Personenverkehr zwischen
Liberalisierung und Daseinsvorsorge
 

erstellt am
14. 03. 03

Ergänzung zu früherer Materialiensammlung - Richtungweisendes Verfahren beim EuGH anhängig
Wien (rk) - Im Jänner und im Dezember 2001 waren - initiiert von der Kammer für Arbeiter und Angestellte (AK Wien) und dem VÖWG - Expertengespräche zur Positionierung des Öffentlichen Personenverkehrs in Hinblick auf von Brüssel geforderte Maßnahmen abgehalten worden. Teilnehmer waren überwiegend Experten von Ministerien, Ländern (Wien), Verkehrsdienstleistern wie ÖBB, Post, Wiener Linien, Busbetreiber, Organisationen der Verkehrsteilnehmer u.a. Anschließend wurde eine umfangreiche Materialiensammlung "Personennahverkehr zwischen Liberalisierung und Daseinsvorsorge" publiziert, bearbeitet von Mag. Doris Unfried (AK Wien) und Mag. Christoph Parak (Verband der Öffentlichen Wirtschaft und Gemeinwirtschaft Österreichs). Seit damals (Jahreswende 2001/2002) sind weitere Papiere zu dieser Thematik erschienen, wie "Geänderter Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über Maßnahmen der Mitgliedstaaten in Zusammenhang mit Anforderungen des öffentlichen Dienstes und der Vergabe öffentlicher Dienstleistungsaufträge für den Personenverkehr auf der Schiene, der Straße und auf Binnenschifffahrtswegen", dazu ergangene Stellungnahmen der Bundesarbeitskammer, des Verbandes kommunaler Versorgungsunternehmen Österreichs (VKÖ), weiters der Gruppe der Unternehmen des öffentlichen Personennahverkehrs (ÖPNV) der Metropolen sowie der Vorschlag des Verbandes Deutscher Verkehrsunternehmen (VDV) für eine europarechtliche Regelung im öffentlichen Verkehr - um nur einige zu nennen. Diese und weitere Papiere liegen nunmehr in einer neuen Materialiensammlung - wieder von Unfried und Parak zusammengestellt bzw. bearbeitet - vor.

Die Debatte über die zukünftigen (legistischen) Rahmenbedingungen für die Erbringung von Leistungen des ÖPNV, quasi eingebettet in die Rahmenbedingungen zur Erbringung von "Dienstleistungen im allgemeinen wirtschaftlichen Interesse", hat sich zwar weiterentwickelt und ebenso auch die Diskussion über die Daseinsvorsorge. Dies stellt sich jedoch so dar, dass nach Lösungen, die eine entsprechende Rechtssicherheit bieten, nach wie vor gesucht wird. Ein dazu von der Europäischen Kommission (EK) in Auftrag gegebenes "Grünbuch" soll noch im Frühjahr 2003 - Ende März? - erscheinen, inwieweit es sich dabei (bloß) um eine Auflistung von Problemkreisen handelt, wird abzuwarten sein.

Es ergeben sich bei dem o.a. Vorschlag der EK zahlreiche Aspekte, die noch einer eingehenden Befassung bedürften. Um ein Beispiel anzuführen, zum Artikel 7a - Schutzmaßnahmen für direkt vergebene Aufträge, als Ableitung von Artikel 7 - Direktvergabe öffentlicher Dienstleistungsaufträge. Will eine Behörde (Kommune) an ein eigenes Unternehmen einen Dienstleistungsvertrag vergeben, so sind dieser Umstand sowie die dafür maßgeblichen Gründe ein Jahr vorher im EU-Amtsblatt zu veröffentlichen. Dritte haben nun sechs Monate Zeit, der zuständigen Behörde (Kommune) Anbote zu übermitteln, die nach ihrer Auffassung die Ziele eines neuen Vertrags besser erreichen würden. Die Behörde kann ein solches Anbot akzeptieren oder ablehnen, in letzterem Fall ist eine Berufung dagegen möglich. Hier tut sich Problematisches auf: Einerseits eine unerwünschte Offenlegung von Betriebsdaten an Konkurrenzunternehmen, was bei enger Auslegung dazu führen kann, dass das Eigenunternehmen auch alle vorgesehene Zahlungen und Entschädigungen angeben müsste. Ein Dritter könnte dann naturgemäß relativ leicht ein besseres (sprich billigeres) Anbot abgeben. Auch wäre zu bedenken, dass die in Artikel 7a vorgesehenen Schutzmaßnahmen zu einem erheblichen administrativen Aufwand, und damit zu Mehraufwendungen für die Kommunen führen könnten.

Richtungweisend dürfte eine beim Europäischen Gerichtshof (EuGH) anhängige Rechtssache (die Herausgeber verweisen darauf) sein, die aber nicht in der Materialiensammlung enthalten ist. Es geht um die Rechtssache C-280/00 "Altmark Trans GmbH, Regierungspräsidium Magdeburg gegen Nahverkehrsgesellschaft Altmark GmbH". Das Ausgangsverfahren dazu betrifft die Erteilung von Linienverkehrsgenehmigungen mit Omnibussen im sächsischen Landkreis Stendal (manchem vielleicht geläufig durch die "Altmärkische Glosse" zum Sachsenspiegel). Mit der Entscheidung bzw. dem Urteil des EuGH wird noch für den Sommer 2003 gerechnet.

Im Rahmen eines "Vorabentscheidungsersuchens" des (deutschen) Bundesgerichtshofs sollen mehrere Fragen geklärt werden:

Unterliegen Zuschüsse zum Defizitausgleich im öffentlichen Personennahverkehr überhaupt dem Beihilfeverbot des Artikels 87, Absatz 1 EG-Vertrag oder fehlt ihnen wegen ihrer regionalen Bedeutung von vornherein die Eignung, den zwischenstaatlichen Handel zu beeinträchtigen (mögliche Relevanz für die GATS- Verhandlungen, Anm. der Redaktion)? Kommt es insoweit möglicherweise auf die konkrete Lage und Bedeutung des jeweiligen Nahverkehrsgebietes an? Eröffnet Artikel 73 EG-Vertrag dem nationalen Gesetzgeber generell die Möglichkeit, öffentliche Zuschüsse zum Ausgleich von Defiziten im ÖPNV ohne Rücksicht auf die Verordnung Nr. 1191/69 zuzulassen? Eröffnet die o.a. Verordnung dem nationalen Gesetzgeber die Möglichkeit, den Betrieb einer Linie im ÖPNV, der zwingend auf öffentliche Zuschüsse angewiesen ist, ohne Beachtung der Abschnitte II, III und IV der genannten Verordnung zuzulassen und die Anwendung dieser Regelungen vorzuschreiben, wenn andernfalls eine ausreichende Verkehrsbedienung nicht möglich ist? Ergibt sich diese Möglichkeit des nationalen Gesetzgebers insbesondere daraus, dass er nach Artikel 1, Absatz 1, Unterabsatz 2, der Verordnung Nr. 1191/69 in der Fassung Nr. 1893/91 das Recht hat, Unternehmen des ÖPNV gänzlich vom Anwendungsbereich der Verordnung auszunehmen?
     
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