Justizminister
Böhmdorfer: »Jahrhundertwerk« StPO-Reform
Entwurf vom Ministerrat in seiner ersten Sitzung verabschiedet
Wien (bmj) - Der Entwurf eines Strafprozessreformgesetzes - die Neukodifikation des strafprozessualen
Vorverfahrens - hat den ersten Ministerrat der neugebildeten Regierungskoalition vom Mittwoch (12. 03.)
passiert.
Justizminister Dr. Dieter Böhmdorfer hat heute das größte und komplexeste Legislativprojekt des
Justizressorts seit dem Strafgesetzbuch, das 1975 in Kraft getreten ist, dem Ministerrat zur Beschlussfassung vorgelegt.
Durch den Entwurf eines Strafprozessreformgesetzes wird etwa die Hälfte des einschlägigen Rechtsbestandes
(des Vorverfahrens der Strafprozessordnung) neu gestaltet. "Es sei ein symbolisches Zeichen für die Reformkraft
der neugebildeten Bundesregierung, dass ein Reformwerk von dieser Tragweite und Bedeutung gleich im ersten Ministerrat
dieser Bundesregierung beschlossen werden konnte", erklärte Dr. Dieter Böhmdorfer im Anschluss an
den Ministerrat. Immerhin stamme die Strafprozeßordnung 1975 (StPO) in ihrer Struktur aus dem vorletzten
Jahrhundert (1873) . Sie ist daher - insbesondere das "Vorverfahren" (bis zur Anklage) betreffend - überholt
und dringend reformbedürftig; das wird in Fachkreisen von allen Seiten grundsätzlich anerkannt. Er freue
sich, dem Nationalrat nunmehr ein ausgereiftes Reformvorhaben mir klarer Zielvorstellung vorlegen zu können.
Zur Geschichte der Reform und zur Entgegnung allfälliger Einwände in Richtung eines übereilten Vorgehens
erinnert Justizminister Dr. Dieter Böhmdorfer, dass das BMJ nach mehrjährigen Fachdiskussionen 1995 ein
Konzept, 1998 einen (Teil-)"Diskussionsentwurf" in "Paragrafenform" vorgestellt und 2001 einen
kompletten Ministerialentwurf (216 §§) zur Begutachtung versandt hat.
Es wird auf bisherigen Entwürfen sowie auf Reformvorschlägen der Professoren MOOS und FUCHS aufgebaut
und ein einheitliches Ermittlungsverfahren vorgeschlagen, in dem die Staatsanwaltschaft zentrale justizielle Ermittlungsbehörde
werden soll, der die Führung des Vorverfahrens gemeinsam mit den Sicherheitsbehörden obliegt. Die Ermittlungstätigkeit
wird in erster Linie den Sicherheitsbehörden zugewiesen, allerdings in Zusammenarbeit mit der Staatsanwaltschaft
und unter deren Kontrolle. Das Recht und die Pflicht der Polizei und der Gendarmerie, auch selbständig, von
sich aus, zu ermitteln, soll gesetzlich festgeschrieben werden. Polizei und Gendarmerie wird modernes legistisches
Rüstzeug für die kriminalpolizeiliche Tätigkeit an die Hand gegeben, dessen Einsatz aber an strenge
Kontrolle durch die Justiz (Staatsanwaltschaft und Gericht) gebunden ist (Aufschub von Ermittlungen [zB "kontrollierte
Lieferungen" von Suchtgift], Einsatz von Zwangsgewalt und Beugemitteln, Sicherstellung und Beschlagnahme von
Gegenständen und Vermögenswerten, Art und Umfang der Identitätsfeststellung und der körperlichen
Untersuchung von Personen, Persons- und Hausdurchsuchung, Einsatz der DNA-Analyse, Observation, Fahndung und verdeckte
Ermittlungen, Abschluss von Scheingeschäften [z.B. Suchtgiftankauf] und Einsatz von Lockspitzeln, Augenschein
und Tatrekonstruktion, Vernehmungen von Zeugen und Beschuldigten, Datenverarbeitung).
