Gusenbauer: ÖVP
hat sich für machtpolitisch bequemeren Weg entschieden
Eine große Chance für Österreich wurde vertan
Wien (sk) - Die ÖVP habe sich mit ihrer Entscheidung, Regierungsverhandlungen mit der FPÖ
aufzunehmen, für den machtpolitisch einfacheren Weg und gegen den anspruchsvollen Weg zur Bildung einer stabilen
Reformregierung mit der SPÖ entschieden, erklärte SPÖ-Vorsitzender Alfred Gusenbauer Freitag (21. 02.) in einer Pressekonferenz. Die ÖVP habe damit eine "große Chance
für Österreich vertan", denn immerhin hätten ÖVP und SPÖ über rund 80 Prozent
der Mandate im Nationalrat verfügt - "es ist die Frage, ob es zu einer solchen Chance wieder kommt"
- und hätten so die notwendigen großen Reformen in Angriff nehmen können. Der SPÖ-Vorsitzende
habe aus seinen "konstruktiven und ernsthaften Gesprächen" mit Kanzler Schüssel den Eindruck
gehabt, dass es eine gute Grundlage gebe, zu tatsächlichen Verhandlungen zu kommen. Er sei davon ausgegangen,
dass die Problempunkte zu lösen gewesen wären; Schüssel habe sich aber politisch anders entschieden
und den einfacheren, weniger ambitionierten Weg gewählt.
Gusenbauer betonte, dass sich die SPÖ ausgehend vom Wunsch einer breiten Mehrheit der Bevölkerung entschlossen
hatte, eine stabile Reformkoalition mit der ÖVP zu bilden und dafür die Bedingungen geschaffen habe.
Dieser Entschluss sei mit nur einer Gegenstimme vom SPÖ-Präsidium gefasst worden, und man habe als Grundlage
ein 12-Punkte-Programm, das die sozialdemokratischen Antworten auf die anstehenden Herausforderungen umfasse, vorgelegt.
Weiters habe man in den Sondierungsgesprächen die Chance genützt und eine Situation vorbereitet, die
Verhandlungen möglich gemacht hätte. "Ich hatte den Eindruck, dass von beiden Seiten sehr ernsthafte
Gespräche geführt wurden und dass eine gute Grundlage geschaffen wurde für Verhandlungen. "Zu
welchem Ergebnis diese geführt hätten, kann man nicht zu 100 Prozent abschätzen. Die Frage, woran
Verhandlungen nun gescheitert sind, ist aber müßig, weil es keine Verhandlungen gab."
Die SPÖ habe auf jeden Fall einen "breiten Boden" aufbereitet, allerdings sei eine Koalitionsbildung
auch die Frage des politischen Willens. Und die ÖVP habe sich eben für den machtpolitisch bequemeren
Weg entschieden, wobei, wie Gusenbauer anführte, dieser Beschluss der ÖVP mit deutlich geringerer Mehrheit
beschlossen wurde, immerhin hätten drei Landeshauptleute und der Präsident der Wirtschaftskammer nicht
zugestimmt. Die SPÖ habe ihren Beschluss mit einer weitaus größeren Mehrheit gefasst. Vom VP-Beschluss
habe er, Gusenbauer, knapp nach der Entscheidung erfahren, danach sei er von Schüssel angerufen worden. Er
habe die Entscheidung "professionell" zur Kenntnis genommen und dem Bundeskanzler "alles Gute für
die Verhandlungen" gewünscht. Nach seinem letzten Gespräch mit dem Kanzler, sei er aber nicht davon
ausgegangen, dass es zu Verhandlungen ÖVP-FPÖ kommen werde.
Die ÖVP habe damit eine "große Chance für Österreich vertan"; es sei die Frage,
wann es wieder zu einer Situation kommt, in der zwei Parteien über mehr als 80 Prozent der Mandate verfügen
und damit große Reformen einleiten können. Eine Reformnotwendigkeit bestehe im übrigen nur, weil
in den letzten drei Jahren die fundamentalen Probleme von Schwarz-Blau nicht gelöst werden konnten. ÖVP
und FPÖ seien gescheitert, darum müsse nun so viel über Reformen gesprochen werden. "Die Frage
stellt sich: Was ist in den letzten sechs Monaten besser geworden? Was soll in Zukunft besser werden? Ich sehe
keine Ansätze dazu", so Gusenbauer, der betonte: "Es besteht nun die Gefahr, dass das, was wir in
den letzten sechs Monaten erlebt haben, die Zukunft der nächsten Jahre bestimmen wird".
