Gemeinsame Aussprache - Jährliche Strategieplanung der Kommission - Haushaltsleitlinien 2004
Straßburg (eu-parl) - Für Kommissionspräsident Romano PRODI ist die jährliche Debatte
ein wichtiger Fixpunkt auf der Tagesordnung. Man debattiere über den zurückgelegten und den künftigen
Weg und habe die Pflicht, zukünftige Herausforderungen zu überprüfen. Die EU stehe momentan vor
folgenden Herausforderungen: der Erweiterung, der Irak-Krise und dem Konvent.
Die erste Etappe auf dem Weg zum Beitritt, der Abschluss der Verhandlungen mit zehn Ländern, sei beendet,
es bleibe jedoch noch viel zu tun. Die Arbeit mit Bulgarien, Rumänien und der Türkei gehe weiter, und
die Länder des Westbalkans klopften an die Tür der EU. Im nächsten Jahr müsse an der wirtschaftlichen
Integration der neuen Mitgliedstaaten gearbeitet werden. Auch müsse die politische Diskussion vertieft werden.
Transparent und offen müsse über die Art des Europas, das geschaffen werden solle, debattiert werden.
Hier müsse man sich vor zwei Versuchungen hüten. Es dürfe kein Europa geschaffen werden, das im
Gegensatz zu den USA steht; vielmehr müssten die transatlantischen Beziehungen gefestigt werden. Auch dürfe
man nicht nur die Unstimmigkeiten innerhalb der EU hervorheben. Man sei sich darüber einig, dass die Vereinten
Nationen das zentrale Element der internationalen Ordnung bleiben müssten und der Sicherheitsrat unterstützt
werden müsse. Der Krieg sei vermeidbar. Man müsse jedoch auch offen die Schwächen der EU in der
Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik sehen. Die Mechanismen reichten momentan nicht aus. Die EU habe
die politische Verpflichtung, einen gemeinsamen Standpunkt zu suchen. Auch nach Maßgabe der Verträge
müssten die Mitgliedstaaten sich abstimmen und sich gegenseitig unterrichten. Man wolle ein Europa schaffen,
das über einen großen gemeinsamen Markt hinausgehe und einen politischen Raum darstelle. Umfragen hätten
gezeigt, dass es der Wunsch der Bürger sei, dass die EU ihre Sicherheit gewährleiste. Die öffentliche
Meinung kenne keine Grenzen in der EU. Dieses gemeinsame Gefühl sei ein Zeichen für die Annäherung
der Völker und zeige die Notwendigkeit für eine offene politische Debatte. Man müsse sich auch Gedanken
über die neuen Nachbarn wie Russland, die Ukraine und Marokko machen. Ziel sei es, mit diesen alles bis auf
die Institutionen zu teilen.
Es sei gut, dass die Beitrittsländer im Konvent beteiligt seien. Der Konvent müsse zu einer Verallgemeinerung
der Mehrheitsabstimmungen führen. Gerade momentan zeige sich, dass der Zwang zur Einstimmigkeit eine Quelle
der Lähmung sei. Auch hier müsse eine offene Debatte geführt werden. Der Konvent könne eine
Wende darstellen.
Vertreter der Fraktionen
James ELLES (EVP-ED, UK) begrüßte die Einsicht in die Kommissionsdokumente zum Haushalt als
einen wichtigen Schritt zu mehr Offenheit. Die Finanzierung der Gemeinschaft nach 2006 sei eine wichtige Debatte
über Zukunftsperspektiven, Frieden, Wohlstand und geografische Grenzen. Im Namen seiner Fraktion bedauerte
er es jedoch, dass die diesbezügliche Arbeitsgruppe keine Ideen zur transatlantischen Dimension und zur Außenpolitik
entwickelt habe. Auch stellte er das Verfahren zur Finanziellen Vorausschau von 2003 bis 2013 als zu weitreichend
dar. Es müsse ein kürzerer Zeitraum für die Finanzielle Vorausschau vorgesehen werden, um zu vernünftigen
Ergebnissen der Evaluierung zu gelangen. Er stelle sich die Frage, ob künftig eine Kommission mit zehn bis
zwölf Kommissaren ausreichend sei, um die Arbeiten zu bewältigen. Er halte eine Erhöhung ihrer Anzahl
für notwendig. Er begrüßte die strategische Planung, stellte aber die Personalaufstockung infrage.
Abschließend forderte er die Vollendung der Reform der Institutionen bis 2004. Außerdem verlangte er
von der Kommission ein stärkeres Eingehen auf die Parlamentsforderungen im Haushaltsverfahren.
