Autor Schreiber, Ombudsfrau Wiesinger, Leiterin des IGGÖ-Schulamts Baghajati und Institutsleiterin
Islamische Religion Medeni zu Islam und Integration an Schulen
Wien (öif) - Was die steigende Zahl muslimischer Schüler/innen für die Integration an Österreichs
Schulen bedeutet und welche Rolle der islamische Religionsunterricht dabei spielt, diskutierten am 21. Oktober
auf Einladung des Österreichischen Integrationsfonds (ÖIF) der deutsche Autor und Journalist Constantin
Schreiber, Susanne Wiesinger, Ombudsfrau für Wertefragen im Bildungsministerium, Carla Amina Baghajati, Leiterin
des Schulamts der Islamischen Glaubensgemeinschaft, und Elif Medeni, Institutsleiterin Islamische Religion der
Pädagogischen Hochschulen Wien/Krems. Moderiert wurde das Podiumsgespräch von Journalist und Buchautor
Jan Thies (ServusTV).
Wiesinger: „Islamische Religionspädagogen tragen Verantwortung für Entwicklung der Schüler“
Susanne Wiesinger war 30 Jahre lang als Lehrerin an Pflichtschulen tätig; seit Februar 2019 ist sie Ombudsfrau
für Wertefragen und Kulturkonflikte im Bundesministerium für Bildung, Wissenschaft und Forschung (BMBWF).
„In den letzten Jahren habe ich beobachtet, dass die Deutschkenntnisse von Schülerinnen und Schülern
immer schlechter werden, gleichzeitig lehnen immer mehr muslimische Jugendliche die Lebensweise der Bevölkerung
in Österreich ab, vielfach aus religiösen Gründen: Mädchen, die nicht am Schwimmunterricht
teilnehmen; Schüler, die beim Musikunterricht den Raum verlassen, weil das ‚haram‘ sei, oder auch offene antisemitische
Vorurteile – daraus resultierende Konflikte sind leider Alltag an vielen Schulen Österreichs, inzwischen auch
außerhalb Wiens.“ Ein solches Islamverständnis zeige sich nicht nur bei jugendlichen Neuzuwander/innen,
sondern vor allem bei Kindern und Jugendlichen aus Familien, die bereits seit mehreren Generationen in Österreich
leben. Islamische Religionspädagog/innen tragen dabei für Susanne Wiesinger eine Verantwortung für
die Entwicklung der Schüler/innen: „Viele bemühen sich redlich, aber ich habe leider auch oft sehr rückschrittliche
Ausführungen in diesem Unterricht erlebt. Da stehen dann strenge islamische Regeln im Mittelpunkt und Werte
wie Demokratie, Rechtstaatlichkeit und Freiheit geraten ins Hintertreffen.
Baghajati: „Braucht sachliche Auseinandersetzung bei Problemen in der Schule“
Carla Amina Baghajati ist Leiterin des Schulamts der Islamischen Glaubensgemeinschaft in Österreich (IGGÖ)
und damit für den Islamunterricht in österreichischen Schulen mitverantwortlich: „Wir haben große
Anstrengungen zur Qualitätssicherung und -kontrolle unternommen, vor allem in Richtung des Lehrpersonals und
der verwendeten Materialien. Schüler/innen sollen zur Mündigkeit erzogen werden.“ Baghajati beklagt ein
„emotionalisiertes Gesprächsklima“ zum Thema Islam, wodurch sich viele Schüler/innen zunehmend mit Vorurteilen
und negativen Zuschreibungen konfrontiert sehen. Sie plädiert für eine differenzierte Diskussion über
den Islam in der Schule und lehnt Gesetze wie etwa das Kopftuchverbot in Schulen ab: „Es braucht mehr Gelassenheit
in der gesamtgesellschaftlichen Debatte, nur so kann auch ein innerislamischer Diskurs entstehen, der uns voranbringt.“
Schreiber: „Starker konservativer Mainstream beherrscht Islamverständnis“
Constantin Schreiber, Autor, ARD-Tagesschau-Moderator und Grimme-Preisträger 2016 für seine Flüchtlingssendung
„Marhaba – Ankommen in Deutschland“, begegnete bei seinen Recherchen in Deutschland, aber auch im arabischen Raum
einem „mittlerweile stark konservativen Mainstream, neben dem wenig Platz für liberale Kräfte bleibt.
