Bösch präsentiert »Betrugsbericht 2001 -
Wo bleibt die Null-Toleranz-Politik der Kommission?«
 

erstellt am
06 03. 03

»Unverständlich, dass Regierung Schaffung eines europäischen Staatsanwaltes ablehnt«
Wien (sk) - Den "Betrugsbericht 2001 - Wo bleibt die Null-Toleranz-Politik der Kommission?", der am 19. Februar vom EU-Haushaltskontrollausschuss verabschiedet wurde und demnächst ins Plenum des Europäischen Parlaments kommen wird, stellte SPÖ-EU-Abgeordneter und Betrugsbekämpfungsexperte Herbert Bösch Mittwoch (05. 03.) in einer Pressekonferenz vor. Laut diesem Bericht sind 2001 die Fälle von Betrugsverdacht und Unregelmäßigkeiten gegenüber dem Vorjahr zwar um etwa 37 Prozent zurückgegangen, "im Vergleich zu früheren Jahren ist das dennoch das zweithöchste je verzeichnete Betrugsverdachtsvolumen". Der Rückgang sei vor dem Hintergrund eines mangelhaft ausgeführten Budgets zu sehen, und die Kommission sei nicht in der Lage, zu Unrecht ausgezahlte Förderungen wieder einzuziehen. Zusätzlich beklagte der SPÖ-EU-Abgeordnete die mangelnde Kooperation der Mitgliedstaaten und forderte ausdrücklich die Schaffung eines europäischen Staatsanwaltes. "Es ist unverständlich, dass die österreichische Regierung in ihrem Programm dies ablehnt." Ebenso unverständlich seien das Vorhaben, Zollbeamte abbauen zu wollen - dadurch werde dem Schmuggel Tür und Tor geöffnet - und die Weigerung Österreichs, die Zigarettenkonzern-Klage zu unterstützen. Schließlich müsse es darum gehen, dass Österreich als Nettozahler seine Steuern schützt.

Insgesamt belaufen sich die Betrugsverdachtsfälle und Unregelmäßigkeiten im Jahr 2001 (in festgestellten und nicht hochgerechneten Zahlen) auf 1,275 Mio. Euro. Als Faustregel könne man annehmen, dass es sich bei rund 20 Prozent davon um Betrug handelt. Die größten Unregelmäßigkeiten gebe es auf der Einnahmenseite mit 533 Mio. Euro, "was heißt, dass die großen Betrügereien nicht in Brüssel passieren, sondern an den Landesgrenzen - siehe Zigarettenschmuggel". Im Bereich der Agrarpolitik habe man es mit einer Summe von 429 Mio. Euro zu tun, in der Strukturpolitik mit 249 Mio. Euro. Die direkten Ausgaben seien mit 64 Mio. Euro betroffen, wobei hier aber oft ein "sauberes Ausgeben" schwierig sei, etwa in Krisenregionen.

Im Vergleich zu früheren Jahren habe man es heuer mit dem zweithöchsten Betrugsverdachtsvolumen zu tun - im Jahr 2000 betrug das Gesamtvolumen 2.028 Mio. Euro. Der Rückgang sei vor dem Hintergrund eines mangelhaft ausgeführten Budgets zu sehen: In den Jahren 2000 und 2001 gingen bei einem jährlichen Budget von rund 100 Mrd. Euro 26 Mrd. Euro ungenutzt an die Mitgliedstaaten zurück. Trotz des Rückgangs sei das Betrugsvolumen in Relation zu dem nicht ausgenutzten Budget daher als hoch anzusehen. Bösch kritisierte, dass die Kommission nicht in der Lage sei, zu Unrecht ausgezahlte Förderungen wieder einzuziehen. Die Außenstände aus diesem Titel belaufen sich mittlerweile auf drei Mrd. Euro. Die wieder eingezogenen Beträge haben sich im Jahr 2001 mit rund 40 Mio. Euro mehr als halbiert (2000: 86 Mio. Euro). "Hier muss sich etwas ändern", verlangt Bösch.

