Schönborn betont in Brüssel völkerverbindende Kraft des Glaubens
EU-Kommissionspräsident Prodi würdigt Beitrag der Kirche zur Aussöhnung in Europa
Brüssel (kath.net/PEW) - Beim "Mitteleuropäischen Katholikentag" 2003/2004 werden zu den Hauptveranstaltungen auch Spitzenpolitiker der acht teilnehmenden Länder erwartet. Gerade die Abschluss-Wallfahrt ins österreichische Mariazell am 23. und 24. Mai 2004 werde nahezu zeitgleich mit dem Vollzug der EU-Erweiterung stattfinden und damit ein "nicht ausschließlich kirchliches Ereignis" werden, sagte der Vorsitzende der Österreichischen Bischofskonferenz, Kardinal Christoph Schönborn, am Montagabend (13. 01.) in Brüssel bei einem Vortrag am Sitz der Kommission der Bischofskonferenzen des EU-Raumes (ComECE).
Schönborn schloss nicht aus, dass auch EU-Kommissionspräsident Romano Prodi "an einer oder mehreren" Veranstaltungen des auf ein Jahr angelegten kirchlichen Vorgangs teilnehmen werde. Eine von Schönborn geleitete Delegation mit hochrangigen Repräsentanten der Bischofskonferenzen der acht teilnehmenden Länder war zuvor von Prodi empfangen worden.

"Grenzen überwinden"
Der Wiener Erzbischof hob hervor, Ziel der Veranstaltung sei, die völkerverbindende Kraft des Glaubens zu unterstreichen. Die historische Erinnerung in den teilnehmenden Ländern sei belastet, und es gebe von populistischen Politikern stets neue Versuche, die Vergangenheit immer wieder aufzuwärmen. Der Katholikentag solle dagegen die Grenzen zwischen den Völkern überwinden und vorhandene Wunden heilen helfen. Europa habe eine gemeinsame Seele, die nur wieder entdeckt werden müsse. Die großen Wallfahrtsorte wie Mariazell seien dabei "Quellorte europäischer Identität". Schönborn fügte hinzu, Integration entstehe nicht nur entlang der Transitrouten, "sondern auch und vor allem an den geistigen und geistlichen Routen, die Europa gebildet haben".

Gemeinsames Kirchendokument zu Benes-Dekreten Kardinal Schönborn kündigte an, dass die Österreichische und die Tschechische Bischofskonferenz im März eine gemeinsame Erklärung zu den umstrittenen Benes-Dekreten veröffentlichen werden. Das Dokument solle im Februar fertig gestellt und im Monat darauf publiziert werden. Schönborn bezeichnete die Erklärung als ein Beispiel für den Wunsch der Kirche, bei der Überwindung von Grenzen zu helfen und Wunden der Vergangenheit zu heilen.

Im Gespräch mit EU-Kommissionspräsident Prodi hatte der Wiener Erzbischof zuvor die Forderung der Kirchen nach einer besseren Einbeziehung bei der Ausarbeitung von EU-Gesetzen erneuert. Dabei gehe es vor allem darum, regelmäßig vor der Ausarbeitung neuer Gesetze angehört zu werden. Derzeit fänden solche Gespräche auf der Basis des guten Willens aller Beteiligten statt. Wünschenswert sei eine Lösung wie in Österreich, wo alle Gesetzesprojekte vor ihrer Beratung im Parlament der Zivilgesellschaft vorgelegt würden. Weiters plädierte Schönborn für einen Gottesbezug und für rechtliche Regelungen hinsichtlich der Religionsgemeinschaften in der künftigen EU-Verfassung.

Prodi: Zurückhaltend zu Gottesbezug
Prodi lobte bei der etwa einstündigen Unterredung, die in sehr freundschaftlicher Atmosphäre verlief, den Beitrag der Kirchen zur Aussöhnung in Europa. Die Erweiterung stelle auch in dieser Hinsicht eine große Herausforderung dar. Hinter den heute noch bestehenden Differenzen und Trennungen zwischen einzelnen Nationen stehe meist eine lange Geschichte, in die auch die Kirchen involviert seien. Für eine Versöhnung brauche es daher den Dialog der Kirchen und mit den Kirchen.

Europa sei "weder theistisch noch atheistisch oder antitheistisch", so Prodi weiter. Die Kirchen und Religionsgemeinschaften müssten aber die Möglichkeit haben, sich entsprechend den jeweiligen Rechtsordnungen zu organisieren. Es sei an der Zeit, den überkommenen "Konflikt zwischen Klerikalismus und Antiklerikalismus" zu überwinden.

Zurückhaltender äußerte sich der EU-Kommissionspräsident zum Wunsch nach einem Gottesbezug in der künftigen EU-Verfassung. Mit Druck sei in dieser Frage wenig zu erreichen. Zur Forderung nach einer Einbeziehung der Kirchen in den Begutachtungsprozess für Gesetze auf EU-Ebene meinte Prodi, die Kirchen sollten wie bisher ihre Meinung zu verschiedenen Agenden äußern. Er persönlich sei dafür, den Dialog zwischen den EU- Institutionen und den Kirchen und Religionsgemeinschaften zu stärken.