"Die Bereiche Pensionen, Gesundheitssystem und Staatsreform werden zeigen, dass die SPÖ reformbereiter
an die Probleme herangegangen ist als ÖVP und FPÖ. Die ÖVP hat Angst vor der eigenen Courage",
so Gusenbauer, der in diesem Zusammenhang das Beispiel Pensionsreform nannte. Hier setze die ÖVP lediglich
auf die Abschaffung der Frühpensionen, während die SPÖ ein einheitliches und gerechtes Pensionssystem
für alle wolle. "Es gibt hier also erhebliche Unterschiede in der Reformbereitschaft." Geht es nach
der ÖVP, werde man in den nächsten Jahren die nächste Reform angehen müssen; die Chance, eine
anspruchsvolle Reform für die nächsten Jahrzehnte zu beschließen, sei vertan. Die SPÖ werde
auf jeden Fall als Oppositionspartei als "sozialer Reformmotor" tätig sein und ihr "Profil
als die soziale Reformkraft in Österreich" weiter stärken.
Danach gefragt, in welchen Punkten man mit der ÖVP einig gewesen sei, sagte Gusenbauer, dass beide davon ausgegangen
seien, dass bei einer Pensionsreform Einsparungen im Jahr 2006 von einer Milliarde Euro erreicht sein sollten.
Allerdings habe das Denken der ÖVP dann im Jahr 2006 geendet, während die SPÖ zusätzlich einen
Übergang zu einem einheitlichen Pensionssystem anstrebe. "Unsere Herangehensweise ist hier bedeutend
ambitionierter als die der ÖVP." Im Gesundheitsbereich habe man den mittelfristigen Reformbedarf in den
Mittelpunkt gestellt, und auch über eine Harmonisierung der Beitragssätze in der Krankenversicherung
sei man sich einig gewesen. "Ich bin von einer gemeinsamen Lösung ausgegangen; diesen Eindruck hatte
ich schon nach der ersten Sondierungsrunde", so der SPÖ-Vorsitzende, der noch weiter präzisierte:
"Es gab keinen Punkt, wo ich gesagt hätte, hier können wir nicht weiter". Und das Verhalten
der drei Landeshauptleute und des Wirtschaftskammerpräsidenten hätte ja bestätigt, dass die Gespräche
nicht sinnlos waren.
Auf die Frage, ob die SPÖ auch in Zukunft wieder zum Mittel der Verfassungsklage greifen werde, hielt Gusenbauer
fest: "Das hängt davon ab, welche Gesetze uns präsentiert werden. Wenn die schwarz-blaue Regierung
bei ihrer Praxis bleibt, im 'Husch-Pfusch-Verfahren' Gesetze zu beschließen, nach dem Prinzip 'speed kills'
das offensichtlich eine spezifische Art von Überlieferung aus der Wüste Gobi darstellt, und dadurch Gesetze
auf den Tisch kommen, die nach allen Kriterien nicht verfassungskonform sind, aber trotzdem mit einfacher Mehrheit
beschlossen werden sollen, werden wir uns diese Möglichkeit offen lassen." Insgesamt werde sich die SPÖ
konstruktiv an den Diskussionen im Parlament beteiligen und schauen, ob ÖVP und FPÖ bei den sozialdemokratischen
Reformvorstellungen mit können. Mehrheitsbeschaffer werde man aber mit Sicherheit nicht sein.
In Zusammenhang mit der möglichen Dauer einer ÖVP-FPÖ-Regierung hielt der SPÖ-Vorsitzende abschließend
fest: "Es ist historisch bewiesen, dass, wenn man sich lange Zeiträume vornimmt, oft nur kurze herauskommen.
Was nicht immer ein Nachteil sein muss." Sollten die schwarz-blauen Verhandlungen vielleicht doch scheitern,
dann werde es laut Gusenbauer "langsam peinlich". |