»Unverständlich, dass Regierung Schaffung eines europäischen Staatsanwaltes ablehnt«
Wien (sk) - Den "Betrugsbericht 2001 - Wo bleibt die Null-Toleranz-Politik der Kommission?",
der am 19. Februar vom EU-Haushaltskontrollausschuss verabschiedet wurde und demnächst ins Plenum des Europäischen
Parlaments kommen wird, stellte SPÖ-EU-Abgeordneter und Betrugsbekämpfungsexperte Herbert Bösch
Mittwoch (05. 03.) in einer Pressekonferenz vor. Laut diesem Bericht sind 2001 die Fälle
von Betrugsverdacht und Unregelmäßigkeiten gegenüber dem Vorjahr zwar um etwa 37 Prozent zurückgegangen,
"im Vergleich zu früheren Jahren ist das dennoch das zweithöchste je verzeichnete Betrugsverdachtsvolumen".
Der Rückgang sei vor dem Hintergrund eines mangelhaft ausgeführten Budgets zu sehen, und die Kommission
sei nicht in der Lage, zu Unrecht ausgezahlte Förderungen wieder einzuziehen. Zusätzlich beklagte der
SPÖ-EU-Abgeordnete die mangelnde Kooperation der Mitgliedstaaten und forderte ausdrücklich die Schaffung
eines europäischen Staatsanwaltes. "Es ist unverständlich, dass die österreichische Regierung
in ihrem Programm dies ablehnt." Ebenso unverständlich seien das Vorhaben, Zollbeamte abbauen zu wollen
- dadurch werde dem Schmuggel Tür und Tor geöffnet - und die Weigerung Österreichs, die Zigarettenkonzern-Klage
zu unterstützen. Schließlich müsse es darum gehen, dass Österreich als Nettozahler seine Steuern
schützt.
Insgesamt belaufen sich die Betrugsverdachtsfälle und Unregelmäßigkeiten im Jahr 2001 (in festgestellten
und nicht hochgerechneten Zahlen) auf 1,275 Mio. Euro. Als Faustregel könne man annehmen, dass es sich bei
rund 20 Prozent davon um Betrug handelt. Die größten Unregelmäßigkeiten gebe es auf der Einnahmenseite
mit 533 Mio. Euro, "was heißt, dass die großen Betrügereien nicht in Brüssel passieren,
sondern an den Landesgrenzen - siehe Zigarettenschmuggel". Im Bereich der Agrarpolitik habe man es mit einer
Summe von 429 Mio. Euro zu tun, in der Strukturpolitik mit 249 Mio. Euro. Die direkten Ausgaben seien mit 64 Mio.
Euro betroffen, wobei hier aber oft ein "sauberes Ausgeben" schwierig sei, etwa in Krisenregionen.
Im Vergleich zu früheren Jahren habe man es heuer mit dem zweithöchsten Betrugsverdachtsvolumen zu tun
- im Jahr 2000 betrug das Gesamtvolumen 2.028 Mio. Euro. Der Rückgang sei vor dem Hintergrund eines mangelhaft
ausgeführten Budgets zu sehen: In den Jahren 2000 und 2001 gingen bei einem jährlichen Budget von rund
100 Mrd. Euro 26 Mrd. Euro ungenutzt an die Mitgliedstaaten zurück. Trotz des Rückgangs sei das Betrugsvolumen
in Relation zu dem nicht ausgenutzten Budget daher als hoch anzusehen. Bösch kritisierte, dass die Kommission
nicht in der Lage sei, zu Unrecht ausgezahlte Förderungen wieder einzuziehen. Die Außenstände aus
diesem Titel belaufen sich mittlerweile auf drei Mrd. Euro. Die wieder eingezogenen Beträge haben sich im
Jahr 2001 mit rund 40 Mio. Euro mehr als halbiert (2000: 86 Mio. Euro). "Hier muss sich etwas ändern",
verlangt Bösch.
