OeNB Vize-Gouverneurin Tumpel-Gugerell: Finanzsysteme bilden das Bindeglied zwischen Kapitalgebern
und investierenden Unternehmen
Wien (oenb) - "Die Effizienz von Finanzsystemen stellt eine der wichtigsten Voraussetzungen für ein
dynamisches Wirtschaftswachstum dar", betonte die Vize-Gouverneurin der Oesterreichischen Nationalbank, Dr.
Gertrude Tumpel-Gugerell, bei der Eröffnung eines OeNB-Workshops zum Thema "Finance for Growth".
Finanzsysteme bilden das Bindeglied zwischen Kapitalgebern und investierenden Unternehmen und übernehmen damit
eine wichtige Allokationsfunktion in unserer Wirtschaft. Im Zentrum steht dabei der Transfer von Risiko: Kapitalgeber,
die selbst nicht bereit sind, ein Investitionsrisiko einzugehen, stellen ihre Finanzmittel - über Intermediäre
wie etwa Banken oder in direkter Form durch den Ankauf von Unternehmensanteilen - jenen Unternehmern zur Verfügung,
die das Investitionsrisiko übernehmen wollen und damit den Wertschöpfungsprozess in Gang setzen. Ohne
funktionierende Finanzmärkte wäre die Entfaltung des Unternehmergeistes im Sinne des berühmten österreichischen
Ökonomen Joseph A. Schumpeter nicht denkbar, so Tumpel-Gugerell.
Den Streit, ob das europäische, bankenbasierte, oder das amerikanische, marktbasierte Finanzsystem das bessere
sei, ordnete Tumpel-Gugerell in den Bereich historischer Auseinandersetzungen ein. Hier gelte es, die Vorzüge
des einen Systems mit jenen des anderen Systems zu verbinden und die Risiken besser einzuschätzen zu lernen.
So besteht etwa der Vorteil des europäischen Systems darin, dass zwischen Bank und Unternehmer meist eine
Vertrauensbasis bestehe, die den Finanzierungsbeziehungen auch in unsicheren Zeiten Stabilität verleiht. Das
marktbasierte System kann wiederum aufgrund der Preissignale, die von den Finanzmärkten ausgehen, eine bessere
Ressourcenzuordnung bewirken. Beim marktbasierten System unterliegen die Finanzierungsbedingungen der Unternehmen
oft starken Schwankungen auf den Kapitalmärkten. Investoren schichten große Anlagebeträge manchmal
sehr kurzfristig aufgrund von unvollkommenen Informationen um und lösen damit Kursentwicklungen auf den Aktienmärkten
aus, die von einer seriösen Unternehmensbewertung bisweilen entkoppelt scheinen.
Tumpel-Gugerell sieht daher die Aufgabe der Finanzmarktregulierung darin, einerseits durch das Setzen von klaren
Regeln und fairen Wettbewerbsbedingungen zu einer Stabilisierung der Finanzmärkte beizutragen, andererseits
aber genügend Freiraum für Marktkräfte zu lassen, um einer optimalen Nutzung und einer Weiterentwicklung
der Finanzierungsmöglichkeiten von Unternehmen nicht im Wege zu stehen. Die neuen Eigenmittelbestimmungen
von Basel II seien ein positiver Schritt in diese Richtung und müssten von der Wirtschaft als Chance begriffen
werden. Auf diese Weise könne die Effizienz der Finanzmärkte gesteigert und die Mittlerrolle des Finanzsystems
zwischen Kapitalanleger und Unternehmer optimiert werden, wodurch ein wichtiger Beitrag zu dynamischem und nachhaltigem
Wirtschaftswachstum geleistet werde, so die OeNB-Vize-Gouverneurin. |