ESA prüft Missionen zum Schutz der Erde  

erstellt am
28. 03. 03

Paris (esa) - In den frühen Morgenstunden des 30. Juni 1908 wurde es über den ausgedehnten Wäldern Westsibiriens plötzlich taghell: Am wolkenlosen Himmel tauchte ein längliches, weißglühendes Objekt auf, das auf die Erde zuraste. Etwa 8 km über der Erdoberfläche explodierte der Eindringling, wodurch unter anderem in einem Gebiet von 2 000 Quadratkilometern sämtliche Bäume flachgelegt wurden.

Das Explosionszentrum lag in der spärlich besiedelten Taiga, weshalb die Detonation von einer geschätzten Stärke von 10 Megatonnen TNT (etwa 500mal die Energie der Atombombe, die Hiroshima zerstörte), wenn überhaupt, nur wenige Opfer zur Folge hatte. Wäre das „Tunguska-Objekt“ - benannt nach dem Fluß, in dessen Nähe sich die Explosion ereignete -, bei dem es sich wahrscheinlich um einen Asteroiden von der doppelten Größe eines Tennisplatzes handelte, über London oder Paris explodiert, wäre die Zahl der Opfer wohl in die Millionen gegangen.

Glücklicherweise finden Verheerungen durch herabstürzende erdnahe Objekte (NEOs) selten und in großen zeitlichen Abständen statt. Gegenwärtige Schätzungen gehen davon aus, daß eine Kollision eines 50-Meter-Objekts vom Tunguska-Typ mit der Erde etwa alle 100 bis 300 Jahre stattfindet. Der Aufprall eines Objekts von 1 km Durchmesser - ein Szenario, mit dem alle paar hunderttausend Jahre zu rechnen ist - könnte ein ganzes Land auslöschen; glimpflicher würde es auch beim Sturz eines solchen Objekts in den Ozean nicht ablaufen, da hierbei Flutwellen gigantischen Ausmaßes, sogenannte Tsunamis, entstünden, die noch in mehreren tausend Kilometern Entfernung ganze Küstenstriche verwüsten würden.

Ein zunehmendes Bewußtsein der möglicherweise desaströsen Folgen solcher Einschläge hat dazu geführt, daß in jüngster Zeit Anstrengungen unternommen wurden, die größeren erdbedrohenden Objekte zu erfassen und zu kategorisieren. Um jedoch die zahllosen Tunguska-ähnlichen Objekte aufzuspüren und zu katalogisieren, muß weit mehr geschehen. Nur dann sind rechtzeitige Warnungen vor drohenden Einschlägen sowie Maßnahmen zur Eindämmung der Gefahr möglich.

Zwar sind an verschiedenen Orten der Erde immer ausgefeiltere Suchprogramme im Einsatz, aber die Suche nach Objekten, die sich in unsere Richtung bewegen, muß in den Weltraum ausgedehnt werden. Nur weltraumgestützte Observatorien sind in der Lage, die notwendigen Rundumbeobachtungen durchzuführen und so potentiell gefährliche Objekte zu entdecken, die von der Erde aus wegen des grellen Sonnenlichts unsichtbar sind.

Im Juli 2002 wurden aus dem Programm für Allgemeinen Studien der ESA Mittel für vorläufige Studien zu sechs Weltraummissionen bereitgestellt, die unser Wissen über NEO bedeutend erweitern könnten.

„Die sechs Vorschläge wurden ausgewählt, weil ihr Missionskonzept dazu beitragen dürfte, grundlegende Fragen zur Bedrohung durch NEOs zu beantworten, etwa in bezug auf ihre Zahl, ihre Größe und Masse und ob es sich um kompakte Körper oder eher lose Gesteinsansammlungen handelt“, erklärt Andrés Gálvez, der Leiter des Teams für fortschrittliche Konzepte im Europäischen Weltraumforschungs- und technologiezentrum (ESTEC) der ESA im niederländischen Noordwijk. „Diese und andere Informationen sind nötig, um geeignete Abwehrmaßnahmen entwickeln zu können.“

Gálvez weiter: „Die Missionen können zwei Kategorien zugeordnet werden. Die Observatoriumsmissionen sind in der Lage, weit mehr NEOs zu entdecken und zu beobachten, als dies von der Erde aus möglich wäre. Dies gibt Astronomen die Möglichkeit, ihre Bahnen zu berechnen und langfristig vorherzusagen, ob sie eines Tages eine Gefahr für die Erde darstellen könnten.

