Europas Jazz 2003
Graz (2003) - Eine Emanzipation des Jazz von seinem Mutterland Amerika ist Thema des Projektes "Europas Jazz 2003" - initiiert und organisiert von Otmar Klammer und Gerhard Kosel - im Rahmen von Graz 2003 - Kulturhauptstadt Europas. Sieben europäische Länder werden Graz jeweils eine Woche lang zur Jazzhauptstadt machen.

Eine Reihe kompetenter Veranstalter sowie die Kunstuniversität Graz sorgen schon seit langem für einen optimalen Jazz-Boden. 2003 treffen sich Musiker der EU und Osteuropas: bei den »Jazz-Weeks«, bei vom Festival »Graz Meeting« vergebenen Projekt- und Kompositionsaufträgen und beim »Jazz Joint Ventures«-Festival.

Das Jazzkartell Graz, ein Verband von fünf ansässigen Jazzveranstaltern, wird mit über das Jahr 2003 verteilten Schwerpunktprogrammen Europas Jazz als eigenspezifisches kulturelles Phänomen thematisieren. Dabei werden unter der Devise EU & Osteuropa sowohl die maßgeblichsten Jazzländer der EU wie jene Osteuropas in einer stilistisch schlüssigen Programmfolge präsentiert. Aus dem Bereich der EU sind das England, Frankreich, Italien, dazu kommen Polen, Tschechien, Ungarn und die Balkanländer Südosteuropas. Graz soll aber nicht nur Treffpunkt dieser europäischen Jazzelite sein, sondern auch ganz im Zeichen der einzelnen Länder und ihrer Kulturen stehen.


Das 2003 zum zwölften Mal stattfindende dreitägige Festival »Graz Meeting« wird unter dem Titel »Jazz Joint Ventures« über die Bühne gehen. Nach Vorbild wirtschaftlicher Joint Ventures werden Musiker aus der EU und Osteuropa zu gemeinsamen jazzmusikalischen Großprojekten wie Kompositionsaufträgen aufgerufen.


Das meist ungeahnte Potential der betreffenden Länder in Graz (Studenten, Wirtschaftstreibende, Lehr- und Fachkräfte, Diplomaten etc.) wird in die sieben »Jazz Weeks« eingebunden; als Ideenlieferanten, Kulturberater, Vermittler, Sponsoren, gastronomische Begleitung, einfache Besucher u. v. m. Jeder der fünf Veranstalter ist für die Dauer seines spezifischen Schwerpunktes also nicht nur Jazzbühne, sondern auch eine Kulturbotschaft des jeweiligen Landes.


Es geht dabei um den Versuch, Europas Jazz im Vergleich zu seinem Mutterland Amerika darzustellen und spezielle regionale Strömungen und kulturelle Eigenheiten aufzuzeigen. Denn Europas Jazz hat um etwa 1970 einen eklatanten Bruch erfahren, fand er doch damals zu seiner ganz eigenen Identität. Vor dieser Zeit gab es in Europa nichts als amerikanischen Jazz. Dieser wurde entweder gleich von Amerikanern bei ihren Gastspielreisen vorgeführt oder von europäischen Musikern nachgespielt und imitiert. Je näher am Original der Vorbilder, umso besser, lautete die Devise. Europas Jazz war eine jahrzehntelange Epoche des Plagiats.


Dann fügten sich zwei Ereignisse zur Initialzündung eines rapiden Bewusstseinsprozesses. Im Allgemeinen war es die denkwürdige Zeit des Aufbruchs, die zwischen 1966 und 1968 über Europa kam und für politische wie soziokulturelle Bewegung sorgte. Im Besonderen war es - nicht zufällig - auch die Zeit, in der in den USA der Free Jazz entstand. Die freie Entfaltungsmöglichkeit, die diese Methode des Jazz - und Free Jazz war eben immer eine Methode, nie ein Stil - den Musikern bot, brachte auch die jungen europäischen Musiker zum Hinterfragen und Sprengen der tradierten Normen und Klangvorstellungen und damit schließlich zum Loslösen von ihren Vorbildern. Am Übergang von einer tonalen und metrisch gebundenen Form zur freien Improvisation fanden die meisten unter ihnen in der Reflexion der eigenen - regional gewachsenen - kulturellen Identität zu spezifischen Ausdrucksmöglichkeiten. Das konnten einerseits die jeweiligen volksmusikalischen Wurzeln sein, die heute mehr denn je Bestandteil des europäischen Jazz sind und in den letzten Jahren nicht nur geradezu zum guten Ton jedes Jazzfans wurden, sondern dem Jazz auch ein neues Publikum erschlossen haben. Andererseits waren es aber auch Elemente und Formen der Klassik, die dann über die Begegnung mit der zeitgenössischen europäischen Kunstmusik bis zur heute etablierten, intellektuellen europäischen Grenzgängerei zwischen improvisierter und Neuer Musik führte. Nicht unbedeutend in der Entwicklung der individuellen Entwicklung war auch die Öffnung zur ethnischen Musik, die zahlreiche europäische Musiker vor allem in den südostasiatischen Raum führte. Dieses von der Flower Power-Generation nicht unbeleckte Interesse für den vorderen und hinteren Orient zeigt heute außer einigen Einzelprojekten allerdings kaum mehr nachhaltige Auswirkungen auf den europäischen Jazz.