Es stelle sich nun die Frage, wie die Mitgliedstaaten besser miteinander kooperieren könnten. "Gerade als Nettozahler müssen wir darauf achten", so der SPÖ-EU-Abgeordnete. Insgesamt dürfte die Dunkelziffer bei Betrug und Unregelmäßigkeiten noch höher liegen als offiziell bekannt. Bösch zeigt sich jenen Ländern skeptisch gegenüber, die keine Missstände zu melden haben. Es müsse darum das Interesse an einer ordentlichen Meldung von Missständen erhöht werden, so Bösch, der informierte, dass die Niederlande etwa viermal so viel angegeben haben wie Spanien oder Griechenland - "was sicher nicht heißt, dass die Niederlande schlechter verwaltet sind". Die Kommission sei darum aufgerufen, nicht nur die nackten Zahlen, sondern auch eine Analyse einzufordern, und auch die Namen der Länder sollten genannt werden, denn nur so könne man auf Probleme aufmerksam machen.

Österreich unterstützt Zigarettenkonzern-Klage nicht - unvorstellbar!
Als "unvorstellbar" bezeichnete Bösch die Tatsache, dass Österreich im Gegensatz zu zehn anderen Ländern die Klage der Kommission gegen die Zigarettenkonzerne Reynolds, Philip Morris und Japan Tobacco wegen Beteiligung an Zigarettenschmuggel nicht unterstützt. "Statt dauernd mit dem Veto zu drohen, sollte die österreichische Regierung hier lieber einen konstruktiven Beitrag leisten." Ebenso unverständlich sei, dass die Regierung die Schaffung eines europäischen Staatsanwaltes ablehnt. "Es wird immer wieder behauptet, dass Österreich als Nettozahler unter der Verschwendung leidet und dann werden Österreichs Interessen doch nicht geschützt, das ist unvorstellbar", so der EU-Abgeordnete. Ähnliches gelte für die Überwachung der Außengrenzen, auch dieser Bereich müsse aus dem Aspekt des Nettozahlers gesehen werden. "Ich sage 'Hände weg vom Zoll!', denn dadurch würde man dem Schmuggel Tür und Tor öffnen." Um die Steuern besser schützen zu können, schlägt Bösch vor, einen europäischen Zoll zu schaffen.

Der Betrugsbekämpfungsexperte wies auch auf interne Betrugsfälle hin und zeigte sich froh, dass nun endlich Konsequenzen aus dem "Fall Cresson" gezogen werden und wegen Pflichtverletzung vorgegangen werde - wie es im übrigen bereits im Bericht 2002 festgehalten worden ist. Neue Unregelmäßigkeiten würden beim Eurostat Anlass für Zweifel an der von der Kommission ausgerufenen "Null-Toleranz-Politik" gegen Betrug geben. So bestehe der Verdacht, dass leitende Beamte "auf beiden Seiten des Verhandlungstisches" gesessen hätten und dass "Bilanzen frisiert wurden". "Ich sehe bei der Kommission keinen Willen, dies aufzuarbeiten; sie weiß offensichtlich nicht um die politische Brisanz Bescheid", so Bösch, der darauf hinwies, dass Eurostat immerhin die "blauen Briefe" aufgrund nicht eingehaltener Maastricht-Kriterien verschickt.

In Zusammenhang mit einer besseren Vorbereitung der EU-Erweiterung fordert Bösch den Aufbau von Finanzkontrollsystemen in den Erweiterungsländern und Forschritte im Vorbeitrittsprogramm SAPARD. Bösch sieht die großen Herausforderungen bei der EU-Erweiterung gerade bei deren Beginn, denn da würden die großen Fördermittel fließen, "und da müssen auch Missverständnisse verhindert werden", so der SPÖ-EU-Abgeordnete, der abschließend darauf hinwies, dass sich Unregelmäßigkeiten etwa in der Strukturpolitik auch oft aus "verrückten Vorschriften" ergeben hätten.
 
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