Die richterliche Kontrolle soll erhalten und ausgebaut werden (Bewilligung wesentlicher Grundrechtseingriffe, Rechtsschutz,
Beweissicherung - insbesondere durch kontradiktorische Vernehmungen). Die Unabhängigkeit und Unbefangenheit
des Gerichts wird gestärkt, indem es von der unmittelbaren Ermittlungstätigkeit entbunden werden wird,
ihm jedoch die Kontrolle von Staatsanwaltschaft und Polizei auf Grund von Rechtsschutzgesuchen Betroffener übertragen
wird.
Die Rolle der Beteiligten des Verfahrens, als von Beschuldigten und Opfern soll vor allem durch weitere Informations-,
Beteiligungs- und Antragsrechte verstärkt werden.
Geschädigten und durch eine strafbare Handlung in ihren Interessen sonst verletzten Personen wird die Möglichkeit
eingeräumt, beim (Oberlandes-) Gericht die Fortführung eines Verfahrens zu verlangen, das von der Staatsanwaltschaft
eingestellt wurde ("Klageerzwingung"). Dadurch könnte eine Weisung des Justizministers, ein Verfahren
einzustellen, durch Gerichtsentscheidung wirkungslos werden.
Ich bin überzeugt, dass mit diesem Reformvorhaben sowohl Anliegen nach einer effizienten Verbrechensverfolgung
als auch modernen rechtsstaatlichen Anforderungen im Bereich des Schutzes Unschuldiger wie auch der Interessen
der Opfer strafbarer Handlungen bestmöglich umgesetzt werden, schließt Justizminister Dr. Dieter Böhmdorfer. |
Jarolim zu StPO-Beschluss im Ministerrat: Offenbar nichts dazu gelernt
Wien (sk) - SPÖ-Justizsprecher Hannes Jarolim erklärte am Dienstag gegenüber dem Pressedienst
der SPÖ in Bezug auf die am Mittwoch (12. 03.) im Ministerrat beschlossenen StPO-Neuregelungen:
"Das lässt sich auf den Punkt bringen: Regieren neu - offenbar nichts dazugelernt!" Jarolim bedauerte,
dass offensichtlich die umfangreichen Vorbehalte der Fachwelt nicht dazu beigetragen haben, diese Reform zu überdenken.
Es wurden "keine Nägel mit Köpfen gemacht", so Jarolim, der meinte, es bleibe zu hoffen, dass
im Zuge der parlamentarischen Diskussion die Vernunft noch zu ihrem Recht kommen werde.
Jarolim verwies in diesem Zusammenhang auf seine am Donnerstag um 10 Uhr im Stützpunktzimmer des Parlaments
stattfindende Pressekonferenz, in der er sich mit dem Justizpaket der Regierung und mit der geplanten StPO-Reform
befassen wird. |
Wichtige Fragen bei StPO-Reform noch offen
Kein parlamentarisches Schnellverfahren
Wien (grüne) - Seit bald 30 Jahren wird nun an der Gesamtreform der Strafprozessordnung gearbeitet.
„Die heute im Ministerrat beratene Regierungsvorlage muss nun im Parlament ausführlich behandelt werden“,
fordert die Justizsprecherin der Grünen, Terezija Stoisits.
Dazu müsse ein eigener parlamentarischen Unterausschuss zur Behandlung dieser Gesamtreform des strafprozessualen
Vorverfahrens eingerichtet werden, in dem ein ausführliches ExpertInnenhearing auf breiter Ebene abgehalten
wird. „Die Vorsitzende des parlamentarischen Justizausschusses, Dr. Maria Fekter, ist dazu aufgerufen, für
eine ordentliche parlamentarische Vorbereitung dieses Reformwerks Sorge zu tragen. Als Vorbild und Vorgabe gilt
hier die großen Strafrechtsreform der 70er Jahre, wo es allein mehr als 40 ganztägige Ausschusssitzungen
im Parlament gegeben hat“, erklärt Stoisits.
„Schließlich müssen bei der StPO-Reform noch wichtige offene Fragen – vor allem zum Rechtsschutz, zum
Weisungsrecht des Justizministers und zu den Opferrechten - verhandelt werden, damit das Ziel eines wirkliche fairen
und rechtstaatlichen Vorverfahrens erreicht werden kann. Darüber hinaus muss in Anschluss an die Vorverfahrensreform
das Haupt- und Rechtsmittelverfahren modernisiert werden“, schließt Stoisits. |