Hannes SWOBODA (SPE, A) stellte fest, dass man ein technokratisches Papier und eine politische Rede
bekommen habe. Die Rahmenbedingungen in Europa seien schlecht, da sich die Trennlinien zwischen den Staaten wegen
der Irak-Krise verbreitert hätten und die Arbeitsplatzlage nicht zum Besten stehe. Die Erweiterung müsse
ein Erfolg werden, aber "die EU ist kein Supermarkt oder eine Bank zur Finanzierung von Projekten". Die
EU sei ein Friedensprojekt, und die Staaten müssten ihre Politiken besser aufeinander abstimmen. Dies müsse
den Kandidatenländern ebenso mitgeteilt werden wie die Bedeutung des Internationalen Strafgerichtshofes. Er
verlangte, dass sich Europas Politik von einer sturen bürokratischen zu einer bürgernahen Politik wandeln
müsse. Er begrüßte die Stellungnahme zum nachhaltigen Wachstum, verlangte aber eine stärkere
Verbindung mit der Sozialpolitik. Allgemein betrachtete er das Kommissionspapier als einen Schritt in die richtige
Richtung, verlangte aber, Europa als "politisches Projekt und nicht als Verwaltungsprojekt" zu betrachten.
Nicholas CLEGG (LIBE, UK) unterstützte im Namen seiner Fraktion das Kommissionspapier und unterstrich
die Bedeutung der Erweiterung. "Die EU ist zwar kein Supermarkt, aber auch kein Tempel." Man dürfe
die Kandidatenstaaten nicht zum Schweigen verurteilen und die Erweiterung verlangsamen. In punkto Reform der Institutionen
verlangte er rasche Fortschritte, da diese schon im letzten Jahr hätten abgeschlossen werden sollen. Er halte
die Untersuchung der Auswirkungen zu legislativen Texten für wichtig, jedoch müsse die Kommission diese
Studien auch berücksichtigen.
Gérard CAUDRON (KVEL/NGL, F) verwies auf die Kluft zwischen den Zielen und den Mitteln zur
Umsetzung der Ziele. Der von der Kommission zur Schau gestellte Optimismus sei nicht gerechtfertigt. Der Weltfriede
sei gefährdet, eine tiefe Uneinigkeit innerhalb der EU sei erkennbar geworden. Die Wirtschaftskrise gehe vor
allem zulasten der Ärmsten. Seine Fraktion wolle ein demokratisches, soziales und "bürgerrechtliches"
("citoyenne") Europa.
Kathalijne Maria BUITENWEG (GRÜNE/EFA, NL) kritisierte das Fehlen eines konkreten Zeitplans.
Ein Zeitplan sei insbesondere für die Chemikalienrichtlinie erforderlich. "Make law, not war", sei
ein wichtiger Wahlspruch. Dies müsse auch in Bezug auf die Abkommen mit Drittländern gelten. "Was
können wir tun, damit Klauseln wie die Demokratieklausel nicht einfach missachtet werden?", fragte die
Abgeordnete. Politische Parteien dürften nicht aus dem Gemeinschaftshaushalt finanziert werden. Genau das
sei aber jetzt geplant.
Yves BUTEL (EDU, F) fragte, wieso die Kommission sich so optimistisch äußere, obwohl im
Eurobarometer sehr viel Pessimismus zu erkennen sei. Vieles von dem in der Kommissionsmitteilung Gelesenen erinnere
an die letzte Kommission kurz vor deren Sturz.
Georges BERTHU (FL, F) monierte, dass die Kommission den Eindruck erwecke, sie sei ein Organ, welches
eine politische Strategie beschließen könne; dies sei jedoch nicht der Fall, denn nur der Rat könne
eine Strategie beschließen.
Berichterstatter
Laut Jan MULDER (LIBE, NL) ist 2004 ein außerordentliches Haushaltsjahr. Bis Ende April
müsse der Haushalt für 15 Mitgliedstaaten aufgestellt werden, ab dem 1. Mai für 25 Mitgliedstaaten.
Dies mache Anmerkungen im Haushaltsplan notwendig. Auch trete das neue System der tätigkeitsbezogenen Budgetierung
in Kraft. Eine Priorität sei es, die Wirtschaft der neuen Mitgliedstaaten an die der alten anzupassen. Auch
müssten die verwaltungstechnischen Fähigkeiten in den neuen Mitgliedstaaten verbessert werden.
Die Entwicklung in der Rubrik I, der Landwirtschaft, hänge von der Halbzeitbewertung Kommissar Fischlers ab.
