Regierungsbildung
 Schüssel: Bewusstsein über Reformnotwendigkeiten größer geworden
Hätte mir von SPÖ mehr Mut gewünscht – Ergebnisse in Substanz enttäuschend - Werden keine Bedingungen akzeptieren
Wien (bpd) - Bundeskanzler Wolfgang Schüssel informierte am Mittwoch (22. 01.) nach der vierten Gesprächsrunde mit den Sozialdemokraten über den Stand der Verhandlungen. "Die vertieften Gesprächen haben Klarheit beim Problemaufriss gebracht. In der Umsetzung von konkreten Lösungen sind wir aber noch nicht weitergekommen. Hier war die Qualität der Ergebnisse enttäuschend.", so der Bundeskanzler. Der Eindruck der letzten Tage sei, dass von Seiten der Sozialdemokraten ständig Bedingungen gestellt werden. "Wer mit uns verhandelt, darf keine Bedingungen aufstellen. Das Wahlergebnis drückt die Sehnsucht nach einer rot-weiss-roten Handschrift im Interesse des Landes, im Interesse einer mutigen, aber zugleich sensiblen und verantwortungsbewussten Veränderungspolitik aus", so der Bundeskanzler.

Der Bundeskanzler räumte ein, dass das Bewusstsein für Reformnotwendigkeiten größer sei als noch vor einigen Wochen. Als Beispiele nannte Schüssel die Budgetpolitik und die nachhaltige Sicherung des Pensions- und Gesundheitswesens. "Es ist wichtig, nun in die Tiefe der Lösungen einzutreten und nicht in der Problemanalyse stecken zu bleiben", so Schüssel. Daher habe man heute der SPÖ Fragen zu 6 Themenbereichen gestellt. Dieser Fragenkatalog umfasst präzise Fragen zur ausgeglichen Finanz- und Budgetpolitik, zur nachhaltigen Sicherung des Generationenvertrags und zum Pensionsrechts, zur Reform des Gesundheitswesens, zur unbeschränkten Teilnahme Österreichs an allen europäischen Entwicklungen, zur Weiterführung der Universitätsreform sowie zu einer umfassenden Staatsreform. In diesen Eckpunkten müsse Klarheit gegeben sein, so Schüssel.


Als "im Ergebnis enttäuschend", bezeichnete Schüssel nach der Plenarrunde mit der SPÖ die vergangenen Detailgespräche mit den Sozialdemokraten. Er habe den Eindruck, man sei einander in der Problemsicht sicherlich näher gekommen, man könne aber nicht in der Analyse stehen bleiben. "Klar muss sein, wir werden niemals Bedingungen akzeptieren", betonte Schüssel. Er sehe das Wahlergebnis vom 24. November 2002 nicht als Schrei nach der Handschrift anderer Parteien, sondern als Wunsch nach mutiger und verantwortungsbewusster rot-weiß-roter Veränderungspolitik.

Schüssel sagte, man sei zwar in den letzten Tagen mit der SPÖ zu einem besseren Problemaufriss gelangt, "aber in der Umsetzung von konkreten Lösungen sind wir noch nicht wirklich weiter gekommen". Er sei gegen eine Rückkehr zu "alten Mustern" und habe den Eindruck gewonnen, dass Bewusstsein für Reformnotwendigkeiten sei bei den Sozialdemokraten etwa im Bereich Budget oder Konjunktur stärker als vor einigen Wochen. Zur Klarstellung habe er an die SPÖ in der heutigen Gesprächsrunde sechs konkrete Fragen zu den großen Problemfeldern gestellt.

Es müsse klargestellt sein, dass die Eckpunkte eines Budget für die gesamte Legislaturperiode sowie die großen Ziele dabei außer Streit gestellt seien. Er habe daher die Frage gestellt, "steht ein ausgeglichenes Budget über einen Konjunkturzyklus sowie der Termin für eine Entlastung außer Streit? Es muss ein gemeinsames Ziel sein, die Abgabenquote in dieser Legislaturperiode auf 43 Prozent zu senken. Dafür ist es selbstverständlich, zuerst die Voraussetzungen durch Strukturreformen zu schaffen." Man könne nicht bereits jetzt schon entlasten. "Hier sind wichtige Fragen ungeklärt und es ist notwendig, diese auszudiskutieren", so Schüssel.

Die zweite Frage habe die nachhaltige Sicherung des Generationenvertrages getroffen. "Es genügt nicht, in Überschriften zu reden, sondern wir müssen die richtigen Entscheidungen treffen", betonte der Kanzler. Außer Streit stehen müsse ein einheitliches Pensionssystem mit Übergangsfristen sowie ein einheitliches krankheitsbedingtes Pensionsbild und die Abschaffung der Frühpensionen wegen langer Versicherungsdauer. Gleichzeitig müssten selbstverständlich Maßnahmen für ältere Arbeitnehmer gesetzt werden. "Das muss 2004 im Gang gesetzt werden, die Eckpunkte müssen außer Streit stehen", sagte Schüssel.

