Kothgasser: Das Geheimnis der Kirche »noch nicht recht erfasst«
Im "Presse"-Interview sprach der neue Salzburger Erzbischof über wiederverheiratete Geschiedene, das Zweite Vatikanum, Fragen der Bioethik und die EU
Salzburg (kath.net) - "Wir haben viel Dialog nach außen geübt, aber der Dialog innerhalb der Kirche scheint mir da und dort noch mangelhaft zu sein, weil die tiefe Kenntnis dessen, was das Geheimnis der Kirche ist, noch nicht recht erfasst wurde." Das sagte der neue Salzburger Erzbischof Alois Kothgasser in einem Interview mit der österreichischen Tageszeitung "Die Presse". Er denke dabei "nicht mehr an große äußere Dialogveranstaltungen, sondern eher an den konkreten alltäglichen Dialog auf den verschiedenen diözesanen Ebenen. Der scheint mir weniger auffällig, aber effektiver als große Diskussionsveranstaltungen zu sein."
Der Wahlspruch Kothgassers lautet: "Die Wahrheit in Liebe tun". Danach gefragt, wie er Wahrheit, Toleranz und Barmherzigkeit unter einen Hut bringe, meinte der Salzburger Erzbischof: "Wir können die Wahrheit, die Jesus Christus selber ist, nur schwer vermitteln, wenn es nicht auf dem Weg der Liebe geschieht. Denn die Wahrheit alleine kann sehr schneidend und kalt sein. Deshalb müssen wir Wege finden, die die Menschen nicht noch mehr belasten und bedrücken, sondern ihnen Hoffnung geben, vor allem den Horizont der Barmherzigkeit und Liebe Gottes vermitteln. Das war auch der Weg Jesu."

Angesprochen auf die Situation der wiederverheirateten Geschiedenen, meinte Kothgasser: "Worum es geht ist, die Betroffenen in ihrer Situation anzunehmen, auch wenn ich weiß, daß ihre erste Ehe nicht gelöst ist. Vielleicht gibt es Möglichkeiten, im Rückblick zu prüfen, ob die Ehe wirklich gültig geschlossen wurde." Kothgasser meinte auch, dass die Möglichkeit der Eheannullierung mehr in Anspruch genommen werden sollte. Die Chancen, um Fakten zu klären, seien heute besser als früher; die Ehegerichte seien diesbezüglich besser ausgerüstet. "Allerdings gibt es auch gewisse Grenzen, die wir nicht überschreiten dürfen, weil auch Jesus sie nicht überschritten hat."

Zur Bioethik-Frage sagte Kothgasser, dass es heute unter den Spezialisten - Philosophen, Ärzten, Wissenschaftlern - "Leute mit einer offenen, christlichen Geisteshaltung" brauche. "Sonst besteht die Gefahr, dass Ethiker und Wissenschaftler zweigleisig fahren und aneinander vorbeireden. Ich sehe hier aber auch eine große politische Verantwortung auf EU-Ebene, eindeutige ethische Standards einzufordern. Sonst werden wir uns im Rückblick auf die Geschichte schwerste Vorwürfe machen müssen, weil wir Zeichen der Zeit, die für die Entwicklung der Menschheit entscheidend sind, übersehen oder missachtet haben."

Gefragt, ob er für die Aufnahme des Namen Gottes in eine zukünftige Europa-Verfassung sei, meinte der Salzburger Erzbischof: "Die Öffnung zum Absoluten als Grundvoraussetzung der Transzendenz für menschliches Dasein sollte klar zum Ausdruck gebracht werden", sagte er. "Wie, darüber muss diskutiert werden. Als Christen sollten wir aber nicht allzu schnell auf unsere Identität verzichten. Ich finde, man sollte jetzt schon in den vielfach katholisch geprägten Ländern mehr Mut zeigen, sich gegen menschenentwürdigende Entwicklungen zu wehren. Wieso sollte eine Minderheit über eine Mehrheit entscheiden?"

Das Zweite Vatikanische Konzil, das Kothgasser während seines Studiums in Rom miterlebte, habe maßgebliche Veränderungen bewirkt, sagte Kothgasser. "In vielen Dingen scheint mir eine aktive, bewusste Mit- und Zusammenarbeit der Laien mit den Priestern gelungen zu sein." Andere Punkte seien jedoch noch lange nicht zur Genüge aufgenommen: "die Bibel zum Wegbegleiter jedes Gläubigen, jeder Familie, aber auch all unserer kirchlichen Gremien zu machen; oder die Frage, ob wir das Mysterium der Kirche schon in seiner Tiefe erfasst haben. Davon hängt die ganze Frage der Einheit ab. Und schließlich das große Feld der "Missio" in der Welt von heute."
 
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