Adorno-Preisträger Ligeti eröffnet die »Ikonen des 20. Jahrhunderts«
Graz (2003) - Am Donnerstag, den 06. Feber 2003, ist erstmals der Klang eines Großen Orchesters in der akustisch einzigartigen Helmut List-Halle zu erleben. Aus diesem Anlass hat Peter Oswald für sein erstes "Ikonen"-Konzert ein Programm gewählt, das "vom Spannungsverhältnis zwischen Stille und Aufruhr" lebt. Unter anderem wird auch "Atmosphères" gebracht, das Schlüsselwerk von György Ligeti, der erst unlängst den renommierten Adorno-Preis der Stadt Frankfurt erhalten hat.

Wie viel Faszination eine adäquate Umsetzung neuer Musik birgt, konnte zum Start des Kulturhauptstadtjahres bereits durch die höchst erfolgreiche szenischen Urafführung von Beat Furrers "Begehren" bewiesen werden. Mit der Helmut List-Halle ist rechtzeitig zur Eröffnung von Graz 2003 ein Raum entstanden, der klanglich auch einer anspruchsvollen neuen Konzertliteratur gerecht wird. Mit dem Projekt "Ikonen des 20. Jahrhunderts" kommen schließlich jene Spitzenorchester nach Graz, die das für Peter Oswald notwendige Maß an interpretatorischer Qualität garantieren.

Die "Ikonen des 20. Jahrhunderts"
In exemplarischen Interpretationen präsentiert die von Peter Oswalds konzipierte Konzertreihe zentrale künstlerische Positionen der Musik des gesamten 20. Jahrhunderts. Es wird ein Bogen gespannt, der vom Erbe Richard Wagners bis zu den "Klassikern" der letzten Jahrzehnte reicht und den Ausprägungen der Moderne vor wie nach den beiden Weltkriegen Rechnung trägt. Die "Ikonen" erzählen von den vielgestaltigen, aufregenden Wegen, die Komponisten gegangen sind, um musikalisches Neuland zu betreten.

Das erste "Ikonen"-Konzert
Das Eröffnungskonzert der "Ikonen des 20. Jahrhunderts" bestreitet das Sinfonieorchester des Slowenischen Rundfunks als idealer Klangkörper für die von Oswald gewählten Werke von György Ligeti (Atmosphères), Giacinto Scelsi (Aion), Roman Haubenstock-Ramati (Nocturne II) und Uros Rojko (Der Atem der verletzten Zeit), - ein Programm von "großer affirmativer Schönheit", wie Oswald betonte. Dirigent dieser faszinierenden Reise durch die jüngere Klangwelt Mitteleuropas ist Johannes Kalitzke.

Zu den Inhalten des ersten Konzerts
Die vier bei diesem Konzert vorgestellten, zwischen 1961 und 1988 entstandenen Werke zeigen, wie unterschiedlich die Herangehensweise der Komponisten an die Phänomenologie des Klanges sein kann. Der feinst gesponnenen Klangfarbenpracht in Ligetis "Atmosphères" steht der Ausdruck politischer Ohnmacht in Rojkos "Der Atem der verletzen Zeit" gegenüber. Die sich verflüchtigenden Figuren bei Haubenstock-Ramatis "Nocturne II" werden mit der elementaren kosmische Wucht in Scelsis "Aion" konfrontiert.

György Ligetis einleitende "Atmosphères", die bereits bei ihrer Uraufführung 1961 in Donaueschingen als Sensationserfolg gefeiert wurden, gelten als ein Schlüsselwerk der musikalischen Moderne. Die über 60 Systeme umfassende Partitur brach radikal mit der streng rationellen Ästhetik der seriellen Technik und stellte dieser großdimensionierte Farbflächen gegenüber. So elegant und organisch diese Musik klingt, so raffiniert ist der innere Plan dieses nicht zuletzt durch Stanley Kubricks "2001 - Odyssee Im Weltraum" populären Werkes. Nach einem regelrecht apokalyptischen Tonsturz beginnt etwa ein sich immer stärker verdichtender 56-stimmiger Kanon, der als solcher unhörbar bleibt, die Musik aber wie ein sich ständig veränderndes Farbenmeer schimmern lässt - als Klang gewordene Utopie tönenden Lichts.

Uros Rojkos "Der Atem der verletzten Zeit", entstand im Winter und Frühling 1987/88, als, wie der Komponist selbst sagt "eine morbide, trübe Spannung in der Luft (lag), eine, die eher Apathie als die Freude am Schaffen auslöste und unsagbar schreckliche Dinge vorausahnen lies, nämlich jene des Balkankrieges. Die Erkenntnis, dass das Unrecht dieser Welt nie beglichen, sondern immer nur vergessen wird, dass das Prinzip der Macht dem Missbrauch der intellektuellen und schöpferischen Potentiale unserer Zivilisation dient und konsequent zur Auslöschung aller geistigen und ethischen Werte führt, zeigte mir, wie verletzt unsere Zeit ist." Die durch die Technik von komplexen Obertonschichtungen gewonnene Musik spiegelt diese Gedanken wieder. "Momente der Stille schreien wie Wunden und zerfetzen den Klang im Rhythmus eines verletzten Atems in seine Einzelbruchteile. Die bis zum Zerreißen gespannte Form platzt aus allen Nähten." (U.R.)

Das "Nocturne II" von Roman-Haubenstock-Ramati wiederum ist Zeugnis einer anderen Musik. "Musik, der man (vielleicht) ganz allein (einsam) vom Radio oder Tonband, in der Nachtstille, lauschen sollte. Diese Musik möchte erlauscht werden, als "imaginäres Wechselbild, das vieles ahnen lässt, ohne das Eindeutige, das Endgültige suggerieren zu wollen." Das in je vier Gruppen von Instrumentaltypen untergliederte Orchester klingt leise, wie aus der Ferne, unbestimmt. Für Haubenstock-Ramati war das Orchester ein altes, tradiertes Instrument, das für eine neue Musik auch neu kreiert werden musste. Im Zentrum der "Nocturnes" steht daher die Idee eines Klanges als Summe seiner variablen Bestandteile wie Phrasen, Motiven und Figuren. Die Komposition ist nicht mehr nur das Ergebnis von Ordnungsparametern, sondern ein klingender kinetischer Prozess, das Resultat der variablen Möglichkeiten und Instabilitäten seiner Klangmobilitäten.

Giacinto Scelsis zum Schluss gespieltes, 1961 entstandenes, aber erst 1985 uraufgeführtes Stück "Aion" ist das umfangreichste Orchesterwerk dieses Komponisten, der so radikal wie kein anderer mit den tradierten Parametern westlicher Musikpraxis brach. Der "Meister des noch kleineren Übergangs" komponierte nicht im traditionellen Sinn, sondern improvisierte seine Musik mittels regelrechter Klanggrabungen, womit er in bis dato noch unentdeckte Tiefen der klingenden Substanz vordrang. "Aion" ergründet "vier Episoden aus dem Leben Brahmas" und gleicht in seiner dunklen elementaren Wucht einem ins riesenhafte vergrößertem Klang aus dem Adagio von Bruckners 9. Symphonie. Die enorme Weite und Größe dieses gewaltigen Werkes gründet sich auf die dunklen Klangfarben sowie auf den umfangreichen Blechbläser- (sechs Hörner, drei Trompeten, vier Posaunen, vier Tuben) und Schlagwerkapparat.

Hier finden Sie das Programm!
 
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