Bandbreite fiskalischer und makroökonomischer Effekte bei komplexen Reformvorhaben
Wien (fiskalrat) - Mit der Einführung der Wirkungsorientierung durch das Bundeshaushaltsgesetz 2013
(BHG) wurden Wirkungsorientierte Folgenabschätzungen (WFA) im Vorfeld von Gesetzesvorhaben auf Bundesebene
sowie deren nachträgliche Evaluierung verpflichtend. Die diesbezüglichen Berichte und Analysen zeigen
allerdings ein großes Spektrum hinsichtlich Aussagekraft und Nachvollziehbarkeit der ausgewiesenen fiskalischen
und gesamtwirtschaftlichen Effekte. Vor diesem Hintergrund entwickelte der Fiskalrat Modelle, die entsprechende
Analysen ermöglichen. Aktuelle Studien des Büros des Fiskalrates (siehe Fußnote) verdeutlichen
die Sensitivität der Ergebnisse hinsichtlich der zugrunde gelegten Modelle, Definitionen sowie Beschaffenheit
fiskalischer Impulse.
Die Abschätzung der budgetären Auswirkungen von Gesetzesänderungen spielt in der wirtschaftspolitischen
Steuerung eine bedeutende Rolle. Das Haushaltsrecht des Bundes reflektiert dies durch eine verpflichtende Wirkungsorientierte
Folgenabschätzung von Gesetzesvorlagen und Reformvorhaben, die durch die jeweils zuständigen Ministerien
erstellt wird. Zentrale Elemente in der Berechnung der budgetären Auswirkungen von wirtschaftspolitischen
Maßnahmen stellen dabei die Abschätzungen des unmittelbaren Budgeteffekts einerseits und des Selbstfinanzierungsgrads
andererseits dar. Der unmittelbare Budgeteffekt beschreibt die fiskalische Wirkung einer Maßnahme unter Berücksichtigung
der komplexen Interaktionen im Steuer- und Transfersystem. Der Selbstfinanzierungsgrad errechnet sich aus der durch
die wirtschaftspolitischen Maßnahmen ausgelösten BIP-Änderung und den damit einhergehenden budgetären
Effekten. Zur Validierung der Qualität der Folgenabschätzungen entwickelte der Fiskalrat Modelle, die
eine eigene Abschätzung dieser beiden Haupteinflussfaktoren ermöglichen. Diese Modelle wurden im Rahmen
eines vom Fiskalrat organisierten internationalen Workshops vorgestellt und diskutiert. Damit kommt der Fiskalrat
einer seiner zentralen Aufgaben, der Erhöhung der budgetären Transparenz und Information der Öffentlichkeit,
nach.
Das vom Büro des Fiskalrates in den letzten Jahren entwickelte Mikrosimulationsmodell (FISKSIM) erlaubt die
Quantifizierung des unmittelbaren Budgeteffekts von Gesetzesvorhaben im Bereich der Transferleistungen, der Lohn-
und Einkommensteuer sowie der Sozialversicherungsbeiträge. Das Modell wurde explizit für die Kostenabschätzung
von Reformen konzipiert und auf eine besonders genaue Schätzung der Staatseinnahmen und -ausgaben ausgerichtet.
Zusätzlich wird die aktuelle Gesetzeslage (Bundes- und Landesrecht) mit einem hohen Detailgrad abgebildet.
Dies gilt insbesondere für die Bedarfsorientierte Mindestsicherung/„Sozialhilfe neu“, die als „letztes“ soziales
Netz für die (Netto-)Kostenabschätzung von Reformen des Steuer- und Transfersystems von zentraler Bedeutung
ist. Aufgrund der Bedürftigkeitsprüfung, bei der verschiedene Arten des Einkommens berücksichtigt
werden, interagiert die Bedarfsorientierte Mindestsicherung/„Sozialhilfe neu“ stark mit bestimmten Leistungen im
Transfersystem. Änderungen der Leistungen für Arbeitslose, insbesondere bei der Notstandshilfe, führen
zu deutlichen, gegenläufigen Änderungen bei der Bedarfsorientierten Mindestsicherung/„Sozialhilfe neu“.
Familienleistungen (Kinderbetreuungsgeld und Wochengeld) haben aufgrund des meist vorhandenen Partnereinkommens,
das in der Bedürftigkeitsprüfung berücksichtigt wird, einen wesentlich geringeren Einfluss.