Man solle sich jedoch Gedanken machen über einen möglichen Zusammenhang zwischen Prämienzahlungen
und Umweltrecht, über Versicherungsschemata für eventuelle Seuchen und über die Förderung hochwertiger
Landwirtschaftsprodukte. In der Rubrik III, Inneres, müsse überlegt werden, was die EU zusätzlich
zur Bekämpfung des Terrorismus tun könne. Der Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts müsse
vorangebracht werden. Eine bessere Asylpolitik solle geschaffen werden, man müsse sich Gedanken über
die Notwendigkeit neuer Agenturen sowie zum Problem der Veralterung der Gesellschaft machen. In Rubrik IV müssten
die Auswirkungen eines möglichen Kriegs im Irak berücksichtigt werden. In die Rubrik V, Verwaltung, müssten
die Ergebnisse der Reform der Kommission Einfluss finden.
Neena GILL (SPE, UK) betonte, dass die erforderlichen Mittel für die Erweiterung bereitgestellt
werden müssten. Eine wichtige Forderung sei auch eine verstärkte Rechenschaftspflicht. Nicht nur die
Notwendigkeit, sondern auch die Qualität der Ausgaben müsse nachgewiesen werden. Die Ausgaben würden
für den Bürger nur deutlich, wenn sie transparent seien. Transparenz sei auch bei der Finanzierung der
politischen Parteien notwendig. Man brauche insgesamt mehr Innovation. Man müsse sich bemühen, eine aktive
Beteiligung der Bürger herbeizuführen. Die Internetseiten dürften nicht nur als Informations-, sondern
müssten auch als Kommunikationsinstrument eingesetzt werden. Ein öffentlicher europäischer Medienraum
sei erstrebenswert. Es bedürfe für die künftige Arbeit des EP eines flexiblen Rahmens. Sie begrüße
die Vorschläge des Generalsekretärs für mehr legislative Unterstützung der Abgeordneten. Allerdings
habe sie noch mehr Ehrgeiz und Innovation erwartet. Die Struktur in allen Organen sei dem Wandel gegenüber
feindselig.
Vertreter der Kommission
Laut Michaele SCHREYER wird der Haushalt 2004 der erste in neuer Form sein, d. h. die einzelnen
Politiken hervorheben und für 25 Mitglieder gültig sein. Die neuen Mitglieder würden an allen Programmen
von Beginn an teilnehmen. Die Finanzielle Vorausschau müsse noch angepasst werden, dies möglichst vor
der Unterzeichnung der Beitrittsverträge in Athen. Die Hälfte der neuen Stellen sei für die Sprachendienste
vorgesehen. Die Mittel für die Balkan-Region, die Mittelmeerländer, die Türkei, Bulgarien sowie
Rumänien würden erhöht. Die Kommission werde ein mehrjähriges Programm zur Berücksichtigung
von Migrationsfragen in allen Politikbereichen vorschlagen. Viele Ähnlichkeiten zwischen den Prioritäten
des EP und der Kommission seien zu bemerken. Für die Finanzierung der Parteien müsse endlich eine Rechtsgrundlage
geschaffen werden.
Weitere deutschsprachige Abgeordnete
Ozan CEYHUN (SPE, D) stellte für den Innenausschuss die Sicherung der Außengrenzen in den Vordergrund.
Er bedauerte, dass man in diesem Bereich sowie auch bei der inneren Freizügigkeit, dem Kampf gegen Schleuserbanden
und Terrorismus nicht weitergekommen sei. Man müsse die Schaffung eines gemeinsamen Rechtsraums voranbringen,
wenn man die Bürger Europas von der Union überzeugen wolle. Die Kosten für die innere Sicherheit
würden bei dem zukünftigen Europa der 25 Staaten mit seinen langen Außengrenzen weiter steigen.
Er fordere daher die Anpassung der Leitlinien des Haushaltsverfahrens 2004 an die Erfordernisse des Raums für
Freiheit, Sicherheit und des Rechts.
Ralf WALTER (SPE, D) unterstrich, dass die gegenwärtige Diskussion von den Bürgern mit
Hoffnung und Sorge betrachtet werde. Der Konvent, Wirtschafts- und Friedenspolitik sowie die Erweiterung würden
Fragen aufwerfen, die das Parlament transparent diskutieren will. Er hoffe, dass das Parlament im Bereich der Haushalts-
und Agrarpolitik durch den Konvent die nötige Unterstützung bekomme, um zukünftig mehr Gewicht zu
erhalten. Die Erweiterung müsse nachvollziehbar bleiben. Vollendete Tatsachen durch den Rat werde man nicht
akzeptieren. Der Binnenmarkt habe Hoffnung auf eine verbesserte Beschäftigungslage geweckt, aber allein im
letzten Jahr seien 7 Mrd. € ungenutzter Mittel zurückgeflossen. Die Verwaltung müsse vereinfacht werden,
um eine bessere Mittelnutzung zu ermöglichen. Bei der Friedenspolitik solle die Konfliktprävention im
Vordergrund stehen. Er lehne aber eine Zweiteilung der Außen- und Sicherheitspolitik ab. Es könne nicht
angehen, dass Europa für finanzielle Hilfen und andere Staaten für militärischen Druck stünden.
