Gericht getroffen, gegen dessen Entscheidung ein – wenn auch auf grundsätzliche Rechtsfragen beschränktes
– Rechtsmittel an den Verwaltungsgerichtshof zulässig ist. Das Unionsrecht verlangt nämlich kein zweistufiges
gerichtliches Rechtsschutzverfahren.
„Sollte die Kommission die Argumente Österreichs nicht teilen und eine Vertragsverletzungsklage beim EuGH
erheben, ist dessen Urteil abzuwarten. Sollte der EuGH den Argumenten der Kommission folgen und eine Verletzung
unionsrechtlicher Vorgaben aus der UVP-Richtlinie und dem Vorsorgeprinzip durch das Standort-Entwicklungsgesetz
feststellen, so ist dieses nicht aufzuheben, sondern lediglich entsprechend anzupassen“, legt Univ. Prof. Dr. Obwexer
dar.
Auch Dr. Wilhelm Bergthaler sieht in seiner Einschätzung die Kritikpunkte der Kommission widerlegbar, der
Kernvorwurf wurde im Zuge der Erarbeitung ernst genommen und bereits ausgeräumt. „Der Kernvorwurf der Kommission
richtet sich gegen einen Streitpunkt, der schon im Begutachtungsverfahren ausgeräumt wurde: die vermeintliche
‚Rechtsvermutung‘, dass Vorhaben nach Ablauf der 12-Monatsfrist genehmigt werden müssten. Das ist im Standortentwicklungsgesetz
nicht mehr vorgesehen. Die UVP-Genehmigungsstandards gelten auch hier ungeschmälert; das bestätigt die
Judikatur des VwGH zu einer älteren, nahezu gleichlautenden Bestimmung des UVP-Gesetzes. Auch alle rechtswissenschaftlichen
Kommentare gehen von einem EU-konformen Verständnis aus. Die übrigen beiden Punkte beruhen auf Missverständnissen
zum allgemeinen Verwaltungsverfahren, die nicht spezifisch mit dem Standortentwicklungsgesetz zu tun haben und
aufzuklären sind. Die wesentlichen verfahrensbeschleunigenden Instrumente des Standortentwicklungsgesetzes
bleiben von der EU zu Recht unbeanstandet: das reicht von der strafferen Verfahrensgliederung bis zu Kostenfolgen
bei mutwilliger Prozessverschleppung“, so Dr. Bergthaler.
Das Aufforderungsschreiben der EU-Kommission zu einer Stellungnahme entspricht dem üblichen Prozedere am Beginn
eines Vertragsverletzungsverfahrens. Österreich hat nun zwei Monate Zeit, um sich zu den Kritikpunkten zu
äußern und mögliche Missverständnisse oder Unklarheiten auszuräumen. Das BMDW wird die
Anmerkungen der Kommission entsprechend prüfen und innerhalb der vorgegebenen Frist eine inhaltliche Beantwortung
an die EU-Kommission übermitteln.
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