In einem Projekt des Büros des Fiskalrates in Zusammenarbeit mit der Wirtschaftsuniversität Wien und
der Masaryk Universität in Brünn wurde die gesamtwirtschaftliche Wirkung von fiskalpolitischen Maßnahmen
in Österreich (d. h. die Höhe der Fiskalmultiplikatoren) mit Hilfe unterschiedlicher statistischer Methoden
und ökonomischer Modelle berechnet. Durch die detaillierte Betrachtung der Zusammensetzung der verwendeten
Fiskalvariablen (z. B. Staatsausgaben und -einnahmen) und der unterschiedlichen Definitionen von Fiskalmultiplikatoren
wird erstmals ein konsistenter Rahmen geschaffen, um die aus den unterschiedlichen Methoden abgeleiteten Resultate
vergleichbar zu machen. Ein solcher Vergleich ermöglicht das Herausarbeiten einer Bandbreite der BIP-Wirkung
von fiskalpolitischen Maßnahmen. Diese zum Teil sehr große Bandbreite gesamtwirtschaftlicher Effekte
spiegelt die unterschiedlichen existierenden Ergebnisse der ökonomischen Literatur und die sehr kontroversiell
geführte Debatte zur Höhe von Fiskalmultiplikatoren wider. Mit Hilfe von Sensitivitätsanalysen und
der Überprüfung der Prognosetauglichkeit der verwendeten empirischen Modelle (Fiscal multipliers in a
small open economy: the case of Austria) wurden Schlüsselfaktoren für die Höhe der Fiskalmultiplikatoren
abgeleitet und die Bandbreite realistischer Resultate eingegrenzt. Die Wirkung von fiskalpolitischen Maßnahmen
auf die gesamtwirtschaftliche Leistung einer Ökonomie hängt dabei vorrangig von der Beschaffenheit des
fiskalpolitischen Impulses hinsichtlich Bestimmung, Art, Dauer und Finanzierung und von verschiedenen länderspezifischen
Faktoren ab. Eine Reduktion/Erhöhung der Staatsausgaben um einen Euro führt im Durchschnitt der empirisch
abgeleiteten Resultate zu einer Reduktion/Erhöhung des BIP um 0,7 Euro. Ein zusätzlicher/reduzierter
Euro an Staatseinnahmen führt hingegen zu einer Reduktion/Erhöhung des BIP um durchschnittlich 1,1 Euro.
Die durchgeführten modellbasierten Berechnungen (On ?scal multipliers in New Keynesian small open economy
models) unterstützen die Ergebnisse der empirischen Analyse weitgehend. In der mittleren bis langen Frist
weist eine durchschnittliche Einnahmenerhöhung ebenfalls einen höheren Multiplikator als eine durchschnittliche
Ausgabenreduktion auf. Dies gilt allerdings nicht für die unmittelbar ausgelösten gesamtwirtschaftlichen
Effekte. Hier übersteigt der Ausgabenmultiplikator mit 0,8 den Einnahmenmultiplikator mit 0,4.
Die gesamtwirtschaftliche Wirkung eines konkreten Konsolidierungspakets ist allerdings stark von der Zusammensetzung
der Maßnahmenpakete abhängig. Die modellbasierten Berechnungen umfassen neben der Wirkung von Einnahme-
und Ausgabeaggregaten auch die gesamtwirtschaftliche Wirkung einzelner Ausgaben- und Einnahmenkomponenten. Im Bereich
der Staatsausgaben weisen vor allem Investitionszuschüsse und öffentliche Investitionen sehr hohe Multiplikatoren
auf. Dies gilt bereits in der kurzen, aber im Besonderen in der langen Frist. Demgegenüber ziehen nicht zweckgebundene
Subventionen kaum positive Output-Effekte nach sich. Innerhalb der betrachteten Einnahmeninstrumente führen
v. a. Änderungen von Steuern auf betriebliche Kapitalnutzung und Gewinnsteuern zu großen Output-Änderungen,
während die Multiplikatoren für Steuern auf Konsum und Kapitalertrag tendenziell am geringsten ausfallen.
Fußnote
Das Mikrosimulationsmodell des Büros des Fiskalrates; Fiskalmultiplikatoren in Österreich; Fiscal multipliers
in a small open economy: the case of Austria; On ?scal multipliers in New Keynesian small open economy models.
Die von den Autoren in den vier Studien zum Ausdruck gebrachten Meinungen geben nicht notwendigerweise die Meinung
des Fiskalrates wieder.
|