Wie aber zeigt sich nun nach dem Zeitalter der Emanzipation der europäische Jazz, was unterscheidet ihn vom amerikanischen, und gibt es überhaupt so etwas wie spezifisch Europäisches?


Die Vielfalt und die Besonderheiten der europäischen Kulturlandschaft machen einen europäischen Jazz an sich zwar stilistisch nicht fassbar, unterscheiden ihn aber gerade in der Vielzahl seiner geografischen Erscheinungsformen vom amerikanischen.


Hinzu kommt, dass Europa lange Zeit durch den Eisernen Vorhang in zwei Teile getrennt war, die sich für den Jazzmusiker vor allem darin unterschieden, wie sehr es ihm möglich war, seiner Mission nachzugehen und davon zu leben. Für den subversiv anmutenden Jazz war der Eiserne Vorhang mehr noch eine Demarkationslinie als für andere Bereiche von Kultur und Geistesleben. In der verwichenen DDR etwa konnte sich aber trotz ärgster Repressalien durch die Verwalter parteikonformer Musik im Bereich zwischen Untergrund und luftleerem Raum eine heute legendäre Free Jazz-Szene entwickeln. Andere Länder wie etwa Rumänien, Bulgarien und zahlreiche Ex-UdSSR-Republiken (außer Russland) blieben dagegen bis vor zehn Jahren weiße Flecken in der europäischen Jazzlandschaft, derweil das traditionelle Virtuosenland Polen wiederum zur führenden osteuropäischen Nation aufstieg. Und es bis heute blieb.


Die wesentlichsten spezifisch europäischen Idiome waren aber bis etwa 1980 entwickelt und auch ausformuliert. Allerdings ließen sich diese nie auf ein ganzes Land übertragen, sondern nur in den Bereich von Gruppen, Zirkeln und "Pools". Wenn man nun etwa von der niederländischen Klamaukmusik, der englischen Klangmaterialforschung, dem deutschen Powerplay, der russischen Theatralik, der imaginären französischen Folkmusik, der italienischen Banda- und Humormusik oder vom Balkanjazz spricht, ist das nicht mehr als die Beschränkung auf eine bestimmte, wenngleich nicht unmaßgebliche Szene im Land.


Grundsätzlich aber manifestierte sich der europäische Jazz in zwei Bereichen. Einerseits im geografisch unterschiedlich mit der jeweils eigenen Tradition verbundenen, emotional-expressiven Jazz, andererseits in der Intellektualität einer - mittel- und westeuropäischen - Jazzimprovisation, die sich immer mehr in die Gefilde der Neuen Musik wagte. Dazwischen liegen Personalstile und die weiten Pfründe der afro-amerikanischen Jazzästhetik, die keiner europäischen Spezifikation stand halten.


Was in Frankreich etwa seit Jahrzehnten ein gewisses Timbre der Jazzmusik ausmacht, stellt sich nun an, Europas Jazz quasi von unten aufzurollen. Nämlich die großflächige Eroberung des Jazz durch traditionelle volksverbundene Idiomatiken und Folklorismen, diesfalls durch die osteuropäische beziehungsweise balkanesische Musik, die seit den politischen Veränderungen der letzten Jahre zügig voranschreitet.


Die sieben EU- und Ostländer beziehungsweise Regionen, die nun schwerpunktmäßig im Kulturhauptstadtjahr jeweils eine Woche lang und in einem dreitägigen Joint Venture-Festival auftreten werden, sind im Besonderen nach ebensolchen Kriterien und im Allgemeinen nach ihrer aktuellen Stellung im europäischen Jazz ausgewählt. Das gilt für den trockenen englischen Free Jazz genauso wie für die völlig andere Improvisations-Auffassung des Balkans und der Turbulenz der Italiener. Aber auch für die Klischees, die genau damit verbunden sind und zum Durchbrechen auffordern.

Das Programm finden Sie auf http://www.graz03.at
 
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