Ich seh etwas, was du nicht siehst

 

erstellt am
30. 10. 19
13:00 MEZ

Salzburg (universität) - Wie wir das was wir sehen interpretieren, hängt wesentlich davon ab, wie bestimmte Gehirnregionen miteinander kommunizieren noch bevor der Seh-Reiz auf die Retina trifft. Das haben Salzburger Neurowissenschaftler als erste in einem Experiment mit Testpersonen nachgewiesen. Die neuen Erkenntnisse über Faktoren der Wahrnehmung könnten für die Entwicklung "intelligenter" Gerätschaften bei der Mensch-Computer- Interaktion von Nutzen sein. Die Studie wurde im hochrangigen Wissenschaftsjournal PNAS (Proceedings of the National Academy of Sciences) publiziert.

Gesicht oder Vase? Dass unsere visuelle Wahrnehmung am Ende auch Interpretationssache ist, zeigt zum Beispiel die sogenannte „Rubin´sche Vase“. Die bekannte schwarz-weiße Kippfigur stellt - je nachdem ob man das weiße Innenfeld oder die schwarzen Außenfelder betrachtet - eine Vase (einen Pokal) oder zwei einander gegenüberliegende Gesichtsprofile dar. Man kann nur entweder das eine oder das andere sehen. Unsere visuelle Wahrnehmung alterniert zwischen diesen Lösungen.

Doch wovon hängt ab, was wir am Ende wahrnehmen? Was für eine Rolle spielt der „ruhende“ Gehirnzustand, in dem wir uns befinden, noch bevor der Input kommt?

Um dieses Phänomen zu untersuchen, hat der Psychologiedoktorand und Erstautor Elie Rassi vom Centre for Cognitive Neuroscience der Universität Salzburg Tests mit 20 Probanden durchgeführt. Er zeigte ihnen in kurzen Abständen hintereinander immer wieder die Rubin´sche Vase. Sie mussten sagen (bzw. einen Knopf drücken), was sie gesehen hatten, Gesicht oder Vase. Unmittelbar bevor und während die Versuchsteilnehmer die Illusion betrachteten, wurden ihre Gehirnsignale mittels Magnetoenzephalographie, kurz MEG, aufgezeichnet. MEG ist eine zeitlich hochauflösende Methode, mit der die magnetischen Felder gemessen werden können, die von den elektrischen Strömen im Gehirn erzeugt werden.

Das Kernergebnis: Die fortlaufenden dynamischen Netzwerkzustände unseres Gehirns haben einen Einfluss darauf, wie wir einen später auftretenden Reiz interpretieren.

„Wenn die auf Gesichtserkennung spezialisierte Gehirnregion - der sog. fusiforme Gyrus - mit frühen - auf einfachere Aspekte wie Orientierung oder Helligkeit spezialisierten - sog. primären visuellen Verarbeitungsregionen bereits vor der tatsächlichen Reizdarbietung kommuniziert, hat die Versuchsperson mit erhöhter Wahrscheinlichkeit auch später die Gesichter und nicht die Vase gesehen“, resümiert Elie Rassi. Noch bevor ein Reiz auf die Retina trifft, bestimmen also spezifische Netzwerkzustände im Gehirn, wie wir ein ambivalentes Bild interpretieren.

Durch ihre Analysen konnten die Salzburger Forscher auch zeigen, dass die wahrnehmungsrelevante Kommunikation "top-down" gerichtet war: Wenn Probanden also eine Gesichtswahrnehmung berichteten, war der Einfluss des fusiformen Gyrus auf die Aktivität in den primären visuellen Regionen größer als wenn die Wahrnehmung einer Vase berichtet wurde.

„Die meisten Forscher analysieren die Gehirnaktivität ab dem Zeitpunkt, an dem ein Ereignis dargeboten wird. Wir schauen hingegen ein paar Hundert Millisekunden zurück. So konnten wir eben sehen, dass - noch bevor wir einen Reiz darbieten - das spezifische Kommunikationsmuster zwischen den Hirnregionen ausschlaggebend ist für die Wahrnehmung“, ergänzt Projektleiter Nathan Weisz. Der Professor für Physiologische Psychologie ist Koordinator der MEG Unit am Centre for Cognitive Neuroscience der Universität Salzburg.

Bei den Arbeiten der Salzburger Neurowissenschaftler bzw. Psychologen handelt es sich um Grundlagenforschung mit potentiellen Anwendungsmöglichkeiten vor allem im Bereich der Mensch-Computer-Interaktion, so Weisz.

Die Experimente zur visuellen Wahrnehmung wurden an der Universität Trento/Italien begonnen, nach dem Wechsel der Gruppe an die Universität Salzburg im Jahr 2015 fortgeführt und vor kurzem abgeschlossen. Die Studie war Teil eines größeren Projekts („Windows to Consciousness“), das der Europäische Forschungsrat ERC (European Research Council) mit 1.5 Millionen Euro gefördert hat.

Elie Rassi schloss das Bachelorstudium für Psychologie an der Amerikanischen Universität in Beirut ab. Den Master für kognitive Neurowissenschaften erwarb er 2015 an der Universität Trento/Itlaien. Von 2015 bis Ende September 2019 war er als Doktorand in der Salzburg Brain Dynamics Group der Universität Salzburg tätig. Nach dem Abschluss der Dissertation wechselt er nun als Postdoc an das renommierte Donders Institute for Brain, Cognition and Behaviour in den Niederlanden.

Publikation
Elie Rassi, Andreas Wutz, Nadia Müller-Voggel, Nathan Weisz: Prestimulus feedback connectivity biases the content of visual experiences. In: PNAS August 6, 2019, 116 (32)
https://www.pnas.org/content/early/2019/07/19/1817317116)

 

 

 

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