Die dritte Frage habe dem Bereich Gesundheit betroffen. "Dass hier Sanierungsbedarf besteht, ist außer Streit. Klar ist auch, dass es primär ausgabenseitige Maßnahmen geben muss. Wir wollen einen einheitlichen Wurf eines Gesundheitssicherungssystems und ein einheitliches System von Selbstbehalten", so der ÖVP-Obmann.

Im vierten Bereich, Europa und Sicherheit, gebe es wie bereits bisher Konsens über die Frage der EU-Erweiterung, in anderen Bereichen jedoch einen Rückfall der SPÖ in Positionen von vor 1999. "Ich bin im Interesse der Bevölkerung nicht bereit, auf eine Teil der Sicherheit zu verzichten, um in allen Lebenslagen, zu Land und in der Luft Sicherheit zu garantieren, soweit dies menschlich möglich ist", so Schüssel. Man könne nicht "einen Teil der Sicherheit ausklammern". Es müsse ein gemeinsames Prinzip sein, dass "Österreich an allen Entwicklungen in der EU mitwirkt". Dazu gehöre die inneren Sicherheit ebenso wie eine gemeinsame Aussen - und Sicherheitspolitik.

Im fünften Bereichen Bildung habe er die Frage gestellt, ob der Wille bestehe, die Universitätsreform durchzuziehen. Die finanziellen Grundlagen der Universitäten müssen gesichert sein, "und sind besser abgesichert als in den früheren Jahren", betonte Schüssel. Zum letzten Bereich, der Staatsreform, betonte der Kanzler, es habe keinen Sinn, "mit dem Finger aufeinander zu zeigen". Es müsse zwischen Bund ,Länder und Kommunen eine neue Balance gefunden werden. Diese müsse "gemeinsam errungen werden", so Schüssel.

 

 Gusenbauer: »Geht es nach der SPÖ, können schon morgen konkrete Regierungsverhandlungen beginnen«
SPÖ "bereit für rot-weiß-rote Reformkoalition"
Wien (sk) - Mit nur sechs Gegenstimmen hat der Bundesparteivorstand der SPÖ am Mittwoch (22. 01.) dem Antrag des Parteipräsidiums bezüglich der Aufnahme von Regierungsverhandlungen mit der ÖVP zugestimmt. Außerdem wurde einstimmig beschlossen, am 14. Februar einen außerordentlichen Bundesparteitag abzuhalten. Dieser soll die endgültige Entscheidung über eine Regierungsbeteiligung der SPÖ treffen. "Aus Sicht der SPÖ können die Regierungsverhandlungen gleich morgen beginnen", erklärte SPÖ-Vorsitzender Alfred Gusenbauer im Anschluss an die Vorstandssitzung.

Die ÖVP sei für die Bildung einer neuen Bundesregierung verantwortlich und es sei ihr "gutes Recht" noch weitere Gespräche mit der FPÖ und den Günen zu führen. Allerdings steige die Ungeduld der österreichischen Bevölkerung bereits; aus Sicht der SPÖ sollte daher nicht weitere sinnvolle Zeit vergeudet werden. "Sollte die Volkspartei endlich bereit sein, ihrem Auftrag zur Bildung einer neuen österreichischen Bundesregierung nachzukommen, dann sind wir bereit", so Gusenbauer. Für "nicht vernünftig" hielte die SPÖ allerdings parallel geführte Regierungsverhandlungen - "denn eine österreichische Bundesregierung kann keine menage à trois ou quarte sein", so der SPÖ-Chef.

Dass es zwei Monate nach der Wahl noch immer keine Regierungsverhandlungen gibt, bezeichnete Gusenbauer "als starkes Stück", für das Wolfgang Schüssel die Verantwortung trage. Die SPÖ wolle aber keine Ultimaten stellen, sondern formuliere lieber Reformziele. Wenn hier jemand "papierlt" werde, dann sei es die österreichische Bevölkerung, die auch zunehmend unzufriedener werde, so Gusenbauer auf eine entsprechende Frage.

Die SPÖ operiere selbstverständlich auf Basis ihres Wahlprogrammes, so wie auch die ÖVP sich nach ihrem Wahlprogramm orientierte, unterstrich der SPÖ-Chef. Es gehe jetzt aber nicht darum, wechselseitig Wahlprogramme abzuarbeiten, deshalb habe die SPÖ auch konkrete Reformprojekte in den Vordergrund der Gespräche gerückt. Gusenbauer formulierte die Reformziele der SPÖ: Ankurbelung der Wirtschaft und Senkung der Arbeitslosigkeit; eine faire Reform des Pensionssystems, um heutige und künftige Pensionen gerecht und langfristig zu sichern; Schaffung eines einheitlichen Pensionsrechtes und die wahrscheinliche Finanzierungslücke im Gesundheitssystem von einer Mrd. Euro im Jahr 2006 müsse mit einer soliden Finanzierung bedeckt werden.