Der Einfluss und die Auswirkungen dessen zeigen sich auch unter anderem im Unterrichtsalltag in Europa, Deutschland
und Österreich.“ Daraus ergäben sich Wertekonflikte im Zusammenleben: „Mein persönlicher Eindruck
ist, dass viele muslimische Zuwanderer ein völlig anderes Religionsverständnis und kein Interesse an
einer Trennung von Staat und Religion haben.“ Für sein aktuelles Buch „Kinder des Koran“ untersuchte Schreiber,
welches Weltbild junge Muslim/innen im arabischen Raum vermittelt bekommen: „Die Ergebnisse sind teilweise erschreckend.
Es finden sich frauenfeindliche, teilweise antisemitische Inhalte, der ,Westen‘ wird als Feindbild der Muslime
dargestellt. Sehr viele Menschen aus dem arabischen Raum sind in den letzten Jahren nach Europa, Deutschland oder
auch Österreich gekommen. Welche Inhalte in den Herkunftsländern dieser Menschen in den Schulen vermittelt
werden, ist daher auch für uns sehr wohl relevant.“
Medeni: „Islamischer Religionsunterricht muss keine Integrationsaufgabe erfüllen“
Elif Medeni leitet das Institut Islamische Religion (IRPA) der Kirchlichen Pädagogischen Hochschulen Wien/Krems:
„Integration ist ein Prozess, der mit dem Erlernen der Sprache beginnt – das ist die Grundvoraussetzung. Der Religionsunterricht
kann einen Beitrag zur Integration leisten, indem er zur Mündigkeit erzieht, aber er darf nicht per se als
Integrationsunterricht verstanden werden.“ Auch sie sieht kritische Entwicklungen: „Wenn Schülerinnen und
Schüler mit einer religiösen Begründung Lehrinhalte ablehnen, können und müssen islamische
Religionslehrer/innen zwischen Elternhaus und Schule mit eben weiteren religiösen Argumenten vermitteln. Das
gelingt nur durch einen reflektierten Religionsunterricht, der den Kindern die Deutungsvielfalt der islamischen
Theologie aufzeigt.“ Dass, im Gegensatz zu Deutschland, islamische Religionspädagoginnen ohne Kopftuch in
Österreich nicht unterrichten dürfen, führt Medeni auf die Anerkennung und das Selbstbestimmungsrecht
der Religionen in Österreich zurück: „Alle Religionsgesellschaften können in Österreich selbst
festlegen, welche Auflagen Lehrer und Lehrerinnen zu erfüllen haben.“ Das Kopftuch sei schließlich kein
Indikator, ob eine Frau „konservativ“ oder „aufgeklärt“ sei. Ziel sei es, Mädchen ein selbstbestimmtes
Leben mit Chancen und Möglichkeiten – unabhängig von Herkunft und Glauben – zu ermöglichen.
ÖIF-Veranstaltungen in voller Länge nachschauen
Der Österreichische Integrationsfonds lädt regelmäßig Wissenschaftler/innen, Autor/innen,
Historiker/innen und Philosoph/innen zu Podiumsgesprächen und Lesungen, um aktuelle Entwicklungen in der Integration
aus verschiedenen Blickwinkeln zu beleuchten. Zuletzt zu Gast waren etwa Philosoph Bazon Brock, Religions- und
Kulturwissenschaftler Jan Assmann oder Frauenrechtlerin Leyla Hussein.
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