Nach Christel FIEBIGER (KVEL/NGL, D) hat die Kommission die Erweiterung als Priorität für
das Jahr 2004 dargestellt. Sie habe allerdings Zweifel, ob die Kommission dieser Herausforderung gerecht werde.
11 Mrd. € Ausgaben an Haushaltsmitteln für die Erweiterung und 2,4 % an Ausgaben für die Förderung
der Landwirtschaft in den Kandidatenländern seien bereitgestellt. Der Haushaltsvorentwurf müsse deutlich
machen, wie die Verteilung dieser Gelder erfolgen soll. "Das Entscheidungsbild der EU kann nur noch verbessert
werden", schloss die Abgeordnete.
Armin LASCHET (EVP-ED, D) stellte fest, dass die Außenpolitik eine klassische Regierungspolitik
sei. Jedoch könnten die Parlamente über den Haushalt Einfluss auf die Außenpolitik nehmen. Diese
Möglichkeit fehle allerdings auf europäischer Ebene. Er begrüße daher die Vorschläge
des Konvents und das Entgegenkommen des Rates in Sachen Informationspolitik. Im Fall der Ausgaben zu Mazedonien
sei dies bereits geschehen. Zur Ad-hoc-Arbeitsgruppe bei den Direktzahlungen an die palästinensische Autonomiebehörde
vermerkte er, dass sich nun eine gute Möglichkeit ergebe, um mit der Kommission über den Mitteleinsatz
zu sprechen.
Markus FERBER (EVP-ED, D) vermisste eine klarere Linie der Kommission zu Gunsten des EP in Bezug
auf die Anpassung der Finanziellen Vorausschau. Man werde darüber nachdenken müssen, ob man schon in
zwei Monaten über den Beitritt von zehn Ländern entscheiden könne, ohne dass diese Fragen geklärt
sind.
Ihm liege ein kommissionsinterner Vermerk zum Andreassen-Fall vor, der zu einer anderen Bewertung als die offizielle
Einschätzung durch Kommissarin Schreyer komme. Erst wenn diese konkreten Fragen abgearbeitet worden seien,
könne man sich über die Zukunft der EU-Finanzen nach 2006 unterhalten.
Karl von WOGAU (EVP-ED, D) sagte, im Jahr 2004 müsse auch die Außen- und Verteidigungspolitik
fortentwickelt werden. Daher stelle sich auch die Frage der demokratischen Kontrolle. Diese könne im Bereich
Außen- und Verteidigungspolitik nur durch den Haushalt erfolgen. Deshalb müsse man sich an den Konvent
wenden: Militärische Ausgaben zur Krisenbewältigung müssten ordentlich im Haushalt verankert werden.
Auch im Bereich Forschung und Einkauf dürfe es keine Schattenhaushalte geben, die durch kein Parlament kontrolliert
werden.
Der EU-Haushalt beschäftige sich entgegen landläufiger Meinung nicht nur mit Agrarfragen, sondern auch
mit sozialen Fragen, so Barbara WEILER (SPE, D) als Vertreterin des Ausschusses für Beschäftigung.
Der soziale Dialog sei in allen Kandidatenländern verbesserungswürdig. Gesundheit am Arbeitsplatz sei
hier wie dort ein wichtiges Thema. In den Beitrittsländern seien große Umbauarbeiten in Bezug auf die
alten Industrien erforderlich.
Vertreter der Kommission
Kommissionspräsident Romano PRODI ging am Ende der Debatte auf einige der Fragen der Abgeordneten ein. Die
Kommission werde überwachen, dass nicht mehr neues Personal als nötig eingestellt werde. Die Reform der
Kommission sei von Beginn an eine Priorität gewesen. Ab 2004 werde es ein neues Beamtenstatut geben. Die Regeln
zum Finanzmanagement seien teilweise überarbeitet worden. Es gebe eine neue Haushaltsordnung. An einem neuen
"Accounting-Konzept" werde gearbeitet. Den Vorwurf, dass Fragen von Parlamentariern an die Kommission
ohne Antwort geblieben seien, werde er nachgehen. Zur Balkanpolitik habe die Kommission eine präzise Vorlage
gemacht. Die EU stehe den Balkanländern offen, wenn diese für den Beitritt bereit seien. Die Visa-Politik
müsse modernisiert werden, sie sei momentan nicht praxisnah. Durch die gegenwärtige internationale Krise
werde klar, wie unersetzlich die europäischen Institutionen sind. |