Auf die Einladung Schönborns, zu einer der Auftaktveranstaltungen für den Mitteleuropäischen Katholikentag am 31. Mai/1. Juni dieses Jahres - sie finden in den acht Ländern statt - zu kommen, wies Prodi darauf hin, dass zur selben Zeit der G-8-Gipfel in St. Petersburg stattfindet, an dem er teilnehmen müsse. Trotzdem wolle er bei einer der Auftaktveranstaltungen dabei sein, um ein Zeichen der Wertschätzung für den Beitrag der Kirchen zum geeinten Europa zu setzen.

Fischler für Debatte über Gottesbezug in Verfassung
Der österreichische EU-Landwirtschaftskommissar Franz Fischler bezeichnete die Diskussion um einen Gottesbezug in der künftigen EU- Verfassung als notwendig. Interessant sei der Vorschlag einer Formulierung wie in der polnischen Verfassung, die Gläubigen wie Nicht-Gläubigen gerecht werde, sagte Fischler. Ein Gottesbezug könne auch für die Muslime akzeptabel sein. Der EU-Kommissar erinnerte aber auch daran, dass Länder wie Frankreich darauf bestünden, die strikte Trennung zwischen Kirche und Staat festzuhalten.

Karas: Keine totale Säkularisierung Europas
"Der aktive Dialog zwischen Vertretern der Kirche und staatlicher Institutionen soll Europa vor einer totalen Säkularisierung bewahren", meinte der österreichische Europaabgeordnete Othmar Karas (EVP) zum Besuch der mitteleuropäischen Kirchendelegation bei den EU-Institutionen. Der Besuch sei ein wichtiges Signal auf dem Weg zur geistigen Einheit Europas.

Karas forderte die Kirchen und Religionsgemeinschaften Europas auf, sowohl den Dialog mit den Staaten und den Institutionen der Europäischen Union als auch den interreligiösen Dialog zu fördern und voranzutreiben. "Der Dialog auf den verschiedensten Ebenen ist eine wesentliche Voraussetzung für das Gelingen der europäischen Integration und der Wiedervereinigung Europas", so der Abgeordnete. Die Kirchen als wesentliche Trägerinnen und Vermittlerinnen jener Werte, auf die sich Europa gründet, dürften sich nicht von den großen Wertedebatten in Europa zurückziehen.

In diesem Zusammenhang erinnerte Karas auch an die laufenden Diskussionen im EU-Konvent über die Verankerung des Gottesbezugs in der Verfassung. "Ich wünsche mir eine Kirche, die sich in dieser wesentlichen Zukunftsfrage Europas noch stärker als bisher einbringt und ihre erwiesene Glaubwürdigkeit in Fragen der uns einenden Grundwerte in die Waagschale wirft", meinte Karas.

Viele Gesetze betreffen auch Kirchen
Vor Journalisten sagte Schönborn am Dienstagmorgen in Brüssel zum Wunsch der Kirchen nach einer Einbindung in die Begutachtungsverfahren für EU-Gesetze, schon jetzt betreibe die Bischofskonferenz aktives Lobbying. Sie wünsche sich aber eine institutionalisierte Einbindung. Dabei gehe es nicht nur um Gesetze, die unmittelbar mit der Religion zu tun haben. Arbeitsrecht etwa betreffe die Kirchen als großen Arbeitgeber mit sehr spezifischen Bedingungen immer. EU-Recht betreffe die Kirchen viel mehr als man annehmen würde, betonte Schönborn.

Zur Verankerung eines Gottesbezuges in der künftigen EU-Verfassung wertete Schönborn die Formulierung in der Grundrechtecharta, die in Nizza beschlossen wurde und künftig Teil der EU-Verfassung werden soll, als nicht hinreichend. Darin heißt es: "In dem Bewusstsein ihres geistig-religiösen und sittlichen Erbes gründet sich die Union auf die unteilbaren und universellen Werte der Würde des Menschen, der Freiheit, der Gleichheit und der Solidarität".

Er wünsche sich einen direkteren Gottesbezug, so der Kardinal. Den Streit um solche Formulierungen hält Schönborn für überzogen, da es eine "Fakten-Feststellung" sei, dass die christliche Religion ein Teil des Erbes Europas sei. Das Christentum sei "so etwas wie die Matrix Europas über die Jahrhunderte".

Einen Beitritt mehrheitlich islamischer Staaten wie der Türkei zur EU will Schönborn nicht ausschließen. Man müsse prüfen, ob ein Land die Bedingungen erfülle und "europäisch" sei. Und die Türkei gehöre geschichtlich zu Europa "wie der Maghreb", so der Wiener Erzbischof.
 
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