Experten diskutierten im Rahmen des 6. Rare Diseases Dialogs der Pharmig Academy über
den Beitrag systematisch gesammelter Daten für die Patientenversorgung.
Wien (pharmig) - Die Daten, die in Forschungsregistern zusammengetragen werden, tragen dazu bei, Erkenntnisse
über Krankheiten und ihre Verbreitung zu gewinnen. Sie beantworten epidemiologische Fragen, etwa wie viele
Patientinnen und Patienten an einer bestimmten Erkrankung leiden und geben Auskünfte über Krankheitsverläufe
sowie Risikofaktoren. Register bieten zudem, neben klinischen Studien, neue Perspektiven für die Arzneimittelentwicklung.
So kann die Qualität von Arzneimitteln verbessert, ihre Entwicklung beschleunigt und können Patientinnen
und Patienten mit seltenen Erkrankungen schneller behandelt werden.
Gleichzeitig werfen Forschungsregister Fragen auf, wie etwa: Welche Daten werden erhoben? Wer darf und soll diese
Register führen? Wer soll Einblick haben? Wem gehören die ermittelten Daten eigentlich? Darüber
diskutierten, nach einer einleitenden Keynote von Dr. Simona Martin von der Generaldirektion Gemeinsame Forschungsstelle
der Europäischen Kommission und moderiert von Mag. Tarek Leitner (ORF), folgende Gesundheitsexperten: Priv.-Doz.
Dr. Mag. Stefan Kähler, Pharmig Standing Committee Klinische Forschung und Executive Director II für
Global Drug Safety & Risk Management bei Celgene Europe, Univ. Prof. Dr. Ruth Ladenstein, MBA, cPM, Leiterin
der Abteilung für Studien & Statistik S²IRP der St. Anna Kinderkrebsforschung, Oberärztin am
St. Anna Kinderspital und Geschäftsführerin von OKIDS, OÄ Dr. Karin Schmid-Scherzer, Leiterin des
Kompetenzzentrums für Alpha1-Antitrypsin-Mangel am Wiener Wilhelminenspital, Assoc.-Prof. Priv.-Doz. Dr. Till
Voigtländer, Leiter des nationalen Büros zur Umsetzung und Weiterführung des Nationalen Aktionsplans
für seltene Erkrankungen und Ing. Günther Wanke, Leiter der Selbsthilfegruppe „Lungenfibrose Forum Austria“
und Patientenvertreter für interstitielle Lungenerkrankungen in Österreich.
In der Europäischen Union leben mehr als 30 Millionen Menschen mit einer von 6.000 seltenen Erkrankung. Die
Forschungsstelle der EU-Kommission hat daher in Zusammenarbeit mit der Generaldirektion für Gesundheit und
Lebensmittelsicherheit die „European Platform on Rare Disease Registration“ eingerichtet, um die in Hunderten europäischen,
nationalen und lokalen Forschungsregistern verteilten Daten über Patientinnen und Patienten mit seltenen Erkrankungen
zusammenzuführen. Dazu sagt Simona Martin in ihrer Keynote: „Aufgrund des hohen Bedarfs an Daten und Wissen
im Bereich seltener Erkrankungen wurden in den letzten Jahren Register in regional unterschiedlicher Ausprägung
gebildet. Jetzt geht es darum, dieses Wissen zusammen zu führen, damit wir jene kritische Masse entwickeln,
die für die weitere Erforschung seltener Erkrankungen notwendig ist.“ Die EU-Plattform wird die Daten der
Register auf EU-Ebene abrufbar machen und die Datenerfassung und den Datenaustausch standardisieren, was den Wert
jedes Registers und seiner Registrierung erhöhen wird.
Patientenvertreter Wanke lobt in diesem Zusammenhang den hohen Nutzen der Forschungsregister für Patientinnen
und Patienten, betont aber auch die Wichtigkeit von Transparenz und Kommunikation beim Verwertungsprozess: „Register
haben die Aufgabe, valides Wissen zur Krankheit zum Verlauf der Diagnose und Therapie bereitzustellen. Patientinnen
und Patienten stellen ihre Daten zur Verfügung und ermöglichen damit den Aufbau von Registern und die
Entwicklung von Medikamenten. Aber Patientinnen und Patienten möchten wissen, was mit den Daten passiert und
wer Zugang zu den Registern hat. Darüber hinaus möchten wir wissen wer Einblick nehmen kann und auch
selbst die Möglichkeit dazu erhalten.“
Stefan Kähler vom Pharmig-Standing Committee Klinische Forschung stellt in diesem Zusammenhang klar, dass
die pharmazeutische Industrie keine personenbezogenen, sondern krankheitsbezogene Daten verwendet: „Forschungsregister
sammeln Anwendungsdaten über die Krankheit, ihren Verlauf, über Diagnose und Therapie. Für die Arzneimittelentwicklung
spielen solche Real World-Daten, eine wichtige Rolle.“ Kähler hält fest, dass die angewendeten Verschlüsselungsmechanismen
keine Rückschlüsse auf ein Individuum zulassen. Die Erkenntnisse aus Forschungsregistern, die über
den gesamten Lebenszyklus eines Arzneimittels reichen, unterstützen die Arbeit der pharmazeutischen Industrie
insbesondere im Bereich der seltenen Erkrankungen, um letztlich Schritt für Schritt mehr Patienten eine maßgeschneiderte
Therapie oder Medikation verfügbar zu machen.
