Bonn (alphagalileo) - Noch vor 20 Jahren waren flechten- oder moosbewachsene Bäume in Nordrhein-Westfalen
eine Rarität: Luftschadstoffe wie Schwefeldioxid hatten den empfindlichen Indikator-Pflanzen schleichend den
Garaus gemacht. Heute ist die Situation genau umgekehrt: Biologen der Universität Bonn konnten bei einer landesweiten
Untersuchung des Baumbestandes über 130 verschiedene Flechten- und Moos-Arten identifizieren, darunter auch
sehr seltene und empfindliche. Dennoch geben die Wissenschaftler keine Entwarnung: Vor allem in den landwirtschaftlich
geprägten Gebieten haben stickstoffliebende Arten stark zugenommen – ein Indiz für die zunehmende Belastung
von Luft und Wasser durch Dünger und Verkehrsabgase.
„Was sind denn das für Parasiten auf meinen Apfelbäumen?“ – Fragen wie diese hören die Mitarbeiter
des Botanisches Institutes der Universität Bonn immer häufiger. Die Sorgen des Schrebergärtners
aus dem Ruhrgebiet waren unbegründet: Bei den „Parasiten“ handelte es sich um Blattflechten, die hier erstmals
seit Jahrzehnten wieder auftauchten.
Auf Bäumen lebende Flechten und Moose waren in den 70er und 80er Jahren vielerorts selten geworden. „Saurer
Regen“ hatte ihnen zugesetzt. „Moose und Flechten reagieren sehr empfindlich auf Luftschadstoffe, da sie Wasser
und Nährstoffe direkt aus der Luft über ihre Oberfläche aufnehmen“, erklärt der Bonner Botaniker
Professor Dr. Jan-Peter Frahm. „Damit eignen sie sich hervorragend als Indikatororganismen, die uns Veränderungen
in der Umwelt anzeigen können.“
Die Mitarbeiter seiner Arbeitsgruppe Isabelle Franzen und Dr. Norbert Stapper haben nun – erstmals flächendeckend
für Nordrhein-Westfalen – die Luftqualität anhand von Moosen und Flechten bestimmt. Auftraggeber war
das Ministerium für Umwelt und Naturschutz, Landwirtschaft und Verbraucherschutz. Positives Ergebnis: Während
noch vor 20 Jahren flechten- und moosbewachsene Bäume in weiten Teilen Nordrhein-Westfalens eine Seltenheit
waren, konnten die Biologen 2001 über 130 Arten finden, darunter auch sehr seltene und empfindliche. Eifel
und Sauerland gehören dabei zu den artenreichsten Gebieten, aber auch im Ruhrgebiet gibt es heute wieder zahlreiche
Flechten und Moose.
Professor Frahm sieht in dem Ergebnis einerseits die Bestätigung, dass durch die strengen Auflagen für
Industrie und private Heizungsanlagen die Schwefelbelastung der Luft drastisch gesenkt werden konnte. „Andererseits
gewinnen jedoch stickstoffhaltige Immissionen durch die zunehmenden Belastungen aus Verkehr und Landwirtschaft
immer mehr an Bedeutung.“
Heute gelangen in manchen Teilen Deutschlands bis zu 40 Kilogramm Stickstoff pro Hektar und Jahr in den Boden.
Auch Flechten und Moose werden durch den Regen überreichlich mit diesem Dünger versorgt. „Unsere Untersuchung
zeigt, dass vor allem in den landwirtschaftlich geprägten Gebieten am Niederrhein, im Münsterland und
in Ostwestfalen insbesondere die stickstoffliebenden Arten unter den Flechten und Moosen erheblich zugenommen
haben“, erklärt der Bonner Moosspezialist. Die Folge sei eine bedenkliche Artenverschiebung: „Mancherorts
haben die stickstofftoleranten Arten die hier ursprünglich vorkommenden Flechten und Moose schon fast verdrängt.“ |