Die Vorbeiflug- oder Begegnungsmissionen dienen dazu, eine kleine Zahl von NEOs genau unter die Lupe zu nehmen und Daten über ihre Größe, Zusammensetzung, Dichte, interne Struktur usw. zur Erde zu schicken. Dies ist insofern wichtig, als wir so genau wie möglich wissen müssen, wie sie sich verhalten würden, falls wir versuchen sollten, sie aus einer Kollisionsbahn mit der Erde zu werfen.“

Die überprüften sechs Missionen waren folgende:

  • Don Quijote: Dieser Vorschlag sieht zwei Raumfluggeräte zur Erprobung von Technologien vor, die nötig sind, um einen Asteroiden aus einer Kollisionsbahn mit der Erde zu werfen. Dabei soll „Hidalgo“ mit einer Geschwindigkeit von 10 km/s auf einem Ziel-Asteroiden mit einem Durchmesser von 500 m aufschlagen, während das zweite Gerät, „Sancho“, mehrere Sensoren zur Oberfläche des Asteroiden schicken und das Geschehen während und nach dem Aufschlag aus sicherer Entfernung beobachten soll. Hierdurch sollen wertvolle Erkenntnisse über den inneren Aufbau des NEO gewonnen werden.
  • Earthguard 1: Ein Teleskop würde als Passagiernutzlast bei einer Mission ins innere Sonnensystem, z.B. beim Start des Merkur-Orbiters BepiColombo der ESA, mitfliegen. Es würde sich der Erde nähernde Asteroiden von mehr als 100 m Durchmesser entdecken, was mit Bodenteleskopen sehr schwierig oder sogar unmöglich ist.
  • EUNEOS: Ein mittelgroßes Teleskop auf einer eigenen Satellitenplattform würde von seiner Warte innerhalb der Venusbahn die gefährlichsten NEOs ausfindig machen. Hauptziel wäre das Aufspüren von 80 % der potentiell bedrohlichen Objekte mit Durchmessern von bis zu wenigen hundert Metern. Dies könnte in fünf Jahren erreicht sein; durch das anschließende systematische Wiederaufspüren der Objekte könnten dann ihre Bahnen mit großer Genauigkeit errechnet werden.
  • ISHTAR: Hierbei würde neben der Masse, der Dichte und der Beschaffenheit der Oberfläche eines NEO sein Inneres sondiert, um seinen Aufbau und seine innere Stärke in Erfahrung zu bringen. Dies würde mittels Radar-Tomographie geschehen, einer neuen Technologie, die ein Bodendurchdringungsradar zu Aufnahmen des Inneren eines festen Körpers nutzt.
  • SIMONE: Eine Flotte von fünf kostengünstigen Kleinsatelliten würde an einer Reihe verschiedener NEOs vorbeifliegen bzw. ihnen begegnen. Jeder dieser Satelliten wäre mit einer Reihe wissenschaftlicher Instrumente ausgerüstet, die wertvolle Erkenntnisse über die Beschaffenheit großer Asteroiden (zwischen 400 und 1 000 m Durchmesser) mit unterschiedlichen physikalischen Eigenschaften und unterschiedlicher Zusammensetzung liefern würden. Für die Begegnungen mit den Zielobjekten würden schubschwache Ionentriebwerke eingesetzt.
  • Fernbeobachtung von NEOs aus dem Weltraum: Mit einem weltraumgestützten Observatorium sollen Fernbeobachtungen durchgeführt und die physikalischen Eigenschaften von NEOs wie Größe, Zusammensetzung und Oberflächenbeschaffenheit bestimmt werden.

„Wir haben nun eine Reihe hervorragender Vorschläge, die sowohl durchführbar als auch finanzierbar sind“, freut sich Franco Ongaro, der Leiter der ESA-Abteilung für fortschrittliche Konzepte und Studien. „Diese von der Industrie und Universitäten durchgeführten Phase-A-Studien, die im Januar abgeschlossen wurden, liefern einen wertvollen Rahmen für die Entwicklung künftiger Missionen. Nun soll in Beratungen innerhalb der ESA und mit ihren internationalen Partnern die weitere Vorgehensweise abgestimmt werden."

     
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