Damit Forschungsregister einheitlich umgesetzt werden können, müssen sie entsprechende Charakteristika
aufweisen. Gesundheitsexperte Till Voigtländer erklärt hierzu: „Register sollten möglichst einfach
und wenig komplex geführt werden, um die Verwendbarkeit der Daten zu gewährleisten. Weniger ist hier
eindeutig mehr, sowohl auf nationaler als auch auf internationaler Ebene. Für die hohe Qualität der Daten
braucht es personelle und IT-Ressourcen. Register können nicht nebenbei geführt werden, sondern sind
lebendige Systeme und stellen eine verantwortungsvolle Aufgabe dar. Österreich sollte sich dazu bereit erklären,
hierfür entsprechende Ressourcen frei zu machen und zu bündeln. Ohne Einsatz geht es nicht.“
Dass Engagement bei der Führung eines Forschungsregisters im Vordergrund steht, beteuert auch Karin Schmid-Scherzer
vom Wiener Wilhelminenspital: „Seit über zehn Jahren betreue ich Menschen mit seltenen Erkrankungen. Zu Beginn
habe ich an einem internationalen Register teilgenommen, schlussendlich aber mit Unterstützung der pharmazeutischen
Industrie ein eigenständiges nationales Register in Österreich aufgebaut. Gerade bei seltenen Erkrankungen
ist das ‚Werkzeug‘ Register eine gute Möglichkeit, Informationen über eine Krankheit zu sammeln und daraus
neue Erkenntnisse für die Patientinnen und Patienten zu gewinnen.“
Register werden heute oft von engagierten Einzelpersonen oder medizinischen Fachgesellschaften betrieben. Ihre
Finanzierung und Nachhaltigkeit bleiben dabei ungesichert. Die St. Anna Kinderkrebsforschung koordiniert das Europäisches
Referenz Netzwerk (ERN) für kindliche Krebserkrankungen unter der Leitung von Ruth Ladenstein. Über die
Verantwortung und Finanzierung von Registern sagt Ladenstein: „Existierende Datensammlungen müssen datenschutzkonform
vereinheitlicht und in weiterer Folge besser genutzt werden, um international Nutzen stiften zu können. Dafür
hat die Europäische Gesetzgebung die Voraussetzungen geschaffen. Spezifische Leitlinien und die Vereinbarung
von Mindestdatensätzen helfen, ihre Qualität zu erhöhen.“ Für die Finanzierung von Forschungsregistern
baut sie u. a. auf Private-Public-Partnerships oder andere innovative Finanzierungsmodelle.
Das Fazit des 6. Rare Diseases Dialogs lautet: Forschungsregister und strukturierte Datenvielfalt stiften hohen
Nutzen für die Gesellschaft. Sie unterstützen maßgeblich den Erkenntnisgewinn über Diagnose,
Verlauf, Risikofaktoren sowie die weitere Entwicklung von Therapien bei seltenen Erkrankungen. Österreich
muss sich hier entsprechend einbringen und engagieren, damit in klaren Strukturen, auf Basis einheitlicher Qualitätsstandards
auch künftig datenschutzkonforme Forschungsregister betrieben und die Daten auch auf europäischer Ebene
verwendet werden können. Forschungsregister sind derart aufgebaut, dass die Datenhoheit beim Patienten liegt
und die gesammelten, krankheitsbezogenen Daten ohne Rückschlussmöglichkeiten auf die Person verschlüsselt
werden.
Über die Pharmig Academy: Die Pharmig Academy ist das Aus- und Weiterbildungsinstitut der Pharmig, des Verbands
der pharmazeutischen Industrie Österreichs. Sie bietet Seminare, Lehrgänge und Trainings zu allen Themen
des Gesundheitswesens. Das Angebot orientiert sich an aktuellen Entwicklungen und richtet sich an alle, die Interesse
am Gesundheitsbereich haben bzw. darin tätig sind. Das Format des Rare Diseases Dialog bietet allen Betroffenen,
Interessierten und relevanten Akteuren eine offene Diskussionsplattform zu aktuellen Themen im Bereich der seltenen
Erkrankungen.
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