Salzburg (universität) - Wie wir das was wir sehen interpretieren, hängt wesentlich davon ab, wie
bestimmte Gehirnregionen miteinander kommunizieren noch bevor der Seh-Reiz auf die Retina trifft. Das haben Salzburger
Neurowissenschaftler als erste in einem Experiment mit Testpersonen nachgewiesen. Die neuen Erkenntnisse über
Faktoren der Wahrnehmung könnten für die Entwicklung "intelligenter" Gerätschaften bei
der Mensch-Computer- Interaktion von Nutzen sein. Die Studie wurde im hochrangigen Wissenschaftsjournal PNAS (Proceedings
of the National Academy of Sciences) publiziert.
Gesicht oder Vase? Dass unsere visuelle Wahrnehmung am Ende auch Interpretationssache ist, zeigt zum Beispiel die
sogenannte „Rubin´sche Vase“. Die bekannte schwarz-weiße Kippfigur stellt - je nachdem ob man das weiße
Innenfeld oder die schwarzen Außenfelder betrachtet - eine Vase (einen Pokal) oder zwei einander gegenüberliegende
Gesichtsprofile dar. Man kann nur entweder das eine oder das andere sehen. Unsere visuelle Wahrnehmung alterniert
zwischen diesen Lösungen.
Doch wovon hängt ab, was wir am Ende wahrnehmen? Was für eine Rolle spielt der „ruhende“ Gehirnzustand,
in dem wir uns befinden, noch bevor der Input kommt?
Um dieses Phänomen zu untersuchen, hat der Psychologiedoktorand und Erstautor Elie Rassi vom Centre for Cognitive
Neuroscience der Universität Salzburg Tests mit 20 Probanden durchgeführt. Er zeigte ihnen in kurzen
Abständen hintereinander immer wieder die Rubin´sche Vase. Sie mussten sagen (bzw. einen Knopf drücken),
was sie gesehen hatten, Gesicht oder Vase. Unmittelbar bevor und während die Versuchsteilnehmer die Illusion
betrachteten, wurden ihre Gehirnsignale mittels Magnetoenzephalographie, kurz MEG, aufgezeichnet. MEG ist eine
zeitlich hochauflösende Methode, mit der die magnetischen Felder gemessen werden können, die von den
elektrischen Strömen im Gehirn erzeugt werden.
Das Kernergebnis: Die fortlaufenden dynamischen Netzwerkzustände unseres Gehirns haben einen Einfluss darauf,
wie wir einen später auftretenden Reiz interpretieren.
„Wenn die auf Gesichtserkennung spezialisierte Gehirnregion - der sog. fusiforme Gyrus - mit frühen - auf
einfachere Aspekte wie Orientierung oder Helligkeit spezialisierten - sog. primären visuellen Verarbeitungsregionen
bereits vor der tatsächlichen Reizdarbietung kommuniziert, hat die Versuchsperson mit erhöhter Wahrscheinlichkeit
auch später die Gesichter und nicht die Vase gesehen“, resümiert Elie Rassi. Noch bevor ein Reiz auf
die Retina trifft, bestimmen also spezifische Netzwerkzustände im Gehirn, wie wir ein ambivalentes Bild interpretieren.
Durch ihre Analysen konnten die Salzburger Forscher auch zeigen, dass die wahrnehmungsrelevante Kommunikation "top-down"
gerichtet war: Wenn Probanden also eine Gesichtswahrnehmung berichteten, war der Einfluss des fusiformen Gyrus
auf die Aktivität in den primären visuellen Regionen größer als wenn die Wahrnehmung einer
Vase berichtet wurde.
„Die meisten Forscher analysieren die Gehirnaktivität ab dem Zeitpunkt, an dem ein Ereignis dargeboten wird.
Wir schauen hingegen ein paar Hundert Millisekunden zurück. So konnten wir eben sehen, dass - noch bevor wir
einen Reiz darbieten - das spezifische Kommunikationsmuster zwischen den Hirnregionen ausschlaggebend ist für
die Wahrnehmung“, ergänzt Projektleiter Nathan Weisz. Der Professor für Physiologische Psychologie ist
Koordinator der MEG Unit am Centre for Cognitive Neuroscience der Universität Salzburg.
Bei den Arbeiten der Salzburger Neurowissenschaftler bzw. Psychologen handelt es sich um Grundlagenforschung mit
potentiellen Anwendungsmöglichkeiten vor allem im Bereich der Mensch-Computer-Interaktion, so Weisz.
Die Experimente zur visuellen Wahrnehmung wurden an der Universität Trento/Italien begonnen, nach dem Wechsel
der Gruppe an die Universität Salzburg im Jahr 2015 fortgeführt und vor kurzem abgeschlossen. Die Studie
war Teil eines größeren Projekts („Windows to Consciousness“), das der Europäische Forschungsrat
ERC (European Research Council) mit 1.5 Millionen Euro gefördert hat.
Elie Rassi schloss das Bachelorstudium für Psychologie an der Amerikanischen Universität in Beirut ab.
Den Master für kognitive Neurowissenschaften erwarb er 2015 an der Universität Trento/Itlaien. Von 2015
bis Ende September 2019 war er als Doktorand in der Salzburg Brain Dynamics Group der Universität Salzburg
tätig. Nach dem Abschluss der Dissertation wechselt er nun als Postdoc an das renommierte Donders Institute
for Brain, Cognition and Behaviour in den Niederlanden.
Publikation
Elie Rassi, Andreas Wutz, Nadia Müller-Voggel, Nathan Weisz: Prestimulus feedback connectivity biases the
content of visual experiences. In: PNAS August 6, 2019, 116 (32)
https://www.pnas.org/content/early/2019/07/19/1817317116)
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