Es stelle sich nun die Frage, wie die Mitgliedstaaten besser miteinander kooperieren könnten. "Gerade
als Nettozahler müssen wir darauf achten", so der SPÖ-EU-Abgeordnete. Insgesamt dürfte die
Dunkelziffer bei Betrug und Unregelmäßigkeiten noch höher liegen als offiziell bekannt. Bösch
zeigt sich jenen Ländern skeptisch gegenüber, die keine Missstände zu melden haben. Es müsse
darum das Interesse an einer ordentlichen Meldung von Missständen erhöht werden, so Bösch, der informierte,
dass die Niederlande etwa viermal so viel angegeben haben wie Spanien oder Griechenland - "was sicher nicht
heißt, dass die Niederlande schlechter verwaltet sind". Die Kommission sei darum aufgerufen, nicht nur
die nackten Zahlen, sondern auch eine Analyse einzufordern, und auch die Namen der Länder sollten genannt
werden, denn nur so könne man auf Probleme aufmerksam machen.
Österreich unterstützt Zigarettenkonzern-Klage nicht - unvorstellbar!
Als "unvorstellbar" bezeichnete Bösch die Tatsache, dass Österreich im Gegensatz zu
zehn anderen Ländern die Klage der Kommission gegen die Zigarettenkonzerne Reynolds, Philip Morris und Japan
Tobacco wegen Beteiligung an Zigarettenschmuggel nicht unterstützt. "Statt dauernd mit dem Veto zu drohen,
sollte die österreichische Regierung hier lieber einen konstruktiven Beitrag leisten." Ebenso unverständlich
sei, dass die Regierung die Schaffung eines europäischen Staatsanwaltes ablehnt. "Es wird immer wieder
behauptet, dass Österreich als Nettozahler unter der Verschwendung leidet und dann werden Österreichs
Interessen doch nicht geschützt, das ist unvorstellbar", so der EU-Abgeordnete. Ähnliches gelte
für die Überwachung der Außengrenzen, auch dieser Bereich müsse aus dem Aspekt des Nettozahlers
gesehen werden. "Ich sage 'Hände weg vom Zoll!', denn dadurch würde man dem Schmuggel Tür und
Tor öffnen." Um die Steuern besser schützen zu können, schlägt Bösch vor, einen europäischen
Zoll zu schaffen.
Der Betrugsbekämpfungsexperte wies auch auf interne Betrugsfälle hin und zeigte sich froh, dass nun endlich
Konsequenzen aus dem "Fall Cresson" gezogen werden und wegen Pflichtverletzung vorgegangen werde - wie
es im übrigen bereits im Bericht 2002 festgehalten worden ist. Neue Unregelmäßigkeiten würden
beim Eurostat Anlass für Zweifel an der von der Kommission ausgerufenen "Null-Toleranz-Politik"
gegen Betrug geben. So bestehe der Verdacht, dass leitende Beamte "auf beiden Seiten des Verhandlungstisches"
gesessen hätten und dass "Bilanzen frisiert wurden". "Ich sehe bei der Kommission keinen Willen,
dies aufzuarbeiten; sie weiß offensichtlich nicht um die politische Brisanz Bescheid", so Bösch,
der darauf hinwies, dass Eurostat immerhin die "blauen Briefe" aufgrund nicht eingehaltener Maastricht-Kriterien
verschickt.
In Zusammenhang mit einer besseren Vorbereitung der EU-Erweiterung fordert Bösch den Aufbau von Finanzkontrollsystemen
in den Erweiterungsländern und Forschritte im Vorbeitrittsprogramm SAPARD. Bösch sieht die großen
Herausforderungen bei der EU-Erweiterung gerade bei deren Beginn, denn da würden die großen Fördermittel
fließen, "und da müssen auch Missverständnisse verhindert werden", so der SPÖ-EU-Abgeordnete,
der abschließend darauf hinwies, dass sich Unregelmäßigkeiten etwa in der Strukturpolitik auch
oft aus "verrückten Vorschriften" ergeben hätten. |