Kulturhauptstadt Graz 2003 auf 3sat
Über das Programm zu den Kulturstadtjahrfeierlichkeiten der Stadt Graz gemäß der Samstagabend-Sendung
auf 3sat läßt sich nicht anders als in Superlativen reden, und zwar in solchen als Gipfelpunkt des schlechten
Geschmacks und Tiefpunkt kultureller Äußerungen. Da freut einen dann schon wieder das sichtbar gewordene
Mittelmaß, das sich auch, und zwar breit als Publikum, in der Stadthalle eingefunden hatte und kritiklos
alles beklatschen zu müssen dachte, was ihm da an vermeintlichen Höhepunkten des Grazer Kulturschaffens
so vorgesetzt wurde. Wobei anzumerken ist, daß Graz als Stadt in der Sendung ja ohnehin kaum vorkam, und
echte Einwohner sogar noch weniger. Diese systematische Ausblendung wird wohl darauf zurückzuführen sein,
daß geschichtlich gewachsene Grazer Kultur, also das eigentliche und gar nicht so arme Kulturerbe, von den
Programmplanern ohnehin nicht vorgesehen war. Kategorie: reaktionär. Wohl nichts für eine zukunftweisende
Kulturhauptstadt, auf die bald die ganze Welt blicken wird. Andererseits konnte das Risiko, Zeitgenossen wie z.B.
Künstler, Politiker oder ganz einfache Bürger vor laufender Kamera frei sprechen zu lassen, nicht eingegangen
werden. Die Unwägbarkeiten hinsichtlich vollständiger, im Zusammenhang zu sprechender Sätze sowie
einer allgemein verständlichen Artikulation derselben waren den Veranstaltern wohl zu groß. Mit Ausnahme
dreier trauriger Gestalten allerdings, die dem kulturell neugierigen Zuschauer aus Europa mit ihren allerliebsten
Erinnerungen (1 Teddybär, 1 Schallplatte, 1 Bombensplitter) auf die Nerven fallen durften. Also mußten
von der Moderation bis zu den Interviews andere ran, nur bloß keine Eingeborenen aus der Steiermark. So kam,
was kommen mußte: hinter so viel vorgeschützter Internationalität, die, gemessen an der Wirklichkeit
des geistigen Horizonts des weltmännischen Grazers bekanntlich nicht vorkommt, und hinter so viel multikulturellem
Aktionismus hat sich die Stadt selbst völlig neutralisiert. Man konnte sie in der Sendung ja gar nicht mehr
wahrnehmen. Nun fragt der Besucher: was soll ich da? Ebenso gut könnte er ja anderswohin, oder besser: nirgendwohin
fahren. Man hat ja geflissentlich alles, was konventionell als charakteristisch für die Grazer Regionalkultur
gelten könnte, unterdrückt. Das, womit man locken möchte, nämlich mit modernem Kunstschaffen,
bekommt man anderswo in weit besserer Qualität. Das ist für den Außenstehenden kein Geheimnis,
auch wenn die Nabelschau einer maßgeblich sozialistisch geprägten Grazer Kulturpolitik qualitative Einsichten
solcher Art verständlicherweise lieber nicht aufkommen lassen möchte. Graz kann sich den Einkauf guter
Kunst bekanntlich gar nicht leisten. Und hat es jemand auch nur ein wenig weiter gebracht (z.B. als Photographin
oder Bodybuilder), dann hat er oder sie der Stadt in der Regel schnellstens den Rücken gekehrt.
Das Wie des professionellen Anlockens der Besucher aber wurde offenbar solchen Filmkünstlern überlassen,
deren Bildungs- und Geschmackshorizont den von frühpubertierenden Gymnasiasten kaum übersteigen dürfte,
mißt man es bloß an den entsprechenden Werbefilmbeiträgen (Kulturbeutelschau und Rache am Terminator).
Graz hat's, wohl wahr.
Vor dem Hintergrund dieses an Peinlichkeiten überreichen Ausflusses von Provinzgesinnung, die ererbte Kulturgüter
ausblenden und dies durch internationales Großtun kompensieren möchte, hätte man sich in der Sendung
doch lieber die kulturelle Vermarktung und Verkostung von Krainer und Kernöl, Schilcher und Schnaps gewünscht.
Das wäre glaubwürdiger gewesen im Sinne des Inbegriffs lukullischer Genüsse des verwöhnten
Grazer Geschmacks, garniert vielleicht mit einem herzhaften Schuhplattler als unverwechselbare Eigenart echter
steirischer Volkskultur.
Prof. Dr. Walter Slaje, Weimar |