Wichtig sei auch eine Staatsreform, die dazu führt, dass die Gesetzgebungskompetenz stärker auf Bundesebene angesiedelt wird und dass die Vollziehung besser zwischen Bund, Ländern und Gemeinden verteilt wird; außerdem möchte die SPÖ eine Bildungsreform, "die dazu führt, dass die Jugend weit besser für ihre berufliche Zukunft ausgestattet wird, als bisher". Ebenso wesentlich sei eine Steuerreform, mit der nicht nur die Tarife, sondern auch die Struktur des österreichischen Steuersystems "europäisiert" werden; und schließlich müsse die Finanzierung öffentlicher Infrastruktur und Investitionen geklärt werden, "weil es nicht nur darum geht, die Wirtschaft anzukurbeln und neue Arbeitsplätze zu schaffen, sondern auch darum, die österreichische Standortqualität zu heben", so Gusenbauer. Der SPÖ-Chef unterstrich außerdem erneut, dass es aus Sicht der SPÖ in dieser Legislaturperiode aufgrund dringend anstehender Reformprojekte zu keinem Ankauf neuer Abfangjäger kommen sollte.

Aus Gusenbauers Sicht sind die Sondierungsgespräche nicht enttäuschend verlaufen; er, Gusenbauer, sei offensichtlich mit anderen Erwartungen als die ÖVP in die Verhandlungen gegangen. Er habe sich keine konkreten Lösungen, sondern nur eine Klärung der Problemsicht erwartet.

Die sechs Fragen, die die ÖVP heute an die SPÖ gestellt hat, bezeichnete Gusenbauer als "obsolet", weil sich die Fragen auf Materien beziehen, zu denen die SPÖ ohnehin konkrete Vorschläge gemacht habe. So fordere die SPÖ etwa bereits seit Wochen ein einheitliches Pensionsrecht. Zu fragen sei hier höchstens, wann auch ÖVP-Abgeordneter und Beamtengewerkschaftschef Neugebauer seine Zustimmung in diesee Frage signalisieren wird.

Die Wahrscheinlichkeit, dass es tatsächlich zu schwarz-roten Koalitionsverhandlungen kommt, wollte der SPÖ-Chef nicht beurteilen - "ich bin kein Experte des Innenlebens der ÖVP".

Bei einer Abstimmung in der knapp vierstündigen Sitzung gab es in dem rund 70köpfigen Parteigremium nur sechs Gegenstimmen. Der Antrag im Wortlaut:

Das Bundesparteipräsidium der SPÖ hat beschlossen, an den Bundesparteivorstand den Antrag zu stellen, der Aufnahme von Regierungsverhandlungen mit der ÖVP zuzustimmen mit dem Ziel, ein Reformprogramm zu erarbeiten, in dem grundlegende Reformprojekte für Österreich definiert werden. Dazu zählen insbesondere eine aktive Beschäftigungspolitik zur Sicherung der Arbeitsplätze und zur Ankurbelung der Wirtschaft, eine fortschrittliche Frauenpolitik, die auch eine Steigerung der Erwerbsquote der Frauen mitumfasst, eine sozial gerechte Pensionsreform, eine Steuerreform, die Sicherung unseres hochqualitativen Gesundheitssystems, eine Staatsreform und weitere Zielsetzungen, die von der SPÖ in die bisherigen Sondierungsgespräche eingebracht wurden. Parallelverhandlungen zu einer Regierungsbildung mit anderen Parteien werden von der SPÖ nicht akzeptiert.

Parteitag am 14. Februar
Einstimmig wurde im SPÖ-Vorstand die Einberufung eines außerordentlichen Bundesparteitages beschlossen. Dieser soll am 14. Februar stattfinden. Der Antrag im Wortlaut:

  1. Der Bundesparteivorstand der SPÖ beschließt die endgültige Entscheidung über eine Regierungsbeteiligung der SPÖ einem außerordentlichen Bundesparteitag vorzubehalten.
  2. Zu diesem Zweck wird ein außerordentlicher Bundesparteitag gemäß § 37 des Parteistatutes nach Wien einberufen und für 14. Februar anberaumt.
  3. Sollte ein Antrag des Bundesparteivorstandes an den außerordentlichen Bundesparteitag als Grundlage der Beratung des außerordentlichen Bundesparteitages nicht bis zum 13. Februar vorliegen, dann wird der Beginn des Bundesparteitages durch Beschluss des Bundesparteipräsidiums auf einen geeigneten Zeitpunkt verschoben, der es erlaubt, die Entscheidung über eine Regierungsbeteiligung zeitgerecht zu treffen.  
 
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